Büro: Zu viel Harmonie kann schädlich sein
Martina weiß, was sie im nächsten Job sicher nicht will. Harmonie. Von dauerlächelnden Kollegen und säuselnden Abteilungsleitern hat sie genug. Als sie zur Projektpräsentation der Abteilungsleiterin im Plenum Kritik anmerkte, war es vorbei mit der heilen Bürowelt. Die Kollegen machten einen weiten Bogen um sie, rollten mit den Augen, wenn sie vorbeiging. Eine andere Meinung zu haben, war im Unternehmen nicht gefragt.
"Die schönste Harmonie entsteht durch das Zusammenbringen der Gegensätze", sagte schon der griechische Philosoph Heraklit. Eine Unternehmenskultur, die Gleichklang propagiert, sei jedoch fatal, meint Thomas Vašek, Autor des Buchs "Die Weichmacher" (siehe Interview): In Wahrheit verhindere sie Meinungsvielfalt und lähme so das Unternehmen.
Der Schein der Harmonie trügt so gut wie immer. Tatsächlich brodelt es unter der Decke der vermeintlichen Gemeinsamkeiten, werden hinterrücks Giftpfeile geschossen. "56 Prozent der Mitarbeiter reden schlecht über abwesende Kollegen", zitiert Unternehmensberater Peter Gruber das Ergebnis einer Umfrage, die er mit WKO und AK durchgeführt hat. Und spricht sich gegen heuchlerische Harmonie aus: "Kommunikation ohne Konflikte geht nicht. Auch Fehler und Kritik müssen möglich sein."
Emotionale Spannungen und Blockaden von Führungskräften und Mitarbeitern hilft Karin Neussl in ihrer "Wohlfühlakademie" abzubauen. "Laut Studien kann die Leistungsfähigkeit bis zu 95 Prozent vom Gefühlszustand beeinflusst werden", sagt sie. Daher sei es klug, auch in die emotionale Intelligenz der Mitarbeiter zu investieren." Unterdrückter Ärger hätte in der Harmoniezone fatale Folgen, meint auch Stephan Proksch, Autor des Buchs "Konfliktmanagement im Unternehmen": "Werden Konflikte nicht angesprochen, treten sie später nur noch heftiger zutage." Er rät Führungskräften dazu, regelmäßig mit den Mitarbeitern über die wechselseitigen Erwartungen zu sprechen: "Das Mitarbeitergespräch ein Mal im Jahr ist das Minimum - aber sogar das wird in vielen Unternehmen nicht praktiziert."
Führung neu
Ist die Harmonie allzu verbreitet und Kritik verpönt, könnte das am falsch verstandenen modernen Führungsstil liegen. War es vor 40 Jahren noch der herrische Chef, der im Befehlston Anweisungen gegeben hat, setzt man heute auf sanften Umgang und Mitarbeiter-Partizipation. "Heute funktioniert der autoritäre Führungsstil nicht mehr", sagt Stephan Proksch, Unternehmensberater und Autor des Buchs "Konfliktmanagement im Unternehmen". "Die Unternehmen bewegen sich auf dynamischen Märkten und sind von den Informationen ihrer Mitarbeiter abhängig." Und gerade deshalb müssten Führungskräfte die Mitarbeiter ermutigen, offen zu kommunizieren und die eigene Meinung zu sagen, meint Proksch. Wie John DeLorean, der schon in den 1960ern als Top-Manager bei General Motors aufmuckende Mitarbeiter aktiv belohnt haben soll. Vašek bestätigt das: "Die Stärke der demokratisch orientierten Führungskräfte liegt darin, dass sie zum Dissens herausfordern, statt den Konsens zu erzwingen." Eine Gratwanderung für die Führungsebene. Denn auch innerbetriebliche Konflikte kosten den Unternehmen Geld. Pro Führungskraft sollen es 1444 Euro im Monat sein, wie der Teamgeist-Barometer zeigt, der auf Basis einer Befragung von 300 österreichischen Führungskräften entwickelt und im April präsentiert wurde.
Auch wenn ständiger Gleichklang schädlich ist, echte Wertschätzung ist für Motivation und Erfolg wesentlich, sind sich die Experten einig - "und die ist leider selten zu finden", sagt Proksch.
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