Der Anzug ist seine zweite Haut. Die Hemden sind gebügelt, die Socken bunt für die Bodenständigkeit. Der Charakter? Einnehmend und sympathisch. Er sagt den Namen seines Gegenübers, bevor er zu einer Antwort ausholt. Hat Zeit, über Witze zu lachen, obwohl er hochbeschäftigt ist.
Redet vielleicht etwas zu laut, aber ist so selbstbewusst bei der wöchentlichen Präsentation seiner Erfolge – die ihm niemand aufgetragen hat – dass selbst dem Chef nichts anderes übrig bleibt, als das Engagement zu honorieren. Die anderen? Bleiben fasziniert mit ihren Augen an ihm haften oder kommen nicht umhin, mit diesen zu rollen, um eine weitere Darbietung seines Schauspiels ohne Einspruch zu ertragen.
Er ist der Blender, der ausschließlich der Fantasie der Autorin entspringt. Dem sie, und wahrscheinlich die meisten in der Arbeitswelt, in unterschiedlichen Ausprägungen schon begegnet ist. Und in dessen Rolle man vielleicht selbst geschlüpft ist, wenn ein beruflicher Erfolg kleiner ausfiel als er sollte.
Lügen, aber nicht zu sehr
„Wir machen das alle, dahinter muss nichts Bösartiges stecken“, entwarnt der Wiener Psychologe Philipp Lioznov. „Die meisten haben schon ein bisschen geflunkert, ein bisschen geblendet, ein bisschen übertrieben. Manche glauben auch fest an ihre Fähigkeiten und nutzen das Blenden als Eigenwerbung. Andere als Bewältigungsmechanismus aufgrund eines geringen Selbstwerts.“
Bei Blendern sofort an verurteilte Betrüger zu denken, wäre also voreilig. Nur die Allerwenigsten treiben es mit ihrer Hochstapelei so weit wie aktuell Sam Bankman-Fried. Seiner Kryptobörse vertrauten Stars wie Ashton Kutcher, bevor das Lügennetz in sich zusammenbrach, ein Schaden in Milliardenhöhe blieb und das Gericht das einstige Wunderkind Anfang November in allen Punkten schuldig sprach.
Und doch haben er und viele andere prominente Hochstapler etwas gemein mit den Blendern im Kleinformat, denen wir im Berufsleben immer wieder begegnen, weiß Körpersprache-Experte Stefan Verra. „Es gibt zwei Faktoren, die jeder Blender, ob Mann oder Frau, gut kann“, sagt er und ergänzt, dass auch Nicht-Blender gut beraten wären, sich diese anzueignen.
Kompetenz und Empathie
Worauf Verra nicht abzielt, sind die klassischen Symptome des Blendertums: Namedropping, sich mit Geschichten anderer schmücken oder Versprechungen machen, die niemals halten können. Stattdessen sind es subtilere Methoden, auf die Blender setzen und eine große Wirkung erzeugen:
Faktor 1: „Blender zeigen mehr Kompetenz als sie eigentlich haben“, benennt Verra den ersten Faktor. Klingt einfach, ist aber eine besondere Fähigkeit, sagt der Experte. „Normalsterbliche“ würden ihre eigene Kompetenz oft unbewusst untergraben. „Dadurch verlieren sie gegen jemanden, der weniger kompetent ist als sie selbst.“ Frustration ist programmiert.
Faktor 2: Fast noch wirksamer ist aber der zweite Faktor. „Blender geben anderen Menschen ein besseres Gefühl“, verrät Verra. Dieses bessere Gefühl nennt sich Wertschätzung und würde erklären, warum Blender von Chefs oft bevorzugt werden. Um das zu verdeutlichen, skizziert Verra eine Meeting-Situation:
Nicht-Blender halten sich gerne versteckt, flüstern untereinander, tauschen vielsagende Blicke aus oder verschränken die Arme. Der Blender aber sitzt immer da, wo man ihn sehen kann. Hält Augenkontakt, nickt regelmäßig und signalisiert, zuzuhören. „Mit wem wird der Chef lieber seine Zeit verbringen?“, fragt Verra. „Mit denen, die tuscheln oder mit dem, der ein gutes Gefühl gibt?“
Was dieses Ungleichgewicht in einem Team bewirken kann, weiß Manuela Lindlbauer vom "Lindlpower" Personalmanagement. „Es spaltet“, sagt sie klar. Manche würden sich mitreißen lassen und motivierter werden. Andere sich ärgern, dass der Chef so schwach ist, die Dampfplauderei nicht zu entlarven. „Die einen kämpfen, die anderen gehen“, fasst Lindlbauer zusammen. Schon öfter hätte sie gesehen, dass kompetente Leute deshalb das Handtuch warfen und die Firma verließen.
Ein großer Fehler, findet Verra. Er rät stattdessen aufzuhören, ein Miesmacher zu sein und zu überlegen, wie man die Aufmerksamkeit auf sich lenken kann. Wer Möglichkeiten sucht, wird auch hier bei Blendern fündig.
Ein gelungener Auftritt
Dass es keinen Blender-Dresscode gibt, zeigen große wie kleine Beispiele. Der frisch gefangene Vermögensberater im Schneeballsystem setzt gerne auf Anzug und Gelfrisur, um Glaubwürdigkeit in seinem Bekanntenkreis zu vermitteln. Sam Bankman-Fried wiederum entschied sich in einer ähnlichen Branche für Schlabberhosen und T-Shirts, trug diese sogar bei einem Aufeinandertreffen mit Ex-US-Präsident Bill Clinton. Das Ergebnis? Er überzeugte gerade wegen seines uneitlen Gehabes. „Wer auf teure Anzüge für eine bessere Welt verzichtet, kann nicht böse sein“, beschreibt die FAZ seine Tarnung.
Eine Gemeinsamkeit lässt sich herauslesen, sagt Stefan Verra: Sie sprechen beide die gewünschte Zielgruppe an. Nicht immer würde das bewusst passieren, so Verra, und denkt dabei an Anna Sorokin, die sich als deutsche Erbin ausgab und so die New Yorker High Society um Geld anhaute. „Sie war immer elegant gestylt, das war ihre Persönlichkeit“, sagt Verra.
„Ein Blender ist niemand, der sich vornimmt, damit eine Karriere zu machen. Er merkt, dass er die Fähigkeiten hat, und es ihm leichtfällt, Leute damit zu gewinnen. Somit beginnt er mehr und mehr Grenzen zu überschreiten.“
Anecken würden Blender nur bei jenen, denen es gelingt, hinter die Kulissen zu blicken. Die das schöne Bild von den harten Fakten trennen. Und offenlegen, dass der helle Schein nichts weiter ist als heiße Luft. Abschauen kann man sich also einiges. Aber definitiv nicht alles.
Das Euzerl zu viel
„Blender streben oft nach Macht und nutzen diese gegen andere“, analysiert Psychologe Philipp Lioznov. „Unserer Gesellschaft würde es besser gehen, wenn sie sich etwas Bescheidenheit, Authentizität und Demut abschauen.“
„Je oberflächlicher die Branche ist, desto einfacher ist es für Blender“, sagt Stefan Verra. Übertreiber gibt es zwar überall, weiß auch Manuela Lindlbauer, aber in Job-Profilen, wo die Persönlichkeit einen wichtigeren Stellenwert hat als das Fachliche, wäre ein guter Nährboden für notorische Blender vorhanden.
Bereiche mit viel Detailorientierung werden weniger stark von Blendern frequentiert. Schließlich sei man dort schnell enttarnt – etwa in der Technik, im Handwerk oder in der Buchhaltung. Einladend sind wiederum Sales- und Marketingbereiche, wo eine extrovertierte Persönlichkeit explizit gewünscht ist, sagt die Personalexpertin. Auch das mittlere Management wäre anfällig, weil man Erfolge des Teams gut als die eigenen verkaufen kann.
Auch Manuela Lindlbauer kennt die Kehrseite der ach so empathischen Überstrahler. Etwa wenn sie sich beim Bewerbungsgespräch nicht nur über das Unternehmen, sondern via Social Media auch über das Privatleben des Arbeitgebers informieren und hoffen, dadurch eine persönliche Verbindung aufzubauen. „Da sagt das Bauchgefühl: Da hat’s was.“ Außerdem würden sie in der Arbeitswelt durch kurze Dienstverhältnisse auffallen, „die immer geendet haben, weil jemand anderer Schuld ist“, so die "Lindlpower"-Inhaberin.
Gefeit ist man trotzdem nie, dem Charme eines Blenders zu verfallen, weiß Stefan Verra. Sie allein aufgrund ihrer Körpersprache zu enttarnen, ist eine Sackgasse, sagt er. Hat man sich einen ins Team geholt, rät Lindlbauer: Von seiner Energie profitieren und klare Ziele vorgeben, die am Ende erledigt sein müssen. Und das ohne großes Rumgerede.
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