Studierende, die Generation Freigeist

Studierende, die Generation Freigeist
Unsichere Zeiten. Wie Studierende darauf reagieren? Sie gehen ihren eigenen Weg, mit ihren eigenen Ideen.

Magdalena Akantisz ist es egal, wenn Badewannen braune Schmutzränder haben, scheußlich schmierig und rissig sind. Wenn die Dinge ihren eigentliche Nutzen nicht mehr erfüllen, schenkt sie ihnen neue Bestimmung: Aus alten Badewannen werden Blumentröge, aus Kaffeekapseln Schmuckstücke, aus Toffifee-Verpackungen Lampen. Magdalena: 25 Jahre, Studentin, Idealistin, Freigeist.

Es wundert, dass der Bildungsforscher Tino E. Bargel in der Studierendensurvey 2013 schreibt: „Ideale, noch mehr Visionen, sind den Studierenden heute weithin fremd, jedenfalls weit mehr als früheren Studentengenerationen“. Dass er hier deutsche Studierende analysiert, lässt vielleicht aufatmen und schmunzeln. Aber nur kurz, denn österreichische Erhebungen zeichnen ein ähnliches Bild: Work-Life-Balance ist für Junge das wichtigste, sie wollen Spaß an der Arbeit und suchen Sinn, wollen fixe Anstellungen, sind politisch desinteressiert. Ein Glück, dass diese Generation nur als Y bezeichnet wird. Man könnte ihnen auch Etiketten wie Faulpelze, Selbstverwirklicher, Traumtänzer umhängen.

Aber wer sind nun die Vertreter dieser Generation? So sehr man sie auch erforschen und begreifen will, das Ergebnis ist: Man kann sie nicht über einen Kamm scheren. Lade auf, Menschen rein, Lade zu – das funktioniert nicht. Hat es nie, nicht bei den 68ern, nicht bei den Babyboomern, nicht bei der Generation X oder eben Y.

Durchschlagen

Was dieser Studi-Generation aber gemein ist: Ihre Vertreter sind in einer ausgewachsenen Wirtschaftskrise groß geworden. Mit den Folgen, dass sie leisten ohne Gewissheit, was sie dafür in der Arbeitswelt bekommen. Tino E. Bargel fasst es so zusammen: „ Es ist weniger ein überzeugter Pragmatismus, den die Studierenden vertreten, sondern vielmehr ein Sichdurchschlagen – mit ungewissem Ausgang.“

Die aktuelle Jugend- Trend-Monitor- Studie bestätigt, dass im Leben der Jungen nicht alles gut ist: Die 14- bis 29-Jährigen empfinden den Leistungsdruck in der Gesellschaft als zunehmend bedrohlich. Acht von zehn Befragten beurteilen ihn tendenziell größer im Vergleich zu ihren Eltern (73,8 Prozent). Die Angst vor dem Jobverlust steht in der Sorgenskala gleich nach persönlichen Schicksalsschlägen wie Tod oder Erkrankung eines Familienmitglieds oder eines Freundes. Die Studierendensozialerhebung zeigt, dass mehr als ein Drittel große finanzielle Probleme hat. Die meisten sind berufstätig: 62 Prozent der Studierenden stellen ihr Budget selbst auf. Jeden Zweiten strapaziert die Kombination aus Arbeit und Studium. Von wegen Studentenleben, Nächte durchtanzen, lang schlafen und im Park abhängen. Die Realität ist eher ein Semmerl, das in der U-Bahn am Weg vom Job in die nächste Lehrveranstaltung verschlungen wird.

Sie stehen doch auf

Alles Umstände, auf die diese Generation reagiert. Mit ihrem eigenen Rezept: Sie gehen ihren eigenen Weg, sie haben ihre eigenen Ideen, in ihrer eigenen Geschwindigkeit. Immer mehr Studierende müssen Geld verdienen. Das ist nicht optimal, weil sie dadurch in der Regel länger für das Studium brauchen, macht sie aber ironischerweise unabhängiger, selbstbewusster und erfahrener.

Weiteres Plus: Viele waren im Ausland studieren. Dadurch sind sie international vernetzt und denken in großen Dimensionen. Sie können dank der Technologie auf mehr Wissen zugreifen, als jede Generation zuvor, sie können selbstständiger und kollaborativer arbeiten – ein wichtiges Asset.

In Wahrheit hat jeder, der nicht dazugehört, ein wenig Angst vor ihnen. Oder ist eingeschüchtert, ob ihrer Erfahrung im jungen Alter, ob ihres selbstverständlichen und unkomplizierten Umgangs mit Internet und Social Media, ob ihres stillen Engagements, das oftmals gänzlich auf Statussymbole verzichtet.

Auch unsere drei Beispiele – sie alle sind Mitte 20 – verzichten auf Fanfare und den roten Teppich: Karin Pötzelsberger und Markus Zuckerstätter haben einen Verein für die Betreuung jugendlicher, behinderter Menschen gegründet. Sebastian Höbarth hat „Lilly“, einen kostenlosen Routenplaner für Linzer Öffis programmiert. Und die Designerin Magdalena Akantisz versucht der Vergänglichkeit entgegenzuwirken. Sie upcycelt kaputte, alte und scheinbar wertlose Gegenstände zu einzigartigen Designer-Stücken.

Man könnte diese Generation statt Y eben auch anders nennen: Weltverbesserer, Individualisten, Freigeister.

Als Karin Pötzelsberger, 24, ehemalige Studentin der Sozialen Arbeit an der FH Salzburg, vergangenes Jahr mit ihren Studienkolleginnen abends etwas trinken geht, wirft sie einen Satz in die Runde, der die Stimmung kippen lässt. „Ich werde einen Verein für die Betreuung jugendlicher, behinderter Menschen gründen.“ „Nicht dein Ernst! Das geht doch nicht! Zu viele Prüfungen, zu viel Stress. Du bist doch Studentin!“ empören sie sich. „Und ob das geht“, sagt sie und wagt mit ihrem Freund Markus Zuckerstätter, der an der Uni Salzburg seinen Bachelor in Recht und Wirtschaft macht, die Vereinsgründung.

Gründung im Uni-Sturm

„Keine Ahnung, wie wir das alles geschafft haben“, lacht Karin heute. Neben dem Aufbau des Vereins studieren beide regulär, Karin schreibt zudem an ihrer BA-Arbeit. „Wir haben uns trotzdem zum richtigen Zeitpunkt getraut“, sagt der 25-Jährige.

Ihr Verein „ACTIVE“ wächst, namhafte Sponsoren unterstützen die Gründer, bis zu 40.000 Euro an Spenden brauchen sie jedes Jahr. Mit diesem Geld wird den beeinträchtigten Teilnehmern von zwölf bis 30 Jahren eine abwechslungsreiche Freizeitgestaltung ermöglicht: Ausflüge, Urlaub am Meer, Feste und auch Kultur. „Das Engagement der heutigen Studierenden hängt von ihrer Persönlichkeit ab“, denkt Markus über seine Generation nach. Manche wären träge, viele aber engagiert. „Wir jedenfalls konnten nicht anders, als unseren Wunsch zu helfen, wahr zu machen.“


Vor einer Woche hat Sebastian, 25, seine Master-Prüfung bestanden. Die Bilanz seines fünfjährigen Studiums des Mobile Computing an der FH Oberösterreich: Bestnoten und neun Preise. Viele davon international hoch anerkannt. Erst kürzlich gewinnt er mit seiner Entwicklung „Lilly“, einem kostenloser Routenplaner für Linzer Öffis, den vierten Platz der „Apps4Austria“ Challenge. Mit diesem expandiert er jetzt nach Wien. Zusätzlich zu seiner Studien-Sprache English und seiner Muttersprache Deutsch beherrscht er noch sieben Programmiersprachen.

Student und selbstständig

„Ich arbeite eigentlich sieben Tage die Woche“, sagt Sebastian. Er hat Spaß daran. „Wenn ich keinen hab, mache ich das Projekt nicht.“

Bereits in der HTL hat er die meisten Fehlstunden in der Klasse, weil er nebenher immer jobbt. Hat sich das früher negativ auf seine Noten ausgewirkt, ist es heute umgekehrt. „Das Programmieren liegt mir. Ich kann alles, was ich lerne, sofort umsetzen.“ Und das wissen mittlerweile viele Unternehmen zu schätzen, für die der 25-Jährige als Selbstständiger entwickelt. Oft ist er der Jüngste im Team. Darauf ist er stolz. „Wenn ich ständig mit Studienkollegen fortgehen würde, würd’ alles nix werden“, sagt Sebastian. „Meine Prioritäten liegen eben anders. Damit setze ich aber, glaube ich, auf das Richtige.“ Nach seiner Prüfung will er trotzdem kurz in den Urlaub – vielleicht.

Sie verwandelt leere Toffifee-Verpackungen in schicke Lampen. Alte Badewannen in Blumenbeete. Aus zerquetschten Kaffee-Kapseln macht sie Ringe, Ketten und Haarspangen. Magdalena Akantisz, 25, „upcyclelt“ kaputte, alte und scheinbar wertlose Gegenstände zu Designer-Stückchen. Für den Blog www.weupcylce.com, den sie mit ihrer Freundin und Studienkollegin Lisa Schultz während ihres Kommunikationsdesign-Studiums an der Angewandten Uni in Wien startet, heimsen sie vergangenes Jahr den Venus Award „Rookie of the Year“, ein.

Designerin mit Stundenplan

Heute arbeitet Magdalena als freischaffende Grafikerin und Designerin. Weil ihr ein Studium nicht genug ist, inskribiert sie nach ihrem Abschluss 2011 gleich wieder.

Diesmal Industriedesign, aber „am liebsten würde ich noch was anderes studieren – es gibt noch so viel mehr“, schwärmt sie. Zwischen Vorlesungen und Prüfungen nimmt sie an Design-Wettbewerben teil (wie aktuell dem Rado Star Prize), vergangenes Jahr stellte sie im Rahmen der Vienna Design Week mit ihrem Design-Partner Peter Mahlknecht ihre Ideen zur Vergänglichkeit aus. Ihre Motivation jedenfalls ist nicht vergänglich. Dass sie sich mit dieser von ihren Studienkollegen abhebt, findet sie nicht. „Fast alle, die ich kenne, machen mehrere Dinge gleichzeitig.“


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