Jus an der FH? "Schnapsidee"

Franz von Zeiller, „Vater“ des ABGB, schaut Paul Oberhammer über die Schulter.
Jus ist auch ein Verlegenheitsstudium, Dekan Oberhammer will trotzdem den offenen Zugang.

KURIER: Minister Reinhold Mitterlehner überlegt Zugangsbeschränkungen in Jus. Uni Wien-Rektor Heinz Engl sieht hier keinen Bedarf. Was sagen Sie, als Dekan der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Uni Wien dazu?

Paul Oberhammer: Ich sehe auch keinen Bedarf nach einer Zulassungsprüfung. Was könnte eine Zulassungsprüfung denn für uns leisten? Wir haben jedes Wintersemesters 2300 Studienanfänger. Man wird durch Zulassungsprüfungen ein paar Hundert Studienanfänger weniger aufnehmen. Insofern ist sie für mich sinnlos: Sie ist, wenn sie nur zu einer marginalen Auslese führt, wirkungslos, weil sie ohnehin nur die Leute trifft, die nach drei Wochen draufkommen, dass das Studium nichts für sie ist. Sie ist, wenn sie intensiv auslesen würde, politisch unrealistisch, weil mir niemand erlauben wird, mit demselben Personal und Budget ein Zehntel der Studierenden zu unterrichten. Und sie kostet Geld.

In den Foren wird im Jus-Studium von Knock-out-Prüfungen im ersten Semester berichtet – besser als eine Aufnahmeprüfung zu Beginn?

Zunächst haben wir keine Prüfung, die wir als Knock-out-Prüfung konzipiert haben, sondern wir stellen allgemein hohe Anforderungen. Das ist fair und angemessen, weil die Studierenden einen Beruf ergreifen wollen, der hohe Verantwortung mit sich bringt, hohes Einkommen und hohes Sozialprestige. Es ist wahr, dass im ersten Abschnitt eine intensive Auslese stattfindet.

Rund 700 Studierende bleiben im zweiten Abschnitt übrig.

Die können wir gut bewältigen. Wir lesen aber auf der Grundlage unseres Bildungsangebots aus: Wir lassen die Leute herein, wir bieten ihnen eine Ausbildung an, wir geben jedem eine Chance. Wir können dann aufgrund der Anforderungen die wir stellen, und aufgrund der Inhalte, die wir selbst gelehrt haben, feststellen, wer engagiert und talentiert genug ist, um das Studium fortzusetzen. Das finde ich wesentlich fairer, objektiver und fachlicher, als wenn ich im Juli mit Leuten einen sterilen Test mache, die in ihrem Leben noch nie Jus gelernt haben.

Sehen Sie in Zugangsbeschränkungen eine Hürde für Junge mit sozial schwachem Hintergrund?

Das wird sicher der Fall sein. Wir sind zum Beispiel für Österreicher mit Migrationshintergrund das attraktivste Studium an der Uni Wien. Wir haben elf Prozent der Studierenden der Uni Wien, aber 13 Prozent der Migranten. Unsere Studierenden kommen mit allen möglichen Hintergründen: Aus Anwaltsfamilien, aus Bauernfamilien aus dem Zillertal, aus der Migrantenfamilie aus dem 16. Bezirk.

Jus ist generell das beliebteste Studium – auch, weil es oft von Studierenden gewählt wird, die nicht genau wissen, wohin.

Jus ist traditionell auch ein Verlegenheitsstudium. Aber es ist attraktiv, weil es eine Berufsausbildung ist, die mit relativ klaren Berufsprofilen und mit sehr realen Arbeitsmarktchancen verbunden ist. Alle unsere Absolventen haben bald einen Job – das bestätigen Studien. Das zieht an.

Kürzlich hat die Fachhochschulkonferenz damit aufhorchen lassen, dass man sich vorstellen könnte, Jus an den FH zu lehren.

Ich halte das für eine absolute Schnapsidee. Auch in Deutschland und der Schweiz, wo die FH ausgeprägter und das System weiterentwickelt ist, studiert man Jus an der Universität. Die Leute, die wir heute ausbilden, praktizieren in den Jahren 2020 bis 2060. Das Recht ändert sich mit einer immer größeren Geschwindigkeit und nichts hat eine kürzere Halbwertszeit als das How-to-do-Wissen. Wir brauchen eine Ausbildung die praxisrelevant ist, die Denkvermögen, geistige Beweglichkeit und den juristischen Blick vermittelt. Wie man ein Formular ausfüllt lernen sie dann in der Praxis.

Jus gilt als Studium, das man aussitzen muss, da braucht es Sitzfleisch – stimmen Sie dem zu?

Jeder muss fleißig sein. Es gibt bei Jus niemanden, der so begabt ist, dass er mit wenig lernen durchkommt. Doch es ist eine verbreitete Fehlvorstellung, dass man Gesetze auswendig lernen muss. Man muss komplexe Zusammenhänge verstehen lernen und lernen, wie man sie auf konkrete Fälle anwenden kann.

Wie viel Raum ist in einem Studium mit 2300 Anfängern der Diskussion gegeben und wie viel Menschenbildung ist möglich?

Wir haben zwar eine große Studierendenzahl zu Beginn, aber im zweiten Abschnitt sind oft 30 Leute in einer Gruppe, vielleicht 100. Da kann man schon diskutieren.

Hat der Diskussionsdurst der Studierenden abgenommen?

Das würde ich nicht sagen. Die besten Studierenden sind heute besser als die besten meiner Generation.

Was wären Ihre Wünsche fürs Juridicum?

Mehr Platz in Büros und Bibliothek, mehr Datenbankzugänge, mehr Bücher, mehr Hörsaalkapazität. Im Personalbereich gibt es auch den Wunsch nach der einen oder anderen Stelle.

Paul Oberhammer wurde 1965 in Innsbruck geboren und wuchs in Kärnten auf. Von 1985 an studierte an der Universität Wien Rechtswissenschaften. Nach Stationen an Universitäten in Greifswald, Halle, Zürich, wo er bis 2011 Inhaber des Lehrstuhls für schweizerisches und internationales Zivilprozessrecht, Schuldbetreibungs- und Konkursrecht sowie Privat- und Wirtschaftsrecht war, kam er 2011 als Universitätsprofessor für Zivilverfahrensrecht zurück an die Uni Wien. Seit 2012 ist er zudem ständiger Gastprofessor an der Law School der Universität St. Gallen. Seit 1. Oktober 2014 ist er Dekan der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Wien.

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