Der Weg ist nicht immer das Ziel

Privat honorarfrei
Sorgen und Ängste machen auch vor Harvard Studierenden nicht halt. Eine Reportage.

It’s more like a vehicle than a destination“, meint Devrett nach viel überlegen. Wir sprechen über Harvard. Um genau zu sein: Ob ein Studium hier das Ende aller Zukunftsängste bedeutet. Für den 19-jährigen College-Freshman ist Harvard lediglich ein Transportmittel. Eines, welches ihn hoffentlich seinem Traumberuf näher bringen wird. Er möchte später in einem Hightech-Unternehmen arbeiten und Start-ups gründen. Unmittelbare Zukunftsängste verspürt er im Moment keine. „Solange man offen für seine Ziele ist und Möglichkeiten am Schopf packt, wird es schwierig, an diesem Ort enttäuscht zu werden.“

An seiner High School war Devrett Jahrgangsbester. In Harvard ist das anders: Hier ist er einer unter sehr vielen. Er ist Mitglied einer Gruppe junger Leute, die es gewohnt sind, in der ersten Liga zu spielen und vor der Konkurrenz davonzuziehen. Der dabei entstehende Druck, sich innerhalb dieses elitären Kreises zu behaupten, kann mitunter enorm werden.

Ali ist schon zwei Jahre länger College-Student hier. „In Harvard“, so sagt er, „wird alles zum Wettbewerb. Das fängt bei den Leistungen an und hört bei der Anzahl getrunkener Biere auf. Es geht nur um den Vergleich. Wer schafft mehr, wer kann länger, wer springt weiter.“ Nach dem Abschluss plant Ali, in einer Investmentbank einzusteigen um „ordentlich viel Geld zu verdienen. Nach vier Jahren Harvard ist man für dieses Berufsfeld perfekt vorbereitet.“ In den großen Investment-Häusern würden ähnliche Bedingungen, wie am College gelten: Hoher Druck, kurzfristige Projekte, lange Arbeitsstunden und extremer Wettbewerb.

HBS-Lebensversicherung
Auf der anderen Seite des Charles Rivers sieht die Situation nicht weniger herausfordernd aus. Dort befindet sich die renommierte Harvard Business School, kurz: HBS. Elisabeth von Lichem ist eine der dort studierenden Österreicherinnen. Nach einem Doppeldiplom von der Sciences Po in Frankreich und der London School of Economics krönt sie ihren Bildungsweg nun mit dem Harvard MBA. Sind damit nun bei ihr die künftige Karriere und das finanzielle Auskommen gesichert? „Ich denke nicht, dass ich durch einen MBA für mein Leben ausgesorgt habe und mich um Jobs nicht mehr bemühen muss. Was ich aber glaube ist, dass der MBA zwei große Vorteile mit sich bringt: man wird Teil eines internationalen Netzwerkes, und der Name der Universität hat eine besondere Signalwirkung.“ Wenn man so will, könne man diese beiden Aspekte als Teil der „HBS-Lebensversicherung“ bezeichnen, fügt sie mit Augenzwinkern hinzu.

Und wie fühlt es sich an, unter so vielen herausragenden Kommilitonen zu studieren? Setzt man sich dabei nicht enorm selbst unter Druck, um mithalten zu können? „Ich denke, das hängt sehr vom akademischen System der einzelnen Schools in Harvard ab. Vom College habe ich den Eindruck, dass dort der Wettbewerb um gute Noten viel stärker ist. An der Business School spielen diese aber so gut wie keine Rolle. Bis vor Kurzem wurden sie nicht einmal auf dem Zeugnis abgebildet. Wir sind da, um zu lernen und nicht, um uns auf Basis von Noten zu vergleichen“, sagt Elisabeth von Lichem.

Ask what you can do
Überquert man den Campus der Harvard Kennedy School of Government, muss man an die Worte ihres Namensgebers denken, aus denen sich das Schulmotto ableitet: „Ask not what your country can do for you – ask what you can do for your country“. Jann Spiess ist einer der deutschen McCloy-Stipendiaten, die hier für zwei Jahre im Master Program für Public Policy studieren dürfen und sich somit für Spitzenämter im öffentlichen Sektor qualifizieren. „Wenn du mich vor zwei Wochen gefragt hättest, ob ich unter Druck stehe, hätte ich Ja geantwortet. Ich war sehr angespannt wegen meiner PhD-Bewerbungen. Vor ein paar Jahren dachte ich mir: Sobald ich in Harvard aufgenommen bin, muss ich mir keine Sorgen mehr machen.“ Das Gegenteil sei der Fall. „Prinzipiell ist es nicht notwendig, hier zu den Besten gehören zu müssen. Man kann auch mitschwimmen.“ Manchmal helfe dieser Gedanke, Druck abzubauen. Manchmal aber auch nicht.

In Harvard ist die Dichte an interessanten und unterschiedlichen Persönlichkeiten extrem hoch. Trotz ihrer Verschiedenheit haben die Studierenden eines gemeinsam: Sie streben nach Erfolg und Weiterentwicklung. Die Schlussfolgerung, dass mit dem Namen Harvard alle Sorgen verschwinden, ist aber falsch. Der Weg ist hier nicht das Ziel.

Für die einen ist es ein Segen, für die anderen ein Fluch: Das jährlich veröffentlichte Times Higher Education World Reputation Ranking (THE). Ein Segen ist die Rangliste für die Harvard University, weil sie seit Jahren unter den Top drei gelistet ist. Heuer führt Harvard das Ranking an, gefolgt vom Massachusetts Institute of Technology (MIT) und den englischen Unis Cambridge und Oxford. Ein Fluch ist das Ranking hingegen für die österreichischen Unis, denn wie im vergangenen Jahr hat es keine unter die Top 100 geschafft. Die Uni Wien habe diese Elite-Gruppe allerdings nur knapp verfehlt, so Ranking-Herausgeber Phil Baty zur Austria Presse Agentur. Alle anderen heimischen Unis rangieren außerhalb der Top 200.
Die angesehenste zentraleuropäische Universität ist die ETH Zürich auf Platz 20, gefolgt von der Ludwig-Maximilians-Universität München (44).
Die Wertung basiert auf einer Befragung von Wissenschaftern, die in ihrem Forschungsfeld die bis zu 15 besten Universitäten angeben sollten.

Kommentare