Datenleck: PISA ist abgesagt

Datenleck: PISA ist abgesagt
Bildungsministerin Gabriele Heinisch-Hosek stoppt kurzfristig alle zentralen Tests.

Österreichs Schülern wird von ihrer obersten Chefin eine Pause verordnet. Bildungsministerin Gabriele Heinisch-Hosek hat alle zentralen Tests für heuer und das kommende Jahr abgesagt: PISA-Feldtestungen, TIMSS ("Mathe-PISA für Volksschulen") oder die Bildungsstandards wird es also nicht geben.

Als Grund für die Absage nennt die Ministerin das Datenleck beim Bildungsforschungsinstitut bifie. Hintergrund: Erst Ende Februar wurde bekannt, dass bifie-Daten auf einem rumänischen Server öffentlich einsehbar waren. Damals handelte es sich um die Ergebnisse der IKM, der Informellen Kompetenzmessung (der KURIER berichtete).

Heinisch-Hosek begründete den radikalen Schritt damit, dass sie keine Testungen durchführen lasse, solange nicht gewährleistet sei, dass die Schülerdaten sicher seien. "Ich muss das Vertrauen der Schüler und Lehrer zurückgewinnen", sagt die Ministerin, die für Dienstagabend Eltern, Lehrer und Schüler ins Ministerium geladen hat, um das weitere Vorgehen mit ihnen zu besprechen. Vor allem Schüler und Eltern sind derzeit verunsichert, wie es mit der Zentralmatura weitergeht. Denn schon heuer läuft sie an vielen Schulen als Schulversuch. Jetzt könnte auch die Zentralmatura ein "Opfer" des bifie-Datenlecks sein.

Die ersten Betroffenen der Testabsage sind alle Schüler der vierten und achten Schulstufe. Die hätten nämlich bereits im April die Bildungsstandards im Fach Deutsch ablegen sollen.

Gedruckt und unterwegs

Für Eckehard Quin, oberster AHS-Lehrervertreter, ist die Entscheidung, die Tests abzusagen, unverständlich: "Diese Tests sind schon gedruckt und auf dem Weg zu den Schulen. Lehrer haben sich stundenlang darauf vorbereitet. Die Kosten dafür gehen in die Millionen. Das Geld ist jetzt in den Sand gesetzt." Sein Vorschlag: "Die Bildungsstandard-Tests, die ja auf Papier sind, von den Schülern machen lassen und sie erst dann digitalisieren, wenn das Datenleck behoben ist."

Der Grüne Bildungssprecher Harald Walser forderte die Ministerin zur Besonnenheit auf. "Das ist offenbar eine Panikreaktion. Entweder es steht ein riesiger Skandal an, oder die Vorgangsweise ist einfach nicht nachvollziehbar." Sein Kollege Walter Rosenkranz (FPÖ) vermutet hinter der Entscheidung rein ökonomische Gründe: "Der eigentliche Grund für das Aussetzen der Prüfungen sind die leeren Kassen."

Aus internationalen Tests, wie PISA oder TIMMS, könne man nicht so einfach aussteigen. Darauf weist Fritz Enzenhofer, Sprecher der VP-Landesschulratspräsidenten hin. "Ich hoffe, das Ministerium hat Kontakt mit der OECD aufgenommen. International verliert man enorm an Ansehen, wenn man nicht in der Lage ist, solche Tests durchzuführen."

Offenbar wurde aber noch nicht mit der OECD gesprochen. Der für PISA zuständige Andreas Schleicher sieht keinen Grund, die PISA-Feldtestungen im kommenden Jahr nicht durchzuführen. Ohne sie darf Österreich aber nicht am eigentlichen PISA-Test teilnehmen und wäre somit der erste Staat, der einen Durchgang auslässt. Für Experten wie Bildungspsychologin Christiane Spiel ist das „sehr bedauerlich. Ohne solche Studien fehlen die Daten als Korrektiv. Es ist wichtig, die Erfolge von Maßnahmen zu sehen.“

Nachdenkpause

Heinisch-Hosek will die Zeit jedenfalls nutzen, um in der selbst auferlegten Testpause zu überlegen, welche zentralen Prüfungen überhaupt sinnvoll sind.

Thomas Bulant, FSG-Pflichtschullehrervertreter sieht da vor allem im Umgang mit den Tests Diskussionsbedarf: "Die Bildungsstandards sind bei vielen Lehrern noch nicht als Evaluationsmechanismus angekommen." Im Klartext: Die Pädagogen sehen sich und ihre Arbeit durch die zentralen Tests kontrolliert. "So werden die Lehrer in eine Schülerrolle gedrängt", glaubt Bulant. Doch damit würden die Tests das Gegenteil von dem bewirken, was sie eigentlich sollten: Sie waren ursprünglich als Instrument gedacht, um den Unterricht zu verbessern. "Die Schulentwicklung – also wie der Unterricht am Standort verbessert werden kann – sollte immer in Augenhöhe mit der Schulaufsicht passieren." KURIER Schüleranwalt

Jahrzehntelang kannte das österreichische Bildungswesen keine zentralen Tests. Bis 2000, als die OECD uns PISA bescherte. Nach einer kurzen Schockstarre reagierten Bildungsverantwortliche auf das eher bescheidene Abschneiden der österreichischen Schüler. Durch zentrale Tests – so die Hoffnung – könne man die Schüler und Lehrer zu höherer Leistung anspornen.

So kam es, dass plötzlich die Beamten im Bildungsministerium und in den Landesschulräten ihre Lust am Entwerfen zentraler Tests entdeckten. Die Schüler mussten sich immer häufiger standardisierten Prüfungen unterziehen. Ein Wiener Hauptschullehrer zählte einmal 17 (!) Tests auf, die seine Schüler machen sollten – angefangen vom Wiener Lesetest bis hin zu PISA, Bildungsstandards und informellen Kompetenzmessungen reichte die Palette. Das war zu viel des Guten. Die Schüler übten nur noch, wie man Tests möglichst gut übersteht.

Doch der Weg von Ministerin Heinisch-Hosek, alle zentralen Tests abrupt auszusetzen, ist überstürzt und wenig durchdacht. So bringt sie Unruhe in die Schulen – Schüler und Lehrer sind verunsichert. Diese wissen jetzt erst recht nicht, woran sie sind.

Heinisch-Hosek hat sich selbst eine Nachdenkpause verordnet. Keine schlechte Idee, ein paar Anregungen dazu: wie wär’s mit einer verbesserten Lehreraus- und fortbildung sowie einer funktionierenden Schulaufsicht?

Seit 2009 gelten in Österreich zusätzlich zum Lehrplan auch Bildungsstandards, mit denen festgelegt wird, was ein Schüler in der vierten (Deutsch, Mathematik) bzw. der achten Schulstufe (Deutsch, Mathe, Englisch) können soll. Seit 2012 wurde jedes Jahr im Frühjahr - jeweils abwechselnd in anderen Fächern bzw. Schulstufen - überprüft, ob die Schüler diese Standards auch erreichen.

Die Ergebnisse der Bildungsstandard-Testungen liegen jeweils Ende des Jahres bzw. am Anfang des nächsten Jahres vor und haben keinen Einfluss auf die Noten der Schüler bzw. die dienstrechtliche Leistungsbewertung der Lehrer. Nur der Schüler selbst erfährt, wie er persönlich abgeschnitten hat. Der Lehrer bekommt das (anonymisierte) Gesamtergebnis seiner Klasse, die Schulleitung das ihrer Schule bzw. der einzelnen Klassen, die Schulaufsicht die allgemeinen Teile der Schulberichte sowie Regionalergebnisse, die Landesschulräte die Landesergebnisse sowie das Bildungsministerium einen Bundesbericht. Die Tests sollen Mängel aufzeigen, auf die dann etwa durch Änderungen der Lehreraus- und -fortbildung, der Lehrpläne, Bücher oder beim Stundenausmaß einzelner Fächer reagiert werden kann.

2012 wurden alle rund 80.000 Schüler der achten Schulstufe (4. Klasse Hauptschule, AHS-Unterstufe oder Neue Mittelschule) im Fach Mathematik überprüft. 2013 waren alle jeweils rund 80.000 Schüler der vierten Klasse Volksschule im Fach Mathematik und der achten Schulstufe im Fach Englisch an der Reihe. Heuer hätte Deutsch in der achten und "Deutsch, Lesen, Schreiben" in der vierten Schulstufe folgen sollen. Diese Tests wurden nun ins nächste Jahr verlegt, in dem es eigentlich eine Testpause hätte geben sollen. Anschließend werden die einzelnen Fächer im Zwei-Jahres-Rhythmus abgetestet.

PISA ist der größte internationale Schüler-Leistungstest. Dabei werden alle drei Jahre die Kenntnisse von 15- bis 16-Jährigen Schülern in Lesen, Mathematik und Naturwissenschaften getestet. TIMSS vergleicht die Kompetenzen der Zehnjährigen in Mathematik und Naturwissenschaften.

Das Programme for International Student Assessment (PISA) wird von der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) durchgeführt, bei der aktuellsten Ausgabe 2012 haben rund 500.000 Schüler aus 66 Ländern teilgenommen, aus Österreich waren rund 5.000 Jugendliche dabei. Bei der jüngsten Ausgabe lagen die Ergebnisse der 15- bis 16-jährigen Österreicher in der Mathematik signifikant über, in den Naturwissenschaften im OECD-Schnitt und in Lesen darunter.

Für die Trends in International Mathematics and Science Study (TIMSS) testet die International Association for the Evaluation of Educational Achievement (IEA) alle vier Jahre die Mathematik- und Naturwissenschaftskenntnisse von Schülern am Ende der vierten und achten Schulstufe. Österreich nimmt allerdings nur in der vierten Klasse Volksschule teil. Insgesamt beteiligten sich bei der jüngsten Ausgabe 2011 77 Länder bzw. Regionen, in Österreich wurden rund 5.200 Schüler aus 160 zufällig ausgewählten Schulen getestet. In den Naturwissenschaften war das Ergebnis zuletzt deutlich über dem Gesamt- sowie EU-Schnitt, in Mathematik über dem Gesamt-, aber unter dem EU-Schnitt.

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