Auszeit auf hoher See
Kündigen, packen und weg, weit weg. Bettina Neid hat im vergangenen Sommer genau das getan. Nach 25 Jahren Karriere in einer Bank ergriff die 46-jährige Niederösterreicherin die Abenteuerlust. Nicht ohne einen Plan: Sie meldete sich beim „Clipper Round the World Yacht Race“ an, einer elf Monate dauernden Yacht-Regatta. Es sollte einmal um die Welt gehen – ohne Segelerfahrung zu haben. Doch dann kam Corona und die Regatta musste auf halber Strecke abgebrochen werden. Wie fasst eine Weltenbummlerin so plötzlich wieder Fuß?
KURIER: Sie waren seit August 2019 Weltreisende, Ihr letzter Stopp waren die Philippinen. Nun sind Sie wieder in Österreich. Das war sicher hart für Sie.
Bettina Neid: Ja, die Absage hat uns alle sehr getroffen. Ich habe bis zum Schluss gehofft, dass das Rennen irgendwie weiter stattfinden kann. Ich hatte ja zu Hause keine Wohnung mehr, kein Auto und keinen Job.
Haben Sie mittlerweile Arbeit gefunden?
Ja, zum Glück konnte ich bei meinem alten Arbeitgeber wieder anfangen, ein Auto habe ich mir mittlerweile auch gekauft. Um die Kosten niedrig zu halten, wohne ich aber bei einer Freundin. Denn die Regatta soll im Februar 2021 fortgesetzt werden und ich werde wieder an Bord gehen.
Waren Sie immer schon so flexibel?
Eigentlich bin ich der Typ Mensch, der gerne einen Plan hat und auch lange im Voraus plant. Ich brauche schon eine gewisse Sicherheit. Aber wenn mein Vorhaben nicht funktioniert, habe ich schnell einen Plan B bei der Hand. Eine gewisse Flexibilität hatte ich also immer schon, sonst könnte ich auch so eine Regatta nicht machen.
Wieso gibt man einen gut bezahlten Job in einer Bank auf? Haben die Abenteuer gefehlt?
Den einen ausschlaggebenden Grund gibt es nicht. Ich habe einfach schon so lange am Stück gearbeitet, gleich nach der Schule habe ich angefangen. Ich hatte kein Studentenleben, wo man in der freien Zeit mal verreist. Und ich hatte das Gefühl, dass mir etwas fehlt, das ich eine Pause brauche. Dann gab es ein paar Schicksalsfälle in meinem Umfeld, darunter eine Krebserkrankung. Ich dachte mir, wenn mich das trifft, habe ich nicht so viel, worauf ich zurückblicken kann. Jetzt aber bin ich fit und flexibel genug, um so ein Abenteuer zu erleben.
Und wie war das Leben an Bord?
Auf sozialer Ebene ist das Leben an Bord natürlich nicht immer einfach. Da kommen viele verschieden Charaktere zusammen, aus allen möglichen Ländern, Altersgruppen und Hintergründen. Und: Man teilt sich immer ein Bett mit einem zweiten Kollegen, weil wir in Wachdiensten eingeteilt sind. Während der eine schläft, steht der andere an Deck und arbeitet. Da kann es schon mal Reibereien geben. Aber es fügt sich dann immer ganz gut zusammen, da wir ja alle dasselbe Ziel haben – nämlich zu segeln. Das verbindet.
Spielt der soziale Hintergrund eine Rolle oder sind an Bord alle gleich?
Es ist völlig egal, ob man im „richtigen Leben“ ein Unternehmen mit 100 Mitarbeitern geführt hat. Bei uns steht jeder in der Küche, kocht, wäscht ab, oder sitzt draußen im Kalten bei Wind und Wetter und schiebt Nachtwache. Es ist ja keine Vergnügungsfahrt, hier muss jeder hart anpacken.
Man lernt also zwangsläufig viel über Diversität im Team-Gefüge?
Wir sitzen im wahrsten Sinne des Wortes alle in einem Boot. Das schweißt zusammen. Eine Person allein kann hier nicht viel ausrichten. Wenn du eine Wende machen willst, brauchst du mindestens zwei Leute, die dir da helfen. Man lernt: Jeder hat seine Stärken und Schwächen, jeder erledigt seine Aufgabe und jeder leistet einen wichtigen Beitrag.
Geht es an Bord nicht sehr hierarchisch zu? Mussten Sie lernen, Befehlen Folge zu leisten?
Nein. Der Skipper und der zweite Offizier haben zwar letztendlich das Sagen. Aber jeder hat einen anderen Führungsstil. Unser Skipper lässt uns erst machen und stellt sich eher in den Hintergrund. Er meinte immer, dass er einfach der Hausmeister ist und nur eingreift, wenn es notwendig ist. Wir waren also sehr selbstständig.
Was macht man, wenn man nicht im Dienst ist?
Nicht viel – so viel wie möglich ausruhen und schlafen. Das Boot ist ja ständig in Bewegung, das zehrt. Im Dienst sitzt man manchmal aber auch nur an Deck, schaut aufs Wasser, geht seinen Gedanken nach und wartet auf ein Manöver oder darauf das Steuer zu übernehmen.
Sind Sie je krank geworden, gab es Notfälle?
Es gab an Bord bisher zwei Notfälle, einer davon war ich (lacht). Mitten auf dem Ozean , bei hohem Wellengang, wurde ich an einer Platzwunde am Kopf genäht – die Spinnakerleine hat mich verletzt. Und leider werde ich nach längerem Aufenthalt an Land immer wieder seekrank. Aber das vergeht schnell wieder.
Was hat Ihnen die Auszeit gebracht? Konnten Sie sprichwörtlich Ihren Horizont erweitern?
So eine Reise kann schon die persönliche Einstellung verändern. Ich nehme gewissen Dinge nun bewusster wahr und setze Prioritäten anders als früher. Es muss nicht immer alles perfekt sein. Das Leben auf engstem Raum fördert auch das Verständnis von Teamarbeit. Bis zu einem gewissen Grad muss jeder an Bord zusammenarbeiten können, auch wenn man sich vielleicht nicht mag. Trotzdem kann man das erklärte Ziel gemeinsam erreichen.
Sie haben Ihre Entscheidung also nie bereut?
Es war genau das Richtige für mich. Es hat mir wahnsinnig gutgetan. Das Boot war meine kleine Welt. Alles andere war unwichtig.
Zur Person
Bettina Neid, 46, arbeitete vor der Teilnahme am „Clipper Round the World Yacht Race“ bei der Liechtensteinischen Landesbank (Österreich) AG. Die Teilnahme an der Regatta hatte sie 50.000 Pfund gekostet – sonstige Ausgaben exklusive. Trotzdem habe sie während der Regatta „nicht komplett auf Sparflamme“ gelebt, so Neid. „Lag die Yacht im Hafen, habe ich immer im Hotel geschlafen und hab mich über ein sauberes Bett gefreut, einen privaten Bereich für mich und eine Klospülung.“ Jetzt, nach Abbruch der Regatta arbeitet Neid wieder in der Bank und wohnt in einer WG. Im Februar 2021 will sie die Regatta fortsetzen und von Manila aus die 6.000 Meilen lange Königsetappe über den Pazifik nach Seattle segeln.
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