Aufbruch, Stimmung: Zeit für neue Wege
Der Mensch liebt Routine, sagt die Wissenschaft. Ohne Gewohnheiten wäre sein Gehirn überfordert. Außer zum Jahreswechsel – da gelten andere neurobiologische Regeln. Um diese Zeit herum fantasiert knapp die Hälfte der Österreicher über einen neuen Job, wie aktuelle Studien zweier großer Karriereportale ergeben haben. Brisantere Ergebnisse liefert die Online-Umfrage von Jobswype, durchgeführt in zehn Ländern. Demnach planen 74 Prozent der Österreicher, ihren Arbeitgeber heuer zu wechseln. Und das dürfte kein Zufall sein: Vor allem zu besonderen Anlässen überdenken wir unsere Lebenssituation. Die berufliche Zufriedenheit soll an Geburtstagen, bei Firmenfeiern oder Klassentreffen besonders stark sinken und die aktive Jobsuche ankurbeln, wie eine Studie der Personalberatung CEB belegt. Und eben auch zum Jahreswechsel – nicht umsonst haben wir die rituellen Neujahrsvorsätze erfunden. Doch sollte man den beruflichen Abflug wirklich wagen?
„Jetzt ist der Zeitpunkt, an dem man über sein Leben nachdenkt. Es ist die allgemeine Atmosphäre – das liegt in der Luft. Die überwundenen Festtage scheinen Schubkraft zu geben“, erklärt Karrierecoach Sonja Rieder das Phänomen. „Ende des Jahres suchen auch relativ wenige Firmen neues Personal und schieben den neuen Eintritt auf Jänner“, ergänzt und untermauert Arbeitspsychologin Claudia Poje. Neues Bilanzjahr – neue Perspektiven. Dazu kommt: Feiertage halten sich vorerst in Grenzen und Urlaube sind jetzt in der Regel auch noch nicht gebucht, erklärt Poje.
Arbeitslosigkeit sinkt
Auch wirtschaftlich gesehen ist die Lage stabil. Das AMS rechnet im neuen Jahr weiterhin mit einer sinkenden Arbeitslosigkeit (auf 7,5 Prozent), wenngleich sie nicht ganz so stark sinken soll wie 2017 und 2018. Auch ergibt sich ein Wirtschaftswachstum von immerhin noch 1,9 Prozent. Laut Personalberater Karl Mayr haben derzeit vor allem Pflege- und Gesundheitspersonal sowie Fachkräfte in Mangelberufen und – spezifisch – Augenoptiker gute Chancen. „Das gilt auch für die Gastronomie und Hotellerie. Buchhaltung und Lohnverrechnung bleiben stabil hoch im Kurs“, sagt er. Und das persönliche Wachstum? „Der Grund für einen Wechsel ist fast immer eine Mischung aus inhaltlichen und sozialen Gründen“, sagt Karrierecoach Rieder. Das zeigt auch eine aktuelle LinkedIn-Erhebung. Ihr zufolge ist der häufigste Grund mit 45 Prozent, dass der aktuelle Job einen persönlich nicht weiterbringt. 36 Prozent können sich mit der Unternehmenskultur nicht anfreunden. Laut der Arbeitsmarktstudie 2018 wechselt fast jeder Fünfte zudem für eine Gehaltserhöhung.
Arbeitspsychologin Poje zufolge kann jedoch auch das, was wir so dringend brauchen – Routine – nach einigen Jahren ebenfalls einen Wechseldrang bewirken: „Wir suchen den Kick, weil wir in jeder Hinsicht schnelllebig sind.“ Das Ausruhen auf den hart erkämpften Lorbeeren könne sich bei vielen auch in Langeweile ummünzen. Wichtig sei nur, nicht einer kurzfristigen Laune der Natur nachzugeben, sondern zu reflektieren, ob ein Jobwechsel Sinn macht. Und das ist vorrangig dann der Fall, wenn jemand dauerhaft widerwillig in die Arbeit geht. „Es gibt so etwas wie den ,Point of no Return’, den Menschen oft lange Zeit überschreiten. Innerlich haben sie schon gekündigt“ , sagt Rieder und ergänzt: „Nach dieser inneren Kündigung sollten sie aber nicht mehr lange warten und gleich aktiv werden, sonst hängen sie in einer Abwärtsspirale“.
In letzter Instanz
Der Jobwechsel sollte der Expertin zufolge Ultima Ratio sein, denn er beinhaltet auch ein unabschätzbares Risiko. Oftmals genüge es, intern zu wechseln oder einen neuen Bereich zu übernehmen – genannt „Jobenrichment“. Um jedenfalls nicht vom Regen in die Traufe zu kommen, empfiehlt Rieder, vorab das Gespräch mit Leuten im gewünschten Beruf oder der Firma zu suchen und zusätzlich auf Online-Portalen wie „whatchado“ zu recherchieren. „Wir leben in einer Hochglanzgesellschaft, in der wir die Realität mancher Berufe nicht kennen“, sagt sie. Ebenfalls wichtig laut Claudia Poje ist, sich zwischen altem und neuem Dienstverhältnis eine Pause zu gönnen und beispielsweise den Resturlaub zu verbrauchen. „Es ist wie in einer Beziehung: Es bedarf einer Verarbeitungszeit, um einen mentalen Schlussstrich zu ziehen und ohne Altlasten und gestärkt in den neuen Job zu gehen.“
Ist der Job-Wechsel gelungen, ist eine positive Stimmung jedenfalls – zumindest vorerst – garantiert. Wissenschaftler sprechen hier gerne vom „Honeymoon-Hangover-Effekt“. Wer demnach freiwillig die Firma wechselt, erlebt eine deutlich steigende Zufriedenheit. Die „beruflichen Flitterwochen“ am neuen Arbeitsplatz sollen bis zu drei Jahre anhalten. Und spätestens dann kommt wieder die innere Reflexion zum Zug.
Soll ich wechseln?
Alfons Röhrenbacher, Director Experis Austria der ManpowerGroup
BLEIBEN
1. Abwägen „Kann ich nicht mehr erreichen, als ich schon habe, sollte ich bleiben“, empfiehlt der österreichische Top-Headhunter. Auch wenn sich die Motivation momentan in Grenzen hält.
2. Sicherheit Bietet die derzeitige Position große soziale und finanzielle Sicherheit, sollte man nicht nur aufgrund eines Veränderungsdrangs gehen.
3. Aussichten Der Experte rät, bei guten Zukunftsaussichten wie Übernahmen, neue Produkten, Verkäufen oder frei werdenden Positionen, in der Firma zu verbleiben und abzuwarten.
GEHEN
1. Versprechen Werden Zusagen wie Prämien, Gehaltserhöhungen oder Boni nicht eingehalten, sollte man seine Stelle überdenken.
2. Verlagerung Wird die aktuelle Position beispielsweise ins Ausland verlagert und ist diese Option unattraktiv, sollte man sich nach einer passenderen Stelle umsehen.
3. Stillstand Wer in seinem Job nicht mehr aufsteigen kann, weiterkommt oder sich sozial benachteiligt fühlt, sollte ihn infrage stellen, so Alfons Röhrenbacher – und sich umsehen.
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