Auf einmal ist Freizeit ein Problem

Freizeit kann zum Problem werden - wenn sich die sozialen Bedingungen ändern
Sonntage und Urlaube sind für Vielarbeiter eine Qual. Vier CEOs und Unternehmer erzählen, wie sie runterkommen.

Sie passiert nicht einfach so. Sie kommt erst, wenn man bereit ist, zu genießen. Nur dann, wenn ihr gebührend Raum und Zeit eingeräumt wird. Aber wählerisch ist sie nicht, jeder kann sie haben. Sie ist auch nicht zimperlich: Ruhe, Müßiggang oder Abenteuer, alles kann man mit ihr machen. Sie will nur keinen Zwang und keinen Druck – so ist die Freizeit.

Was ist an ihr so problematisch? Nicht alle können sie so ohne Weiteres nutzen. Vielen flattern die Nerven, sie fühlen sich überfordert. Und finden es schwierig, einfach nur zu sein, ohne strenge Struktur und ohne Termindruck. Welchem Takt soll ihr Tag folgen, wenn keine Besprechungen anstehen, nichts zu entscheiden ist, keine Probleme gelöst werden müssen?

Freizeit ist dann anstrengend – und sie kann sogar unglücklich machen. Die Studie "Rhythms and Cycles in Happiness" der Uni Hamburg zeigt, dass vor allem Menschen mit hohem Bildungsstatus mit ihrer Auszeit hadern: Ihr empfundenes Wohlbefinden, gemessen auf einer Skala von 1 bis 10, sinkt an freien Tagen von durchschnittlich sieben auf etwa sechs Punkte ab. Bei weniger gut ausgebildeten Bevölkerungsschichten ist das Zufriedenheitsempfinden über die Woche gleichbleibend bei 6,8.

Die Erklärung des Leiters der Studie, Ökonomieprofessor Wolfgang Maennig, ist, dass viele Menschen mit hohem Bildungsgrad Arbeit als Teil ihrer Selbstverwirklichung betrachten. "Am Sonntag können sie dieser Selbstverwirklichung weniger nachgehen, weil Partner und Familie erwarten, dass man sich mit ihnen beschäftigt. Oft denken Hochgebildete insgeheim, dass sie – statt Kaffeetrinken – jetzt lieber etwas Sinnvolleres machen sollten." Wolfgang Maenning war vom Sonntagseffekt selbst überrascht: "Weil ich ihn an mir selber nicht wahrgenommen hatte. Ich hatte aber auch einen großen Teil meines Lebens kein Wochenende. Inzwischen erscheint es mir plausibel und ich beobachte es auch an mir. Manchmal gibt es am Wochenende eine Leere. Und am Sonntag eine Sorge vor dem Montag."

Fluch der Funktionalität

Alfred Lackner kennt die Fälle, für die das Nichtabschalten kein Problem ist – weil sie keinen Leidensdruck spüren. Er ist Geschäftsführer von Lackner & Kabas Organisations-Psychologie.

Vielarbeiter zu sein ist im Grunde nicht negativ. Im Gegenteil: Jene die viel arbeiten, tun es oft gerne, sind stolz darauf.

Zum Problem wird die mangelnde Freizeitfähigkeit für Personen mit durchgetaktetem Leben erst dann, wenn sie in einen neuen sozialen Kontext treten: Wenn sie jemandem mit einem ganz anderen Lebensstil kennenlernen oder, wenn wegen der vielen Arbeit eine Beziehung in die Brüche geht. Das tut weh, dadurch entsteht Leidensdruck.

Ein Problem wird die Vielarbeit auch, wenn das System kippt. Lackner erklärt: "Es gibt die Funktionalität einer Person: Manager sind es gewohnt, einen durchgetakteten Tag zu haben, ständig Entscheidungen zu treffen, zu reagieren. Aber Freizeit bedeutet Spontanität. Es ist schwierig spontan zu sein, wenn Sie nur Funktionalität kennen. Der zweite Pol einer Person ist die persönliche Substanz. Hier werden Werte gelebt, werden Selbstwahrnehmung und -reflexion betrieben." Ein guter Manager hat eine gute persönliche Substanz und baut darauf die Funktionalität auf. Wer nicht genug Substanz hat, wird irgendwann überfordert sein. Dann kippt das System, dann entsteht Leidensdruck.

Der andere Großteil

Paul Jimenez vom Institut für Arbeits-, Organisations- und Umweltpsychologie der Uni Graz, will relativieren. Er sagt, dass der weit größere Anteil der Menschen das Wochenende kritisch sieht, weil sie nicht abschalten können.

Man kennt das aus dem Freundeskreis: Wenn einer verkündet "Ich lass das Firmenhandy da", folgt einen anerkennendes Raunen. Der traut sich was.

"Viele Menschen haben Schwierigkeiten von der Arbeit wegzukommen und haben das Gefühl, der Stress hört nie auf." Das ist problematisch und erklärt die steigende Anzahl an Menschen, die von Stress im Arbeitsleben berichten. Stress, sagt die Weltgesundheitsorganisation, gehört zu den "größten Gefahren des 21. Jahrhunderts". Jeder vierte Arbeitnehmer fühlt sich im Job gestresst, jeder zweite nach dem Arbeitstag ausgebrannt.

"Balance braucht jeder", sagt Jimenez, vor allem, wenn man nur wenig Energie aus der Arbeit bekommt. "Erholung, Pausen machen, ist dringend notwendig. Ist das nicht gegeben, helfen Hundert Freunde nichts."

Was dagegen zu tun ist

Erstens: Die Freizeit nicht takten wie die Arbeit. Freizeit sollte frei von Druck und Zwang sein. Es gilt: "Ich kann, aber ich muss nicht. Alle Tätigkeiten in der Freizeit sollen einfach nur Spaß machen. "Der Anspruch ,Ich muss Erholung haben‘ ist selbst ein Widerspruch. Erholung soll geschehen. Es ist gut, wenn man ein paar Stunden einfach so vertrödelt", sagt Jimenez. Zweitens: Das Firmenhandy in der Freizeit ausschalten. "Sich selber zugestehen, dass man nicht immer erreichbar sein muss", rät er. Drittens: Realistische Erwartungen setzen. Wenn man sich zu viel erwartet, ist die Gefahr groß, dass es nicht gelingt. Viertens: Ausreichend Zeit für Urlaub einplanen. Wir brauchen laut Jimenez ein paar Tage, um uns auf den Urlaub einzustimmen und ein paar Tage, um nach dem Urlaub anzukommen. Aber: Vier Wochen Urlaub bringen nicht vier mal mehr Erholungswert. Lieber öfter im Jahr Urlaub machen, aber mindestens eine volle Woche.

KURIER: Haben Sie ein Freizeit-Problem?
Andreas Tschas: Nein, das habe ich definitiv nicht. Ich habe einen Hund.

Was tun Sie, um Abstand von der Arbeit zu gewinnen?
Ich bin täglich mit meinem Beagle unterwegs, auch am Wochenende bin ich viel in der Natur. Mir wird also nie fad. Außerdem merke ich, dass ich es immer besser schaffe, abzuschalten. Früher habe ich dazu länger gebraucht, heute bin ich nach einer Stunde schon ziemlich weit weg von der Arbeit. Sport hilft immer, kochen ist zum Entspannen super. Und lesen wirkt auch gut. Wobei ich schon sagen muss: Es gibt Phasen, in denen es schwieriger ist, weil im Job was Größeres ansteht. Aber: sonntags arbeite ich wirklich nie.

Da sind Sie auch nicht online?
Online zu sein gehört in meiner Generation zum Leben. Mails und Facebook – die sind immer präsent, sieben Tage die Woche.

KURIER: Haben Sie ein Freizeitproblem?
Carola Purtscher: Überhaupt nicht, ich liebe Freizeit. Ich schlafe gerne, lese stundenlang Zeitung, koche. Ich kann die Arbeit richtig sein lassen. Aber: Ich bin ein bisschen online-süchtig. Ich halte es nicht aus, nicht online zu gehen. Ich habe sonst das Gefühl, ich könnte etwas versäumen.

Was tun Sie, um Abstand von der Arbeit zu gewinnen?
Ich fahre gerne nach Italien, das ist für mich die totale Erholung. Da fließt die Zeit langsam dahin. Freizeit ist bei mir immer kombiniert mit Genuss.

Wie lange brauchen Sie, um runterzukommen und wie ist das dann?
Bei normalem Business schaffe ich das am Freitagnachmittag. Ich gehe aus dem Büro und lasse die Arbeit hinter mir. Freizeit ist dann wie Freiheit. Ohne Termine, ohne Druck.

KURIER: Haben Sie ein Freizeitproblem?
Eduard Kranebitter:
Überhaupt nicht. Grad das Gegenteil: Ich habe zu wenig Freizeit für all die Dinge, die ich zu tun wüsste.

Was tun Sie, um Abstand zu gewinnen?
Ich bin Tiroler. Um von meinem Pegel runterzukommen, bewege ich mich in den Bergen. Ohne Menschen, in einem einsamen Gebiet. In Tirol gibt es Seitentäler, wo man niemanden trifft. Freitagabend packe ich dann meinen Rucksack und gehe, so lange es hell ist. Dort schlage ich mein Zelt auf und schlafe. Am nächsten Tag gehe ich weiter, so lange ich kann. Da bekommt man eine Energie, das ist unvorstellbar.

Wie lange brauchen Sie, um runterzukommen?
Wenn ich losgehe, denke ich noch eine Stunde geschäftlich und dann ist das vorbei. Da relativieren sich die Dinge und alles rückt in den Hintergrund. Die Ruhe, die Natur – das ist einfach überwältigend.

KURIER: Haben Sie ein Freizeitproblem?
Birgit Noggler:
Nein, definitiv nicht. Es würde mir auch an Ideen für die Freizeitgestaltung nicht mangeln. Ich nehme mir zwar wenig Freizeit, aber die nutze ich – auch sehr gerne mit Reisen in weiter entfernte Länder. Einer meiner letzten Urlaube führte etwa nach Kasachstan, zuletzt war ich in China.

Was tun Sie, um Abstand zu gewinnen?
Ist am Wochenende Zeit, so gehe ich gerne laufen oder treffe mich mit Freundinnen. Auch genieße ich ein gutes Essen und probiere neue Restaurants aus – da ist natürlich nicht ausgeschlossen, dass sich das eine oder andere Tischgespräch um meine Arbeit dreht. Aber das macht Spaß, in dieser Beziehung benötige ich keinen Abstand.


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