„Auch Metallica pissen im Stehen“
Von der Bühne aus sind 45.000 Menschen eine abstrakte Masse aus Händen, Köpfen und Sonnenbrillen. Die Masse mag Harmonie und Chaos. Eben noch wandern die Hände in Formation nach links und nach rechts. Der Takt endet und mit ihm die Ordnung, jetzt herrscht ekstatisches Kreischen, Pfeifen und Applaudieren. Hunderte Male hat Harry Jenner die unkontrollierbare Masse schon unterhalten und beschützt, hat Feste, Festivals und Konzerte organisiert. Am Donnerstag beginnt erneut sein Meisterstück: das FM4 Frequency Festival in Sankt Pölten.
Harry Jenner ist ein Mann der Tat, mit einem untrüglichen Gespür. Missfällt ihm etwas – und das ist, so scheint es, oft der Fall –, nimmt er es selbst in die Hand. So begann seine Karriere: Unzufrieden mit der Musik, die DJs spielten, legte der damals 20-Jährige selber auf. Er feierte im Ausland auf Festivals, vermisste in Österreich, was in England oder Deutschland längst üblich war und wollte diese Marktlücke, „Marktschlucht“, wie er sagt, füllen. Er überhörte die Stimmen der Platzhirsche, die ihm das Scheitern prophezeiten. Er konzentrierte sich auf seine Arbeit, ohne zum Mitbewerber zu schauen, erreichte so seine Ziele. „Wer sein Ziel nicht kennt, kann den Weg nicht wissen“, schrieb ihm der Vater in der Volksschule ins Stammbuch. Nach diesem Credo lebt Jenner bis zum heutigen Tag.
Fünf Jahre Zeit nimmt sich der Programmierer aus Simmering, seine Ziele zu erreichen. So nahm er sich als junger Mann vor: Mit 30 Jahren sollte es ihm möglich sein, alleine von den Einnahmen seiner damaligen Musikagentur „Disco“ zu leben. Als das Partyvolk Musikwünsche mit einem höflichen „Können Sie bitte“ brüllte, sagte er sich: „It’s time to go.“ Er konnte es sich leisten und ging. Seine Ziele hat er seither fast alle erreicht.
Manchmal, scheint es, wäre Jenner gerne ein Teil der Menge, die sorglos herumhüpft. Und würde einfach nur genießen, ohne zu wissen, was er weiß.
KURIER: Sie veranstalten seit mehr als 20 Jahren Feste und Konzerte. Wann wird man erwachsen?
Harry Jenner: In der Sekunde, in der man Verantwortung für Menschenleben hat. Safety first – da gibt es keine Diskussion.
Sie planen in Fünf-Jahres-Schritten. Wo stehen Sie gerade?
Das habe ich ein bisschen aufgelockert. Ich muss heute nichts krampfhaft erreichen. Mein Ziel mit 40 Jahren hat sich etwa nicht materialisiert. Man darf das nicht so eng sehen, aber reflektieren, wieso es nicht geklappt hat. Ich habe mir immer nur wirtschaftliche Ziele gesetzt. Du kannst nicht sagen, mit 35 Jahren habe ich zwei Kinder und eine glückliche Ehe. Das passiert oder passiert nicht.
Denken Sie, gibt es eine adäquate Ausbildung für den Job?
Nein. Ich wüsst’ nicht, wo man lernt, mit 45.000 Menschen – oder wie kürzlich bei Robbie Williams mit 65.000 – umzugehen, Bewegungsströme zu lenken, ein Festival logistisch zu bewerkstelligen. Man wächst hinein.
Wie sieht Ihr Tagesablauf so kurz vorm Festival aus?
Der sieht vor dem Frequency nicht viel anders aus als das restliche Jahr. Nur um die Weihnachtszeit ist es ruhiger.
Man sagt, durchgemachte Nächte kann man nie nachholen. Stimmt’s?
Fragen S’ mich das, wenn mich meine durchgemachten Nächte eingeholt haben.
2011 haben Sie die Komfortzone am Frequency geschaffen. Eine Alterserscheinung?
Ich bin mit 41 ein alter Hund. Aber mich ärgert, dass man in Österreich mit 28 nicht mehr auf Festivals geht. In England geht der Opa mit seinem Enkel auf Festivals. Deswegen habe ich eine Zone geschaffen, wo man Hängematte, Wi-Fi, guten Blick auf die Hauptbühne, Zelt, Dusche und Klos hat.
Wie funktionieren die Bookings?
Wenig romantisch. Man schaut, wer verfügbar ist und welche Bands noch keine astronomischen Summen verlangen.
Auf wen freuen Sie sich?
Tenacious D. Der ist naturcool.
In die Kategorie „Naturcool“ würde ich Sie auch einordnen.
Ja. Nö. Eines meiner Lieblingswörter ist vernünftig. Du kannst keine Party machen, wenn du nicht vernünftig bist. Sonst gibt’s Tote.
Bei welchem Musiker werden Sie nervös?
Nervös war oder bin ich nie. Ich bin nicht jemand, der hingeht und sagt: „Servas, ich bin der Veranstalter, alles leiwand?“ Metallica pissen auch nur im Stehen. Ich sehe mich da auf einer Ebene. Ich bin nur nervös, ob die Veranstaltung gut läuft.
Treffen Sie die Künstler persönlich?
Ich versuche es zu vermeiden. Weil ich nicht der Smalltalk-Harry bin.
Harry Jenner wurde in Simmering geboren, besuchte eine HTL mit den Fachrichtungen EDV und BWL. Nach der Matura studierte er an der Wirtschaftsuniversität BWL, brach das Studium aber nach zwei Jahren ab – „zu langweilig“. Er gründete zwei Firmen, wo er programmierte, und begann Anfang 20 als DJ im Flex und im U4.
Der Eventmann
1999 gründete Jenner die dritte Firma Disco Musikagentur OEG und organisierte fortan erfolgreich Konzerte und Feste. 2001 veranstaltete er das erste Frequency Festival. Alle Projekte finanzierte er selbst.
Nach einiger Zeit wurde die Disco Musikagentur in die heutige musicnet GmbH umgewandelt. Heute besteht sie aus sechs Gesellschaftern und rund 50 Mitarbeitern.
Frequency in Zahlen 160 Tausend Menschen besuchten das Frequency 2012.
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