Arbeitswelt: Alles unklar
Der Tag der Arbeit ist abgefeiert. Der Acht-Stunden-Tag gilt als große Errungenschaft der Arbeiterbewegung, ebenso wie Kollektivverträge und bezahlter Urlaub. Doch diese Meilensteine des 20. Jahrhunderts beginnen im jetzigen Jahrzehnt zu bröckeln. Von der Idee der "neuen Arbeit" des bekannten Philosophen Frithjof Bergmann sind wir in den Zehnerjahren des 21. Jahrhunderts zwar noch entfernt. Er sieht für den Einzelnen ein Drittel Brotjob, ein Drittel Berufungsjob (etwa über Selbstständigkeit) und ein Drittel Selbstversorger-Tätigkeit vor.
Auch Aldous Huxleys "Schöne neue Welt", in der die Menschen dazu gebracht werden, ihre Sklavenarbeit zu lieben, ist Utopie. Aber sind wir wirklich so weit davon entfernt? Tatsache ist: Der Umbruch der Arbeitswelt hat begonnen. Diese Dekade ist der Übergang zu einem nie dagewesenen System. Fünf Entwicklungen führen dahin:
1 Wir arbeiten frei und prekär
– Generationenfrage Was die junge Generation Y und vermutlich auch die Generation Z – die ab 1995 Geborenen – anstrebt, ist für andere ein Übel: Arbeiten ohne fixen Vollzeitjob, ohne unbefristete Anstellung. Dafür mehrere Projekte gleichzeitig, daneben ein Brotjob für das nötige Kleingeld. Die Jungen wollen sich verwirklichen, verzichten auf Sicherheiten in einer sowieso immer unsicher werdenden Welt. Was für sie Freiheit bedeutet, ist für andere der pure Kampf ums Überleben. Atypische Beschäftigung nimmt in Österreich zu. Dazu zählen befristete Verträge, Minijobs und Teilzeit (nur freie Dienstverträge haben sich reduziert). Das bedeutet geringes Einkommen, im schlimmsten Fall sozialer Abstieg. 14,4 Prozent der Österreicher gehören zu den "working poor", sind also armutsgefährdet. Allerdings: Teilzeit ist bei Frauen beliebt. Nur zehn Prozent wählen sie, weil sie keinen Vollzeitjob finden. 2014 gab es um 44.000 mehr Teilzeitjobs und um 36.400 weniger Vollzeitstellen.
– Arbeitszeit Das Postulat des 40-Stunden-Jobs, des Achtstundentags, gerät ins Wanken. Die Verkürzung von Arbeitszeit wird von Experten wie Politikern heftig diskutiert. Erst vor zwei Wochen drängte Arbeiterkammer-Chef Rudolf Kaske auf die Umverteilung der Arbeit und eine Reduktion der Vollarbeitszeit. Vollzeitbeschäftigte seien mit Überstunden stark überlastet, die Zahl der Arbeitslosen steige andererseits. Die Elektro- und Stahlindustrien haben bereits die Freizeitoption eingeführt: Mitarbeiter können statt der Gehaltsvorrückung Stunden reduzieren. Nicht einmal jeder Zweite hat laut einer Umfrage der GPA-djp fixe Zeiten für Arbeitsbeginn und Ende.Gleitzeit ist die häufigste Zeitform.
– ErreichbarkeitArbeitszeit und Privatleben verschwimmen zusehends. Von rund einem Drittel der Arbeitnehmer wird laut GPA-djp-Studie erwartet, in seiner Freizeit für Berufliches erreichbar zu sein. Jeder Zweite arbeitet auch von unterwegs – bei Kunden, Klienten. Der fixe Arbeitsplatz wird unwichtiger: Laut einer Deloitte-Studie wird er nur etwa die Hälfte des Tages genutzt. Drei Viertel der Ideen entstehen sowieso außerhalb des Büros. Für die Mitarbeiter wird es selbstverständlicher, erreichbar zu sein. Die Generation Z akzeptiert das allerdings nicht mehr: Sie pocht auf eine Trennung zwischen Job und privat.
2 Wir haben Angst vor der Arbeitslosigkeit
Jedes Monat übertrifft sich die Arbeitslosenquote mit neuen Rekorden selbst. Daran wird sich so schnell nichts ändern: Laut Schätzungen der WKO wird sie heuer auf 9,1 Prozent steigen, nächstes Jahr auf 9,4 Prozent. 2006 waren es dagegen nur 6,8 Prozent. Verlierer in Zeiten der Entwertung von Bildungsabschlüssen (Matura reicht nicht) sind die Geringqualifizierten. War 2013 jeder fünfte Arbeitslose seit mindestens einem Jahr ohne Job – also langzeitarbeitslos – war es 2014 jeder vierte. Heuer wird es jeder dritte sein. Betroffen von Langzeitarbeitslosigkeit sind vor allem Menschen mit geringen Qualifikationen.
3 Wir müssen mehr wissen
Im 20. Jahrhundert produzierten wir Waren, im 21. produzieren wir Wissen. Die österreichische Wirtschaft hat sich von einer Produktions- zu einer Dienstleistungs- und Wissensgesellschaft entwickelt. Innovation durch Wissensvorsprung bringt den entscheidenden Wettbewerbsvorteil. Am Ball zu bleiben, ist in der schnelllebigen, reizüberfluteten Informationswelt eine Notwendigkeit – und eine Herausforderung für die Mitarbeiter. Die Ressource Mensch wird dabei immer wichtiger, die Investition in Weiterbildung ein Muss für Unternehmen. Lernen wird zum Programm – und auch zum Zwang.
4 Wir sind der Boss
– Manager Die autokratischen Wirtschaftsbosse des 20. Jahrhunderts gehen in Pension. Die nachfolgenden Manager konzentrieren sich auf den Produktivfaktor Mensch. Die Chefs werden zu Coaches. Auch wenn sich viele von ihnen noch schwer tun – viele erkennen, dass Vertrauen für die Mitarbeitermotivation besser ist als Kontrolle. Und dass sie den Mitarbeitern Zugeständnisse machen müssen, um sie zu halten: mit Elternteilzeit, Wiedereinstieg, Bildungskarenz, Altersteilzeit.
– MitarbeiterFür die Belegschaft bedeutet das neue Management: Hierarchien schmelzen, Grenzen zwischen Mitarbeiter und Chef verschwimmen. Der Mitarbeiter übernimmt mehr Verantwortung, erhält Gestaltungsfreiraum, organisiert und führt sich selbst. Das führt zu Überlastung: 80 Prozent der Österreicher finden laut aktueller IMAS-Studie, die Belastung im Job habe in den vergangenen Jahren zugenommen. 44 Prozent meinen, Leistung im Job zahlt sich nicht mehr aus.
5 Die digitale Revolution verändert alles
Der Ausbau der virtuellen Welt hat nicht nur unseren Umgang mit Informationen, sondern auch die Wirtschaft und den Arbeitsmarkt verändert. Beratung, IT und Dienstleistungen sind wachsende Branchen – hier gibt es künftig Jobs. Die vierte industrielle Revolution hat begonnen: In der Industrie 4.0 wird dezentral gesteuert, wird über Computer und Sensoren, über Industrieroboter und Fernsteuerung produziert. Andererseits ersetzen Software und Roboter Arbeitsplätze. Die Forscher Erik Brynjolfsson und Andrew McAfee vom Massachusetts Institute of Technology sprechen gar vom "zweiten Maschinenzeitalter". Ihnen zufolge wird es künftig zwei Gruppen von Arbeitnehmern geben: Jene, die den Computern sagen, was sie zu tun haben. Und jene, denen die Computer sagen, was sie zu tun haben. Gut verdienen wird aber nur die erste Gruppe.
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