Arbeitsminister Kocher zur Arbeitsmarkt-Krise und wie wir da wieder rauskommen
KURIER: Herr Kocher, Sie sind Arbeitsminister in der größten Wirtschafts- und Beschäftigungskrise seit dem Zweiten Weltkrieg geworden. Früher gab es 100 Tage Einarbeitungszeit. Wie ist das, wenn man keine 100 Minuten bis zum ersten Interview hat?
Martin Kocher: Das fand ich schon herausfordernd. Es ist eine schwierige Lage. Und es war klar, dass ich keine hundert Tage Schonfrist habe, sondern gleich anschließen muss. Der Vorteil war, ich habe mich schon davor mit den Themen auseinandergesetzt.
Sie haben vom Wissenschafter zum Politiker umgesattelt. Wie schwierig ist der Umstieg? Und welche Tipps geben Sie dem seit kurzem noch neueren Gesundheitsminister?
Es ist schon eine andere Rolle. Man steht stark unter Beobachtung, jeder Satz, den man sagt, wird genau seziert. Es ist ein noch schnelllebigeres Geschäft als die angewandte Wirtschaftsforschung und es gibt Verhandlungen und Herausforderungen, die es in der Wissenschaft so nicht gibt. Daran muss man sich gewöhnen. Ich glaube der wichtigste Ratschlag ist, sich nicht zu verbiegen.
Wie weit müssen Sie den Wissenschaftler und Experten beiseiteschieben, wenn es darum geht Politik zu machen?
Das politische Spiel funktioniert nur über Mehrheiten, das kann man Wissenschaftler sein, so viel man will.
Sind sind jetzt etwa drei Monate in dieser neuen Rolle: Wie sehr ist dieser Job körperlich und psychisch belastend?
Ja, es ist natürliche eine Herausforderung, es ist auch schwer abzuschalten. Das gilt allerdings für die Wissenschaft auch.
Ihr Ausgleich ist Bergsteigen und Laufen. Was war ihr höchster Berg und wie oft kommen Sie noch zum Laufen?
Mein höchster Berg, jetzt fragen Sie mich zu viel. Mein höchster Berg war ungefähr 4000 Meter in den USA und einmal in Costa Rica. Aber darauf schaue ich nicht so. Mir geht es darum, dass ich in der freien Natur bin. Und Laufen ist etwas, das man auch sehr gut machen kann, wenn man wenig Zeit hat. Ich versuche es regelmäßig, aber es passiert zu selten. Es klappt noch zwei bis drei Mal die Woche.
Ist der Österreichische Arbeitsminister ein New Worker? Wie arbeiten Sie? Wie viel arbeitet der Arbeitsminister?
Gute Frage. Relativ viel. Aber wenn man aus der Wissenschaft kommt, ist man gewohnt mobil, flexibel und von jedem Standort zu arbeiten. Und weniger Pause zu haben. Es kommt mir jetzt zu Gute, dass ich es gewohnt bin, keine klare Trennung zwischen Beruf und Privatem zu haben. Es kann auch manchmal rund um die Uhr gehen. Aber keine Sorge, natürlich schlafe ich zwischendurch.
Krisen gab es schon viele, was ist das Besondere an dieser Arbeitsmarktkrise?
Dass die Arbeitslosigkeit zuerst einmal durch die notwenigen behördlichen Schließungen entstanden ist. Das hat Vor- und Nachteile. Der Nachteil ist, dass Leute aus dem Arbeitsmarkt gedrängt wurden und Einkommen verloren haben und es schwierig wird, diese Menschen wieder zurück zu integrieren. Der Vorteil ist: Sobald die behördlichen Schließungen aufgehoben werden, wird sich eine gewisse Normalität wiederherstellen. Es hat durch die Unsicherheit einen Rückstau an Konsumationen und Investitionen gegeben. Wie steil der Aufschwung nach der Pandemie sein wird, werden wir sehen. Wir unterstützen jetzt den Comeback-Plan und die Maßnahmen, dass es möglichst schnell wieder eine florierende Wirtschaft gibt.
Arbeitsminister Martin Kocher - das ganze Gespräch im Video
Was wären Faktoren, die dazu führen, dass es nicht nahtlos dort weitergeht, wo wir aufgehört haben?
Es wird nicht nahtlos weitergehen. Es wird etwas Neues geben. Gerade die Experten im Bereich der Digitalisierung sagen uns, dass dieses Coronajahr einen Sprung von zehn Jahren der Digitalisierung gebracht hat. Es hat Veränderungen gegeben, die bleiben werden. Umso wichtiger sind daher die Qualifikationen, um die Menschen auf dem Arbeitsmarkt erfolgreich zu machen.
Wie lange kann/muss der Staat den Arbeitsmarkt mit sehr viel Geld stützen/unterstützen?
Das ist eine Frage, die sehr stark davon abhängt, wie sich die Pandemie entwickelt. Der Staat kann das zu aktuellen Bedingungen relativ lange. Stellen wir uns vor, das wäre vor 20 Jahren bei viel höheren Zinsen gekommen. Es wäre sehr rasch zu viel größeren Problemen gekommen. Aber es gibt wie immer Abwägungen: Wie viel kann ich einsetzen? Bringt das jetzt noch was, um beispielsweise durch die Kurzarbeit Leute in Beschäftigung zu halten. Die Balance muss gefunden werden. Ich glaube, wir haben sie sehr gut gefunden. Und die Hoffnung ist, dass es jetzt mit den Öffnungsschritten in den nächsten Wochen einen Rückbau der großflächigen Unterstützungsmaßnahmen geben kann. Es braucht noch viele andere Maßnahmen, die aber dann stärker auf die Zukunft gerichtet sind.
Kurz zu innerösterreichischen Themen. Sie haben gerade das Programm Sprungbrett vorgestellt, das heute beschlossen wurde. Da fließen hunderte Millionen in Projekte, um Langzeitarbeitslose wieder in den Arbeitsmarkt zu integrieren. Warum sind diese rund 150.000 Langzeitarbeitslosen ein so großes Problem?
Wir wissen aus früheren Rezessionen, dass Langzeitbeschäftigungslose schon vor der Krise besonders große Schwierigkeiten haben, beim Aufschwung ihren Weg in den Arbeitsmarkt zu finden. Diese Rezession ist jetzt besonders tief, das heißt, dass es dieses Mal für diesen Bereich noch spezifischere Zusatzmaßnahmen braucht. Das Programm Sprungbrett soll jetzt unterstützen, betriebsnah über Lohnförderungen, Beratung und Coaching Menschen wieder in den Arbeitsplatz zu integrieren und die Zahl der Langzeitarbeitslosen wieder auf Vorkrisenniveau zu bekommen.
Ein weiteres aktuelles Thema ist MAN. Muss aus Ihrer Sicht der Staat bei MAN eingreifen? Wir reden von einem Betrieb, der für die Region wichtig ist, der für die Bevölkerung dort wichtig ist, der Perspektiven für die Jungen geben kann.
Natürlich unterstützen wir alle Maßnahmen, die dazu führen, dass der Standort Steyr erhalten bleibt. Das muss Ziel der Politik generell sein. Aber letztlich geht es darum, dass wir den beteiligten Unternehmen, die MAN und die Investoren, die richtigen Rahmenbedingungen bieten, dass es klappen kann. Ich hoffe es gelingt.
Sollte es bei MAN zu keiner Lösung kommen, wäre es sinnvoll, der Staat würde das Unternehmen übernehmen und dort beispielsweise ein neues Elektromobilitäts-Cluster machen?
Der Staat soll natürlich neue Technologien unterstützen. Aber ich bin eher skeptisch, dass es klappen würde, wenn der Staat selbst als Unternehmer auftreten würde. Dafür braucht es ein Konzept und viele Leute, die sich darüber Gedanken machen. Wenn diese Option so attraktiv wäre, gäbe es auch mehr Investoren. Dafür braucht es Spezialwissen und das kann der Staat nicht bieten. Außerdem geht es nicht um ein ganzes Unternehmen, sondern Teile eines bestehenden Unternehmens. Ich sehe da viel zu viele Probleme.
Wie hätten Sie selbst als MAN Mitarbeiter abgestimmt? Sind 15 Prozent Gehaltsverlust hinnehmbar dafür, dass man weiter Arbeit hat?
Ich kann das nachvollziehen, dass es in dieser Abstimmung eine gewisse Verärgerung über die Vorgangsweise in der MAN-Zentrale zum Ausdruck gekommen. Vielleicht hätte ich ähnlich gestimmt. Letztlich geht es aber darum, die Chancen für die Zukunft zu sichern.
Schon vor der Krise waren wir mitten im Strukturwandel, die Digitalisierung und Automatisierung hat viele Branchen verändert. Corona hat nochmals turboschnell digitalisiert und viele Dinge möglich gemacht. Gehen wir vielleicht sogar besser und für die Zukunft gerüsteter aus diesem Corona-Jahr hervor?
Das wird sich zeigen. Es gab in der Vergangenheit Krisen, die zu einem Wandel geführt haben, der sich als positiv herausgestellt hat. Das wird sich seriös erst in drei, vier Jahren beurteilen lassen. Wir werden dann auch die Daten über die Produktivität haben - ob sie sich verbessert hat durch Homeoffice oder nicht. Was wir wissen ist, dass die Menschen anders arbeiten wollen. Ich glaube da bleiben Veränderungen bestehen und hier entstehen Strukturen, die für Arbeitnehmer und Arbeitgeber positiv sind.
Glauben Sie, dass die Digitalisierung mehr Arbeitsplätze schafft oder zerstört? Es heißt ja immer: die Arbeit ist uns noch nie ausgegangen.
Das hängt davon ab, wie Sie das Ende dieses Strukturwandels definieren. Wenn wir von den nächsten fünf bis zehn Jahren sprechen, bin ich sehr optimistisch. Was in 20 oder 30 Jahren sein wird, kann man jetzt noch nicht sagen. Natürlich verändert sich die Struktur von Arbeit, Niedrigqualifizierte verlieren eher ihren Arbeitsplatz. Gleichzeitig entstehen aber neue Arbeitsplätze. Die große Aufgabe der Politik ist es, die Leute mitzunehmen und für diese neuen Arbeitsplätze zu qualifizieren.
Noch zur aktuellen Krise auf dem Arbeitsmarkt: Wird die so schnell vorbeigehen, wie sie gekommen ist?
Der erste Punk wo man durchatmen kann, ist, wenn die meisten Menschen in den meisten europäischen Ländern durchgeimpft sind. Und wir wieder in die Gastro und auf Urlaub fahren können und die meisten anderen Einschränkungen fallen. Wirtschaftlich wird die Krise eine gewisse Zeit nachwirken. Auf dem Arbeitsmarkt wissen wir, dass das zwei bis drei Jahre dauert, bis wir wieder auf Vorkrisenniveau sind. Bei den Schulden dauert das noch länger.
Thema New Work: Die Krise hat viele neue Phänomene hervorgebracht – etwa, wie wir arbeiten. Ist das Homeoffice gekommen, um zu bleiben? Oder doch eher ein vorüberziehendes Phänomen?
Grundsätzlich glaube ich, es ist gekommen um zu bleiben. Aber in hybriden Formen. Ein Teil im Büro und ein Teil im Homeoffice, das ist in vielen Bereichen der Betriebswirtschaft attraktiv für Arbeitnehmer und Arbeitgeber. Und es ist wichtig, dass diese Regelungen auf Freiwilligkeit beruhen.
Stichwort Systemrelevante Jobs: Wir haben gesehen, wer in Lockdowns und der Gesundheitskrise das Land aufrecht hält. LKW-Fahrer, Handelsmitarbeiter, Krankenpersonal, Kindergarten-Pädagogen. Ist deren Anerkennung und der Wert ihrer Arbeit nachhaltig gestiegen?
Es gab sicher mehr Aufmerksamkeit und Anerkennung. Aber ob sie bleibt, werden wir sehen. Die Krise hat jedenfalls gezeigt, dass die Wirtschaft komplexer ist und dass wir in Krisen relativ resistent sind. Es hat mit viel Flexibilität auf allen Seiten gut funktioniert.
Ist es also besser gelaufen, als man das erwarten hätte können?
Es ist bei Weitem besser gelaufen. Aber man hat auch in den Krisenstäben gesehen, wo die Grenzen bei der Versorgung liegen und wie wichtig offene Grenzen in Europa sind.
Wohin entwickelt sich der Arbeitsmarkt? Stichwort Sockelarbeitslosigkeit, also dieser festgefahrene harte Kern der Arbeitslosen, die nicht vermittelbar sind: Worauf werden wir uns da einstellen müssen?
Wir werden alles tun, dass es nicht zu einer Verfestigung einer hohen Sockelarbeitslosigkeit kommt. 50 Prozent der Arbeitslosen haben maximal einen Pflichtschulabschluss. Das wird auch eine Aufgabe des Bildungsministeriums sein. Die Folge von niedriger Qualifikation wird uns in den nächsten Jahren beschäftigen. Vor allem, wenn nun die geburtenstarken Jahrgänge in Pension gehen und die geburtenschwachen Jahrgänge auf den Arbeitsmarkt kommen.
Kann die Pensionierungswelle der geburtenstarken Jahrgänge beim Problem der hohen Arbeitslosigkeit helfen?
Die Frage ist, wem das hilft. Die gut ausgebildeten Arbeitskräfte werden bessere Angebote haben, bessere Chancen. Es wird einen Wettbewerb um Fachkräfte geben. Die Verfügbarkeit von Fachkräften in gewissen produktiven Bereichen kann sogar zu einem Wachstumshemmnis führen. Darum müssen wir in den nächsten Jahren auf die Weiterqualifizierung achten.
Thema: Bedingungsloses Grundeinkommen. Wie stehen Sie dazu?
Als Wissenschaftler bin ich immer gesprächsbereit. Ich finde, es ist eine spannende Idee, aber ich kenne noch kein Modell das funktioniert. Und wir haben durch die Mindestsicherung ja schon ein Grundeinkommen in diesem Land. Nicht ganz bedingungslos allerdings. Es ist gut, dass wir hier im sozialen Bereich differenzieren können.
Was halten Sie von der Maschinensteuer?
Da bin ich stärker dagegen. Das wäre eine Steuer, die Innovation behindert. Innovation schafft Arbeitsplätze, zwar andere, aber sie schafft sie.
Was rettet uns in Zukunft vor Arbeitslosigkeit? Was beschert uns ein Leben mit einer Arbeit, von der wir auch gut leben können? Was würden Sie jungen Menschen auf Jobsuche raten?
Letztlich ist das einfach: Bildung ist ganz entscheidend. Und man muss flexibel bleiben und dann auch einmal den Job wechseln.
Wie lang haben Sie ihren Ausflug in die Politik ausgelegt?
Natürlich bin zum Ende der Legislaturperiode. Und dann werden wir weitersehen.
Das heißt, Sie halten sich selbst auch flexibel?
Ja, natürlich, ich kann nichts fordern, das ich nicht selbst umsetzen kann. Ich glaube, es ist wichtig, dass man sich nicht zu sehr in eine Sache verbohrt.
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