"Arbeitslosigkeit diszipliniert alle"

Der Ökonom will die Arbeitslosigkeit mit einer kurzen Vollzeit für alle bekämpfen.

KURIER: Wie viele Stunden arbeiten Sie?

"Arbeitslosigkeit diszipliniert alle"
Prof. Dr. rer. pol. Heinz-J. Bontrup Copyright © Ulrich Zillmann Fon +49 211 2051680 Mobil +49 (0) 172 6630809 eMail: uz@foto-ms.de
Heinz-Josef Bontrup:Ich arbeite zu viel. Aber der Einzelne ist nicht das Thema. Es geht mir bei der 30-Stunden-Woche um eine gesamtwirtschaftliche Betrachtung. Unsere Überschrift sollte also sein: Kurze Vollzeit für alle. Und zwar bei vollem Lohn- und Personalausgleich. Das heißt, dass wir bei kürzerer Arbeitszeit keine Lohneinbußen haben und die Arbeit zum Vorteil aller umverteilt wird – Arbeitslose also hineingeholt werden. Und am Ende steigen die Löhne, weil dann keine Arbeitslosen mehr von den Unternehmern gegen Lohnerhöhungen instrumentalisiert werden können.

Man muss jedoch sagen, dass es auch offene Stellen gibt. Die Jobsuchenden jedoch nicht für sie ausgebildet sind.

Dass es offene Stellen gibt ist in einer Volkswirtschaft normal. Nicht normal sollte langfristige Arbeitslosigkeit sein. Gesamtwirtschaftlich bedeutet sie, dass eine Volkswirtschaft unter ihren Möglichkeiten lebt. Weil einerseits das Humankapital nicht genutzt wird. Andererseits kostet Arbeitslosigkeit der Gesellschaft viel Geld, denn der Arbeitslose produziert ja nicht nur nicht, er muss auch versorgt werden. Ein Unternehmen kann Menschen entlassen, die Gesellschaft kann das nicht.

Seit Jahren steigen die Arbeitslosenzahlen – wieso wird die Möglichkeit der Arbeitszeitverkürzung nicht ernsthaft in Betracht gezogen, um sie einzudämmen?

Weil das Kapital ein Interesse an Arbeitslosigkeit hat. Nichts diszipliniert mehr. Sie diszipliniert sowohl die Arbeitslosen, als auch alle die Arbeit haben, denn sie haben Angst den Job zu verlieren. Wenn Arbeitskraft im Überfluss vorhanden ist, sinkt automatisch der Lohn. Und es kommt zu anormalen Reaktionen: Denn normalerweise wird weniger Ware angeboten, wenn der Preis sinkt. Am Arbeitsmarkt ist das aber umgekehrt: Hier bieten die Arbeitskräfte mehr Zeit an um ihr Einkommen zu halten. Mit der Folge, dass das Angebot noch größer wird und der Preis immer weiter verfällt. Es entsteht eine ruinöse Konkurrenz – für alle.

Wie soll eine Arbeitszeitverkürzung finanziert werden?

Die Antwort auf die Finanzierungsfrage ist einfach: Durch die fortwährend steigende Produktivität und durch eine Umverteilung zur Lohnquote.

Die steigende Produktivität soll durch technischen Fortschritt entstehen.

Ja. Es stellt sich dabei nur die Frage, wer erhält den Produktionszuwachs? Die Unternehmer würden jetzt sagen: "Wir natürlich!" Sie beanspruchen den Produktivitätszuwachs für sich.

Wie schnell wäre die 30-Stunden-Woche umzusetzen?

Ich habe dazu ein Modell gerechnet: In Deutschland müssten wir die Arbeitszeit in einem Zeitraum von fünf Jahren um fünf Prozent verkürzen. Das würde bedeuten, dass zur Finanzierung pro Jahr fünf Prozent Produktivitätszuwachs nötig sind. Den Zuwachs haben wir aber nicht. Deswegen müssen wir in die Gewinne reingehen. Das ist aber nicht schlimm, weil die Gewinnquote in den vergangenen Jahren durch die neoliberale Umverteilung extrem gestiegen ist.

Wie kann es sein, dass Sie in der kurzen Vollzeit die Lösung sehen und andere Ökonomen das als Trugschluss abtun?

Wenn sie den neoliberalen Ökonomen Hans Werner Sinn fragen würden, würde er sagen: "Der Kollege verkennt, dass der Arbeitsmarkt genau wie jeder andere Markt ist. Er wird von Angebot und Nachfrage bestimmt. Damit sich wieder ein Gleichgewicht bildet, muss der Preis runter." Aber Sinn übersieht, dass die abhängig Beschäftigten auf Arbeit angewiesen sind. Werden Menschen an den Arbeitsmärkten nicht nachgefragt, dann haben sie auch keinen ökonomischen Wert. Sie sind eben arbeitslos und müssen noch aus der Wertschöpfung anderer alimentiert werden. Deshalb bieten sie letztlich ihre Arbeitskraft sogar zu Stundenlöhnen von 2 oder 3 Euro an.

Woran scheitert die Umsetzung der 30-Stunden-Woche?

Ganz klar am Kapital. Und das Kapital bekommt Unterstützung von der Politik.

Vielleicht wollen manche Beschäftigte gar nicht weniger arbeiten, weil sie dann weniger verdienen, als sie bei steigender Produktivität verdienen könnten?

Ja, das mag sein. Aber die so denken verstehen das Ganze nicht. Denn, wie schon ausgeführt erhalten sie in Anbetracht der bestehenden Arbeitslosigkeit und den anormalen Reaktionen die Produktivitätszuwächse ja gar nicht. Im Ergebnis sind am Ende nur die Unternehmer die Gewinner. Ihre Gewinnquote steigt und die Lohnquote sinkt.

Macht es überhaupt Sinn, die kurze Vollzeit nur in Deutschland einzuführen?

Jein. Die Globalisierung ist natürlich ein Faktor. Aber die deutsche Wirtschaft ist auch die potenteste in der EU. Wir hatten noch nie so hohe Exportüberschüsse, wie diesen März: 1 Milliarde Euro. Unter der aggressiven Exportpolitik leiden aber die anderen Länder. Das heißt für sie, dass sie Importüberschüsse haben und somit Schulden. Wir Deutsche leben somit auf Kosten der anderen und leben wegen der Arbeitslosigkeit trotzdem unter unseren Möglichkeiten. So hat Europa keine Zukunft.

Hans-Josef Bontrup spricht am Montag, 18. Mai, bei einer Enquete zum Thema Arbeitszeitverkürzung m Parlament in Wien, Informationen unter:
www.gruene.at

Seit 1996 ist Bontrup Professor für Wirtschaftswissenschaft mit dem Schwerpunkt Arbeitsökonomie an der Westfälischen Hochschule. Zudem ist er Mitverfasser und Herausgeber der jährlichen Memoranden der Arbeitsgruppe „Alternative Wirtschaftspolitik“. Bontrup spricht am Montag, 18. Mai, bei einer Enquete zum Thema Arbeitszeitverkürzung im Parlament. Sie wird von der AUGE/UG (Alternative, Grüne und Unabhängige GewerkschafterInnen) gemeinsam mit dem Grünen Parlamentsklub anlässlich der Einführung der 40-Stunden-Woche vor 40 Jahren veranstaltet.

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