Arbeiterin, 80, trifft Akademikerin, 31
50 Jahre Zeitsprung: Was ist anders? Zwei Generationen, zwei Arbeitswelten. Theresia Strebl war ihr Jobleben lang Arbeiterin. Maria Maager studierte, ist Marketing-Chefin. Die Arbeitswelt der anderen können sich beide nur schwer vorstellen.
KURIER: Frau Strebl, was war Ihr Traumjob?
Theresia Strebl: Schneiderin. Da gab’s aber nichts. Uns war wichtig, überhaupt Arbeit zu haben. Ich habe 1946 eine Lehre in einer Weberei begonnen.
Was haben Sie verdient?
Strebl: Damals hat man als Lehrling fünf Schilling pro Woche verdient. 48 Stunden habe ich gearbeitet. Als Lehrling musste ich um sechs in der Früh beginnen, habe bis 17 Uhr gearbeitet. Samstags nur bis zwölf.
Wollten Sie nie Matura machen?
Strebl: Nein, die Schulausbildung war damals nicht so gut. Wir haben genommen, was wir bekommen haben. Lehrstellen hat man schwer bekommen. In den 1950ern war es dann besser.
Maria Maager: Heute wird man dafür überflutet. Es gibt so viele Möglichkeiten.
Frau Maager, wollten Sie je eine Lehre machen?
Maager: Nein. Ich war sehr ehrgeizig in der Schule, hatte immer Einser. Für mich war klar, dass ich studieren will, an der WU und im Ausland.
Frau Strebl, war das Ausland jemals Thema für Sie?
Strebl: Ich hätte mit meiner Freundin nach Schweden gehen können. Ich kannte damals aber schon meinen Mann, dann war ich schwanger. Da bleibt man.
Wie hat man Akademiker damals betrachtet?
Strebl: Man hat fast keine gesehen. Damals war das nicht so, wir hatten die Möglichkeiten einfach nicht. Wobei: Eure vielen Wahlmöglichkeiten schaffen ja auch Schwierigkeiten.
Stattdessen haben Sie hart gearbeitet.
Strebl: Das haben wir nicht so empfunden.
Maager: Wenig Freiheit, oder?
Strebl: Ach, wir konnten ja eh nirgends hingehen, es gab ja nichts.
Was denken Sie, sind die Schwierigkeiten heute?
Strebl: Viele sind mit dem Gehalt unzufrieden. Wir haben unseren Lohn am Ende der Woche bar auf die Hand bekommen und waren glücklich damit.
Worum ging es Ihnen bei der Arbeit?
Strebl: Wir konnten uns mit dem Geld etwas leisten.
Wollten Sie aufsteigen?
Strebl: Aufsteigen? Man hätte Meister werden können, aber da musste man genauso viel arbeiten. Ich glaube, auch heute geht es beim Arbeiten ums Geld. Umsonst geht keiner arbeiten.
Ihre Ambitionen, Frau Maager?
Maager: Geld ist die Basis. Aber wir wollen mehr vom Job. Man sucht Bestätigung, auch im Arbeitsleben. Es geht darum, selbstbestimmt zu arbeiten, einen Einfluss zu haben und etwas zu bewirken. Gleichzeitig sich zu entwickeln und zu lernen. Ich möchte nicht nur im Privatleben etwas erleben, sondern auch im Berufsleben. Ich habe kein Problem damit, am Wochenende zu arbeiten. Dafür will ich aber auch in der Arbeit Spaß haben.
Strebl: (verwundert) Was wollen Sie denn bittschön erleben in der Arbeit?
Maager: Mir ist meine Aufgabe wichtig, das Team, das Umfeld.
Wie war damals das Verhältnis zu Chefs und Kollegen?
Strebl: Wir Arbeiter haben zusammengehalten. Zum Chef war das Verhältnis gut. Man konnte mit ihm reden und ihm sagen, was nicht passt.
Maager: Warum wollten Sie nicht Chef werden?
Strebl: Darauf habe ich nie gespitzt. Ich war zufrieden, ich hatte meinen Haushalt, einen Mann und ein Kind.
Maager: Vielleicht hätten Sie es als Chefin leichter gehabt?
Strebl: Ach, der Chef hat’s nicht leicht gehabt. Es gab genug G’fraster.
Maager: Heute gibt es im Berufsleben viele Intrigen. Überall.
Strebl: Diese Mobberei unter den Mitarbeitern, das hat es früher nicht gegeben. Man hat sich das persönlich ausgemacht.
Die Strukturen in Unternehmen sind heute flacher als damals. Wie sehen Sie das, Frau Strebl?
Strebl: Mag sein. Aber glauben Sie wirklich, dass es gut ist, dass heute jeder mit dem Chef per Du ist? Ich finde das nicht richtig.
Maager: Wir sind alle per Du – und haben auch nicht weniger Respekt. Hierarchien gibt es ja trotzdem und ich weiß auch so, wer der Chef ist.
Warum waren Sie nicht einfach Hausfrau?
Strebl: Ich wollte mich von niemanden erhalten lassen, wollte immer selbstständig sein und für mich arbeiten gehen.
Maager: Ich lehne das Hausfrausein nicht ab. Ich kann mir schon gut vorstellen, ein Jahr, vielleicht sogar länger, zu Hause zu bleiben, wenn ich einmal Kinder habe. Warum nicht?
Strebl: Wir konnten nur acht Wochen zu Hause bleiben. Kindergarten gab es erst ab drei Jahren. Ich hatte zum Glück meine Mutter, die hat aufgepasst, als ich wieder arbeiten gegangen bin.
Sind Sie gerne in die Arbeit gegangen?
Strebl: Ja, sogar sehr gerne. Wir hatten es immer lustig. Eigentlich war ich lieber arbeiten als zu Hause.
Maager: Obwohl es immer derselbe Ablauf war?
Strebl: Das war es ja nicht. Als sie die Weberei zugesperrt haben, bin ich zu Unilever gegangen. Dort war ich 21 Jahre lang. Ich habe die Eisbecher gemacht. Bei Unilever war es wunderbar, wir hatten ein Schwimmbad, Tennisplätze, eine Kegelbahn.
Frau Maager, können Sie sich vorstellen, 21 Jahre in einer Firma zu arbeiten?
Maager: Nein, niemals.
Strebl: Man hat doch aber nur Vorteile, wenn man länger bei einer Firma ist.
Wie war das mit der Freizeit?
Strebl: Wir hatten genug. Ich bin um sechs Uhr früh in die Arbeit und um zwei Uhr nach Hause gegangen – genug Freizeit also.
Frau Maager, wie ist das mit Ihrer Work-Life-Balance?
Maager: Die Grenzen zwischen Berufs- und Privatleben sind fließend geworden. Das macht uns im Job flexibler. Dass die Grenzen verschwimmen ist okay, solange Dinge, die mir wichtig sind, auch in der Arbeitszeit Platz haben.
Was ist/war das Belastendste an Ihrer Arbeitswelt?
Maager: Die Ansprüche zu erfüllen. Es ist ein arger Konkurrenzkampf. Ich glaube, einmal wenig oder gar keine Pension zu kriegen, ich werde lange arbeiten.
Strebl: Um meine Pension habe ich mich nie gesorgt. Ich glaube aber, dass sich die Menschen stark verändert haben, nicht die Arbeit.
Maager: Es könnte sein, dass wir heute weniger diszipliniert sind.
Strebl: Vielleicht. Ihr seid jedenfalls nicht leicht zufrieden mit dem, was Ihr habt.
Damals. Heute. Direkt nach dem Zweiten Weltkrieg waren in Österreich viele Betriebe zerstört, der Wiederaufbau setzte die Wirtschaft langsam wieder in Gang. „Damals hat man wöchentlich ein Lohnsackerl bekommen. An diesem Tag haben die Frauen ihre Männer an den Fabrikstoren abgepasst, bevor das Geld im Wirtshaus landete“, scherzt Thomas Url vom Wirtschaftsforschungsinsitut. Es war 1946 auch durchaus üblich, dass Frauen arbeiten. Denn durch die Kriegswirren waren viele Männer noch fort. „Durch den Weltkrieg kam es zu einem Umbruch, Frauen waren in die Fabriksproduktion eingestiegen“, erklärt Url.
Aufbauarbeit
Zahlen zum Arbeitsmarkt der Nachkriegszeit sind nicht leicht zu bekommen. 1948 setzte der Marshallplan ein und mit ihm begann die Wirtschaft wieder zu laufen. Motor dafür war die Industrie. Die frühesten Aufzeichnung, die Thomas Url finden konnte, sind aus dem Jahr 1951. Damals waren 1,09 Millionen Österreicher in der Land- und Forstwirtschaft tätig, in Bergbau, in Industrie und Gewerbe 1,267 Millionen und im Dienstleistungssektor nur rund eine Million. Das Verhältnis hat sich in den folgenden Jahren umgedreht, weg von der Landwirtschaft, hin zur Dienstleistung.
Schon 1950 war die Wirtschaftskraft der Vorkriegszeit wieder erreicht. Gut ausgebildete Arbeitskräfte, unternehmerischer Geist und die Sozialpartnerschaft sollen für die gute Entwicklung in den kommenden Jahrzehnten ausschlaggebend gewesen sein, sagte Wirtschaftshistoriker Felix Butschek in einem Ö1-Interview. Die Sozialpartnerschaft hat ein Klima geschaffen, das maßvolle Lohnsteigerungen und hohe Investitionen möglich machte.
Die Wochenarbeitszeit wurde seit den 1950er-Jahren von rund 50 Stunden auf rund 40 Stunden in den 1990er-Jahren reduziert. Seither gab es keine nennenswerte Reduzierung der Wochenarbeitszeit mehr.
Die Zahl der Erwerbspersonen nahm seit den 1950er-Jahren um mehr als eine Million zu. 2007 wurde erstmals die Vier-Millionen-Grenze überschritten. 1955 lag die Arbeitslosenquote bei 5,4 Prozent, 2011 bei 6,7 Prozent. Das AMS stellt sich für das kommende Jahr auf mehr Arbeitslose ein. In Europa sei Österreich „das gelobte Land“ mit der niedrigsten Arbeitslosigkeit, gleichzeitig habe man „für österreichische Verhältnisse eine hohe Arbeitslosenquote“, sagte AMS-Vorstand Johannes Kopf. Größte Herausforderungen in den kommenden Jahren: die demografische Entwicklung.
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