Arbeiten für die Welt
Wenn Regenzeit in Tansania ist, kann es sein, dass die Mitarbeiter zwei Wochen lang nicht in die Arbeit kommen. Weil ihre Hütten weggeschwemmt wurden. "Man lernt, flexibel zu reagieren", sagt Martina Ressmann gelassen. Die 35-Jährige ist mit allen tansanischen Wassern gewaschen (siehe Interview). Sie hat zwei Jahre lang für die Frauenrechtsorganisation Tawla eine PR-Abteilung aufgebaut, hat eine Weltenreise gemacht – von Österreich, wo Sicherheit, Effizienz und Verlässlichkeit vorherrschen, in eine Welt, die von täglichen Unwegsamkeiten geprägt ist.
Abgewickelt hat den Aufenthalt die größte Nichtregierungs-Organisation für Entwicklungszusammenarbeit in Österreich, HORIZONT3000. Jährlich entsendet sie 20 Fachkräfte in zwölf Länder Afrikas, Lateinamerikas und Ozeaniens – für zwei bis maximal fünf Jahre. Sie helfen lokalen Organisationen vor Ort, Finanzsysteme und neue Strukturen zu etablieren, bauen Abteilungen auf und trainieren Führungskräfte und Mitarbeiter. Derzeit wird gesucht: ein Netzwerk-Administrator für ein Medienzentrum in Uganda, ein Berater für eine Bauernorganisation in Tansania, ein Organisationsberater für eine Gesundheits-NGO in Mosambik. Ziel ist es, das Team vor Ort zu unterstützen, die nach Ende des Einsatzes selbstständig weiterarbeiten.
Gesucht werden qualifizierte Fachkräfte und Berater mit Führungskompetenz und idealerweise sechs bis sieben Jahren Berufserfahrung, absolute Mindestanforderung sind zwei Jahre. Die Palette reicht vom Tischlermeister über die erfahrene Sozialpädagogin bis zur Organisationsberaterin. "Wir suchen Leute mit Erfahrungsschatz", sagt Theresa Burian, für das Recruiting der Projektmitarbeiter zuständig. Wie sich der Ansatz von der autoritären Entwicklungshilfe zur kollegialen Entwicklungszusammenarbeit geändert hat, so hat sich auch die Zielgruppe der Mitarbeiter verändert: In den 1960ern engagierten sich noch unbedarfte Anfang-20-Jährige in der Entwicklungshilfe, heute liegt das Durchschnittsalter der entsendeten Mitarbeiter bei etwa 40.
Im Interessentenseminar reflektieren die Teilnehmer gemeinsam mit Rückkehrern darüber, ob der Job in einem Entwicklungsland etwas für sie ist. Ein wichtiger Prozess, sagt Burian. Im Vorjahr haben sich von 425 Interessenten nur 267 tatsächlich auf Stellenausschreibungen beworben. Nach zwei Vorgesprächen werden die Bewerber zum eineinhalbtägigen Assessment Center geladen. Auch wenn man das positiv besteht, entscheidet letztlich der Projektpartner über den Kandidaten.
Helfersyndrom oder Egotrip
"Es ist wichtig, dass wir die richtigen Personen mit entsprechenden Soft Skills auswählen", sagt Personalverantwortliche Theresa Burian. Bei den Interessenten liege die Bandbreite zwischen dem altruistischen Weltverbesserer mit Helfersyndrom, der den armen Wilden retten will, und dem Karrieristen auf Selbsterfahrungstrip. Beste Chancen haben Bewerber im gesunden Mittelmaß.
Neben entsprechenden Sprachkenntnissen sind wichtige Kriterien für die Auswahl: Offenheit und Wertschätzung gegenüber anderen Kulturen, Teamfähigkeit und Lernbereitschaft – "auch wenn man bereits zehn Jahre Erfahrung im Finanzmanagement hat", sagt Theresa Burian. Schließlich läuft in Ländern wie Tansania, Uganda oder Papua-Neuguinea vieles gänzlich anders als in Österreich, hinzu komme: "Das Vertrauen des Teams vor Ort muss man sich erst erarbeiten."
Im siebenwöchigen Vorbereitungskurs lernen die Teilnehmer, sich im Entwicklungsland zurechtzufinden. Wissen in Projektmanagement, Tropenmedizin und ein Fahrsicherheitstraining gehören dazu. Vor Ort gibt es eine Einschulung in die Landeskunde. Etwa 2000 Euro netto im Monat lassen sich verdienen.
Rückkehrer müssen sich darüber im Klaren sein, dass ihr Einsatz in der Entwicklungszusammenarbeit einen Einschnitt in die Karriere bedeutet. Personalberater Peter Pendl sagt: "Viele Unternehmen reagieren verhalten auf sie." Erworbene Qualifikationen wie Verständnis für andere Kulturen oder Flexibilität seien weniger relevant wie fachliche Fähigkeiten und Branchenwissen. Zudem würde den Kandidaten oft unterstellt: "Wer weiß, ob bei ihm nicht in ein, zwei Jahren wieder die Abenteuerlust oder das Helfersyndrom durchbricht." Pendl rät, Qualifikationen klar herauszustreichen und sich bei Arbeitgebern zu bewerben, die eine Expansion im Einsatzland planen.
Auch Martina Ressmann hat nach ihrer Rückkehr nach einem halben Jahr in Österreich das Fernweh gepackt. Sie hat jetzt einen Job im Management der Fluglinie ZanAir in Sansibar.
Christoph und Angelika Schwarzl gehen Ende April gemeinsam für mindestens zwei Jahre nach Papua-Neuguinea. Christoph wird Unternehmen beraten, Angelika ein Finanzmanagement in der Schulverwaltung aufbauen. Organisiert wird ihr NGO-Engagement von Horizont 3000.
KURIER: Wie kamen Sie auf die Idee, für eine NGO zu arbeiten?
Christoph Schwarzl: Die Idee trage ich seit Jahren mit mir herum. Wir haben ein Interessenten-Seminar gemacht, da haben Rückkehrer erzählt. Das war informativ, ehrlich und inspirierend. Dann haben wir die Jobs gesehen und uns beworben.
Warum machen Sie das?
Christoph: Abenteuerlust ist jedenfalls ein Teil davon. Wenn jeder Mensch etwas auf dieser Welt beiträgt, funktioniert sie insgesamt besser.
Angelika: Ich will meine Erfahrungen in einem neuen Kontext einbringen, Neues entstehen lassen.
Die Vorlaufzeit ist relativ kurz: Zusage vor Weihnachten, Abreise Ende April. Sie haben jetzt sicher viel zu tun.
Angelika: Ja, aber es geht sich gut aus. Man muss alles versorgen, Job kündigen, Mitgliedschaften pausieren, Handyvertrag kündigen, etc.
Was sagt das Umfeld dazu?
Christoph: Mein Chef hat das selbst mal gemacht. Er ist nicht erfreut, mich als Mitarbeiter zu verlieren, aber hat Verständnis. Freunde sind verwundert, die Familie hat einen Besuch angekündigt.
Wird das ein schwieriger Abschied?
Christoph: Ein Abschied hat immer viele Facetten. Ich freue mich auf die Reise. Eine Angst liegt darin, was in zwei Jahren zu Hause alles passieren kann. Und dass man im Notfall nicht einfach kurz heimfliegen kann.
Zwei Jahre unterstützte PR-Profi Martina Ressmann über HORIZONT3000 die Frauenrechtsorganisation Tawla in Tansania beim Aufbau einer PR-Abteilung. Wie es ihr dabei ging.
KURIER: Warum entschieden Sie sich für die Entwicklungszusammenarbeit?
Martina Ressmann: Ich war bei einer deutschen Nachrichtenagentur im Business Development. Als sie 2012 pleite ging, wollte ich in die Entwicklungsarbeit. Aber nicht, um mich beim Brunnen-Graben zu verwirklichen, sondern um mein Wissen zu teilen. Nach sieben Wochen Vorbereitungskurs wurde ich nach Tansania entsendet. Eine Challenge: In der Zeit musste ich die Wohnung kündigen, Freunde treffen und mich vorbereiten.
Sie haben die PR-Abteilung für Tawla aufgebaut. Worauf waren Sie nicht vorbereitet?
Man unterschätzt den Alltag. Strom und Internet gibt es nicht immer. Auch die Sicherheit ist ein Thema. Ich fuhr mit dem Motorrad zur Arbeit. Hast du einen Unfall, wirst du ausgeraubt. Man muss vorausdenken, einen Back-up-Plan haben.
Was waren Ihre wichtigste Lernerfahrungen?
Ich habe Naseku, Head of Department, als Beraterin unterstützt. Die Dinge laufen in Tansania nicht so schnell, wie man denkt. Ihr Kritik zu geben war auch nur indirekt möglich, über Kollegen. In Tansania spielt Zeit keine Rolle: Zum Meeting um acht Uhr trudelten die Leute erst um 11 ein. Danach habe ich sie immer gefragt: Suaheli Time or Mzungu Time? (Anm.: Mzungu sind „die Weißen“).
Sie sind im Mai 2015 zurückgekehrt, aber seit Februar in Sansibar in der Privatwirtschaft. Warum?
Ich bin im Management der Zan Air für die Umstrukturierung tätig. So ein spannendes Angebot hätte ich in Österreich nie bekommen.
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