7 gute Rechte für Mitarbeiter
Am Anfang ist der Streik. Egal, ob es um die Arbeitszeiten, die Gleichbehandlung von Mann und Frau oder um Lohnerhöhungen geht: Bevor Gesetzgeber und Unternehmen ihre Regeln ändern, gehen die Menschen auf die Straße, um im Kollektiv ihr Recht zu fordern.
Im Einzelfall bleibt nur der Gang vor den Kadi. 12.400 Arbeitnehmer zogen im Vorjahr vor Gericht, vertreten von der Arbeiterkammer. Etwa drei Viertel der Fälle wurden gewonnen, rund 50 Millionen Euro erstritten. In 27.340 außergerichtlichen Fällen gab es 27,9 Millionen Euro für die Arbeitnehmer.
Meist geht es vor Gericht um ausstehende Gehälter, Urlaub, Sonderzahlungen, um unbezahlte Überstunden oder Kündigungen. Strittige Urteile landen vor dem Obersten Gerichtshof (OGH). Sein Urteil gilt als richtungsweisend. Wir stellen sieben Präzedenzfälle vor – Rechte, die Arbeitnehmer haben, aber kaum kennen:
Mobbing entspricht Körperverletzung
Zu diesem Urteil gelangte der OGH im Jahr 2011. Erstmals wurde einer Angestellten, die von ihrem Chef drangsaliert wurde, Schmerzensgeld zugesprochen. Seither ist Mobbing in Österreich mit Körperverletzung gleichgesetzt.
Erreichbar im Krankenstand – nur im Notfall
Im Jahr 2013 fällte der OGH ein in den Medien viel diskutiertes Urteil: Mitarbeiter dürfen im Krankenstand ausschließlich dann vom Chef angerufen werden, wenn ein Notfall besteht und wirtschaftlicher Schaden durch den Anruf abgewendet werden kann. Der Grund für den Anruf muss konkret genannt werden: "Wir wollen etwas mit Ihnen besprechen" reicht als Begründung nicht.
Mutterschaft – Ausbildungskosten bleiben beim Arbeitgeber
Die Klägerin hatte während ihres Arbeitsverhältnisses eine Fachausbildung begonnen, die sie kurz vor Ende abbrach. Mit dem Arbeitgeber hatte sie vereinbart, ihm die Ausbildungskosten rückzuerstatten, sollte sie vorzeitig aus dem Unternehmen ausscheiden. Die Klägerin wurde schwanger, der Arbeitgeber forderte die Ausbildungskosten von ihr zurück. Sie zog vor Gericht – und bekam Recht. Denn Mutterschutz fällt laut OGH nicht in diese Vereinbarung, der Arbeitgeber muss die Ausbildungskosten tragen.
Urlaub nehmen, auch wenn der Chef nein sagt
Im vergangenen September entschied der OGH über einen besonderen Fall: Eine Angestellte hatte sich mit ihrem Arbeitgeber trotz Einbeziehung des Betriebsrats nicht auf den Urlaub einigen können. Sie nahm den Urlaub dennoch, mit der Begründung, keine Kinderbetreuung zu haben. Der OGH entschied, dass das ihr gutes Recht war. Allerdings nur, weil es dem Betrieb zu dieser Zeit zumutbar war (betriebliche Erfordernisse waren nicht gegeben) und sie die fehlende Kinderbetreuung nachweisen konnte.
Frau darf bis 65 arbeiten
1967 hatte eine Bedienstete einer Landwirtschaftskammer einen damals typischen Dienstvertrag erhalten: Darin wurde festgehalten, dass sie bis zu ihrem 60. Lebensjahr unkündbar war. Als die Frau 2008 das 60. Lebensjahr erreichte, wollte sie weiterarbeiten – der Arbeitgeber sah das anders. Sie ging bis zum OGH, der den Europäischen Gerichtshof zur Hilfe rief. Dieser berief sich auf den Gleichbehandlungsgrundsatz von Mann und Frau: Die Beamtin wird diskriminiert, weil sie mit 60 früher in Pension gehen muss als ein Mann (mit 65). Sie darf weiterarbeiten. Der Präzedenzfall gilt allerdings nur für Beamte.
Schadenersatz bei diskriminierender Versetzung
Eine Schichtarbeiterin teilte ihrem Arbeitgeber nach der Geburt ihres Kindes mit, dass sie nach der Karenz Teilzeit arbeiten wolle. Das geschah auch, allerdings wurde die Frau in ein anderes, weiter entferntes Werk versetzt – was längere Fahrzeiten bedeutete. Sie klagte und bekam vom OGH Recht. Denn ihre Versetzung kam einer Verschlechterung gleich – und damit mittelbarer Diskriminierung.
Vorwurf der sexuellen Belästigung, Kündigung verboten
Eine Buslenkerin der Wiener Linien zeigte ihren Chef wegen sexueller Belästigung beim Arbeitgeber an. Das Unternehmen leitete ein Disziplinarverfahren ein, das eingestellt wurde – die Mitarbeiterin konnte ihren Vorwurf nicht beweisen. Sie wurde vom Unternehmen entlassen – zu Unrecht, wie der OGH im Mai 2014 feststellte. Dass sie die sexuelle Belästigung nicht nachweisen könne, berechtige nicht zur Kündigung, so das Urteil. Vielmehr ist es umgekehrt: Der Arbeitgeber muss beweisen, dass die Mitarbeiterin gelogen hat.
Mit 1. Jänner 2015 beginnt die Reduktion der Arbeitszeit von Ärzten in Krankenanstalten. Die durchschnittliche Wochenarbeitszeit darf nur mehr mit ausdrücklicher schriftlicher Zustimmung der Ärzte 48 Stunden überschreiten, ab Mitte 2021 gilt jedenfalls die Grenze von 48 Stunden. Auch die durchgehende Dienstdauer wird etappenweise von 32 Stunden (am Wochenende 49 Stunden) auf 25 Stunden verkürzt.
Ebenfalls gibt es Erleichterungen bei der Aufzeichnungspflicht von Arbeitszeiten. Mit der Entbürokratisierung will Wirtschaftsminister Mitterlehner 36 Millionen Euro pro Jahr einsparen. Die Pausenaufzeichnungen können auch in Betrieben ohne Betriebsrat entfallen und bei fixer Arbeitszeiteinteilung sind keine Tagesaufzeichnungen mehr notwendig – eine monatliche Bestätigung vom Arbeitgeber zur fixen Arbeitszeit reicht. Für die Arbeit im Home Office muss nur mehr die Dauer der Tagesarbeitszeit (Salden) aufgezeichnet werden. Die Meldepflicht über Schichtarbeit und Kurzpausen beim Arbeitsinspektor entfällt.
Zudem wird das Gesetz gegen Lohn- und Sozialdumping zu Jahresbeginn verschärft. Die behördlichen Kontrollen der Löhne werden ausgeweitet – betroffen ist hier vor allem die Baubranche. Das Strafausmaß bei verweigerten Lohnunterlagen wird von 500 bis 5000 auf 1000 bis 10.000 Euro angehoben – und zwar pro betroffenem Arbeitnehmer, nicht mehr als Pauschalbetrag pro Arbeitgeber.
Christoph Wolf von CMS-Reich Rohrwig Hainz vertritt Unternehmen vor Gericht. Er erklärt, warum das österreichische Arbeitsrecht von gestern ist.
KURIER: Sie haben täglich mit dem Arbeitsrecht zu tun. Wie beurteilen Sie es?
Christoph Wolf: Es ist komplett veraltet. Zwei Beispiele: So wurde der Betrieb als Arbeitsstätte definiert, an der Produkte von einer Belegschaft produziert werden. Aber: Das gibt es immer weniger. Wenn ich in internationalen Teams an 20 Standorten ein Computerprogramm produziere, zerfließt die Arbeitsstätte. Der Unterschied zwischen Arbeitern und Angestellten gründet aus dem 19. Jahrhundert. Angestelltenarbeit war als Bürotätigkeit definiert, die über das bloße Abschreiben hinausging – was es damals auch gab, denn der Kopierer war noch nicht erfunden. Einer der gesetzlichen Stehsätze, um Angestellte von Arbeitern zu unterscheiden, ist ihre „fachliche Durchdringung“. Daher wurde entschieden, dass unsere Fußballer Arbeiter sind (lacht). Der heutige Facharbeiter arbeitet mit hochkomplexen Maschinen, das verlangt auch „fachliche Durchdringung“. Materiell werden beide Gruppen aber zunehmend angeglichen.
Wo gehört das Arbeitsrecht denn entschlackt?
Beim Arbeitszeitgesetz. Es ist zu komplex und in der Praxis so nicht mehr lebbar.
Inwiefern?
Um Spitzenzeiten abzufedern, hat man zwar Durchrechnungsmodelle eingeführt. Das geht aber nur, wenn der jeweilige Kollektivvertrag oder die Betriebsvereinbarung es erlaubt. Das ist für viele kleinere Unternehmen ohne Rechtsabteilung zu komplex. Die Lösung wäre, einfachere Durchrechnungsmodelle gesetzlich zu verankern, die den Gesundheitsschutz angemessen berücksichtigen. Hier könnte man die Tageshöchstzeit erhöhen. Warum soll die Arbeitszeit an einzelnen Tagen nicht zwölf Stunden betragen, wenn sie pro Woche nicht über 40 im Durchschnitt hinausgeht?
Und Sie hätten weniger zu tun.
Ja, aber ich glaube ja nicht, dass es kommt (lacht).
Welche Lücken im Arbeitsrecht müsste man dringend schließen?
Man müsste das viel zu unübersichtliche Arbeitsrecht neu schreiben. Große Betriebe müssen auf komplizierte Vereinbarungen mit dem Betriebsrat setzen. Kleine Unternehmen sind überfordert und halten sich dann nicht ans Gesetz. Bei Novellen fehlt der Gesamtguss. So wird das Gesetz immer mehr zum Flickwerk, Entscheidungen werden vom Gesetzgeber auf die Gerichte verlagert.
Ein Beispiel?
Ein Gesetz von 1974 sieht vor, dass für bestimmte Kontrollmaßnahmen die Erlaubnis vom Betriebsrat vorliegen muss. Dagegen ist nichts einzuwenden, nur betrifft das heute auch Telefon und Computer. Das Gesetz wurde novelliert, statt der Zustimmung des Betriebsrates braucht es jene der Schlichtungsstelle.
Was ist der Trend beim Arbeitsrecht der vergangenen Jahre?
Das Europäische Arbeitsrecht tritt in den Vordergrund, vor allem das Antidiskriminierungsrecht. Die Gleichbehandlung von Mann und Frau ist weitgehend ausjudiziert, bei der Altersdiskriminierung ist aber vieles unklar: Unser Entlohnungssystem – je älter, desto mehr Gehalt – wird problematisch.
Wenn ich mit 34 die gleiche Arbeit mache wie mein 60-jähriger Kollege, aber weniger verdiene, hätte ich Chancen vor dem EU-Gerichtshof?
Ja. Ihr Gehalt müsste an das des Kollegen angeglichen werden. Denn das Dienstalter beeinflusst oft nicht, wie gut ich meine Arbeit mache. Die KV-Partner flachen die Gehaltskurven zwar ab, die Frage ist, ob rasch genug.
Was sollte die Regierung beim Arbeitsrecht umsetzen?
Arbeitnehmer warten schon zu lang auf transparente Regelungen bei All-in-Verträgen. Und die Wirtschaft bräuchte eine Reform des Arbeitszeitrechts wie einen Bissen Brot.
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