Kapsch: "Bin sicher kein Neoliberaler"
Das Büro von Georg Kapsch erzählt mehr als sein Besitzer. Interviews über Persönliches gibt dieser nie: „Es interessiert doch niemanden, welchen Wein ich trinke.“ Sein Büro verrät, welche Bücher er liest: Auf dem Schreibtisch liegt „Die Stunde der Dilettanten“ von Thomas Rietzschel. Und an den Wänden hängen Fotos und Baupläne von Kapschs 50 Jahre alter Yacht, die in Cagliari liegt. Er sagt „Segelboot“ dazu.
Am Donnerstag wurde der CEO der Kapsch-Gruppe und Urenkel des Firmengründers mit nur einer Gegenstimme zum neuen Präsidenten der Industriellenvereinigung gewählt. Im KURIER-Interview erzählt er, wer er ist und was ihn geprägt hat.
KURIER: Als Chef der Industrie und Leiter eines Elektronikkonzerns haben Sie eine humanistische Bildung in Ihrem Lebenslauf. Fehlt Ihnen manchmal der technische Background?
Georg Kapsch: Ich habe nicht das Gefühl, etwas versäumt zu haben. Wir dürfen nicht nur Dinge lernen, die wir zu Geld machen können. Die Frage: „Wozu brauch’ ich das?“ ist ein Grundproblem unserer Zeit: Wenn wir Bildung nur noch unter dem monetären Aspekt sehen, verarmt die Gesellschaft. Ich habe als Schüler auch die Frage gestellt: „Wozu brauch’ ich Griechisch und Latein?“ Aber unter dem Aspekt: „Was mach’ ich damit?“
Und was haben Sie damit gemacht?
Ich habe einerseits ein ganz bestimmtes Menschenbild mitbekommen. Natürlich kann ich Bilanzen lesen, aber mein Kernpunkt war immer der Mensch und wird immer der Mensch sein. Der Mensch ist im Mittelpunkt.
Und andererseits ...
... habe ich viel über die Wiege unserer Kultur gelernt – auch wenn gerade dieses Land jetzt in Schwierigkeiten ist.
Sie sprechen von Griechenland. Wie gespannt haben Sie die Wahl verfolgt?
Wir können die Entscheidungen der Griechen nicht beeinflussen. Aber ich sehe jetzt doch die Chance, dass wir eine gewisse Stabilität hineinbringen.
Klingt das vorsichtig optimistisch?
Ich bin grundsätzlich optimistisch. Und ich bin der Überzeugung, dass Griechenland Teil der EU bleiben sollte. Alles andere wäre fatal. Denn dann kommt das nächste und das nächste und das nächste Land.
Ein Dominoeffekt?
Ja, dann beginnt die Diskussion über ein Kerneuropa manifest zu werden. Ein Kerneuropa hätte aber im Spiel der Welt keine Chance. Die Wachstumsoptionen wären zu gering.
Und die Budgetzahlen gesünder ...
Kurzfristig ja. Langfristig bin ich mir nicht so sicher. Wenn wir kein integriertes Europa sind, haben wir gegen den Rest der Welt keine Chance, da können wir noch so gesund sein.
Heißt das, die EU sollte wachsen?
Ja, das ist meine tiefe Überzeugung.
Sie waren selbst vor einigen Jahren parteipolitisch aktiv (als stv. Wiener Landessprecher im Liberalen Forum, Anm.). Würden Sie das je wieder tun?
Mit Mitte 30 würde ich es wieder tun. Heute sag’ ich: Nein. Ich glaube, dass ich in der Form, in der ich jetzt politisch tätig bin, nämlich nicht parteipolitisch, mehr bewegen kann. Die Industriellenvereinigung ist eine politische Organisation, aber keine ideologische.
Als Präsident bringen Sie eine ideologische Grundhaltung mit. Wo ordnen Sie sich ein?
Ich lasse mich nicht in das Parteienspektrum einordnen. Ich bin sicher kein Neoliberaler, ich bin ein Sozialliberaler. Wir brauchen einen möglichst großen Freiraum für die Individuen und die Unternehmen in diesem Land. Die zunehmende Reglementierung erschwert uns das Wachstum.
Ist Wachstum weiterhin das Paradigma? Wäre nicht eher Konsolidierung angesagt?
Ich wundere mich schon lange, dass sich nur wenige Ökonomen die Frage stellen: „Wie kann eine Welt ohne Wachstum erfolgreich agieren?“ Das müsste man aufarbeiten.
Sie waren bereits Chef von „1031 – Gruppe der jungen Unternehmer und Führungskräfte“ sowie Präsident der Wiener Industriellenvereinigung. Was treibt Sie an, neben der Führung eines großen Unternehmens, derart arbeitsintensive Aufgaben zu übernehmen?
Ich war immer ein sehr politischer Mensch und wurde in dem Geist erzogen: „Wenn dir die Gesellschaft etwas gibt, dann gib auch du der Gesellschaft etwas.“
Was hat Ihr Vorgänger Veit Sorger richtig gemacht, wo werden Sie neue Wege gehen?
Veit Sorger hat sich extrem eingesetzt und einiges verhindert, was dem Standort geschadet hätte. Ich will mit neuen Konzepten offensiv an die Öffentlichkeit gehen, von der Bildung über die Steuerpolitik bis zum Gesundheitssystem.
Nehmen wir die Bildung: Haben Sie das Bildungsvolksbegehren unterschrieben?
Ja. Um ein Zeichen zu setzen, dass etwas geschehen muss, auch wenn nicht jeder Punkt in meinem Sinne war. 25 Jahre Bildungsdebatte ohne wesentliche Ergebnisse sind genug!
Was würden Sie in den ersten 100 Tagen machen, wenn Sie Bundeskanzler wären?
Die Frage beantworte ich nicht, weil ich mit dem Bundeskanzler weiterhin ein gutes Verhältnis haben will (lacht). Wenn wir etwas bewegen wollen, brauchen wir eine gute Gesprächsbasis zur Regierung, auch wenn wir, naturgegeben, nicht immer derselben Meinung sind. Sie werden mich vielleicht manchmal provokant, aber sicher nie untergriffig erleben. Daher nur so viel: Ich wäre in Brüssel extrem aktiv, ich würde die Abgabenquote unter 40 Prozent senken, und ich würde ein neues Bildungskonzept aufsetzen.“
In welche Schule gehen Ihre beiden Söhne?
Das ist eine Frage, die ich nicht gern gestellt bekomme, weil sie in die „American“ gehen (die „American International School“ ist eine Privatschule in Wien, Anm.) . Grundsätzlich hätten wir sie lieber im Regelschulwesen gesehen, aber sie haben eine englischsprachige Volksschule besucht, und da haben wir gesagt: „Gehen wir diesen Weg weiter, damit sie Englisch wie eine zweite Muttersprache sprechen.“
Also kein Misstrauensvotum gegen das Regelschulwesen?
Nein. Ich kann Ihnen sagen: Vom Bildungsniveau her ist da kein Unterschied.
Sie gelten gesellschaftspolitisch als sehr liberal. Über Ihre Erziehung haben Sie einmal gesagt: „Härte hab’ ich anderswo lernen müssen.“
Ja, ich wurde sehr weich erzogen. Meine Frau und ich erziehen unsere Kinder auch eher weich. Das heißt: So lange sie verlässlich sind, können sie vieles machen.
Wer oder was hat Sie geprägt?
Meine Mutter hat mich sicher stark geprägt, auch die Industriellenvereinigung hat mich geprägt und meine humanistische Ausbildung. Das sind die Eckpfeiler.
Sie sagen, Sie wurden als politischer Mensch erzogen, vonseiten der Mutter oder des Vaters?
Mütterlicherseits. Wir haben viel politisiert. Aber ich weiß bis heute nicht, wen meine Mutter gewählt hat. Sie hat gesagt: „Das Wahlgeheimnis ist das höchste Gut. Du kannst raten, aber ich werde es dir nie und nimmer sagen.“
Wissen Ihre Kinder, wen Sie wählen?
Ja, selbstverständlich.
Verraten Sie es auch öffentlich?
Nein, nein!
Hat es Ihnen innerhalb der ÖVP geschadet, dass Sie beim Liberalen Forum aktiv waren?
(Seufzt) Sicher waren viele nicht unbedingt erfreut. Aber ich war ja ein No-Name in der ÖVP, so wie ich ein No-Name in der SPÖ war.
Ein No-Name namens Kapsch?
Wir haben uns eigentlich immer aus der Politik herausgehalten.
Sie haben den Umgang mit Zwangsarbeitern bei Kapsch während des Zweiten Weltkriegs analysiert. Welches Bild hat das ergeben?
Ich hatte Diskussionen mit meinem Vater, ich habe mit Mitarbeitern gesprochen, und alle haben ein relativ positives Bild gezeichnet. Das hätte aber auch Selbstschutz sein können. Also bin ich der Sache nachgegangen.
Aus einem Verantwortungsgefühl heraus?
Ich bin der Meinung, dass ich als Person nicht dafür hafte, was meine Vorfahren getan haben, als Unternehmen aber sehr wohl.
Zu welchem Ergebnis sind Sie gekommen?
Mir ist kein Fall untergekommen, bei dem wir nicht korrekt gezahlt hätten. Ich habe damals mit Johannes Mario Simmel telefoniert, der zu der Zeit bei uns dienstverpflichtet war. Er hat mir gesagt: „Man hat gespürt, dass in diesem Unternehmen ein anti-nationalsozialistischer Geist herrschte.“ Vor Kurzem hat mich ein 90-jähriger Mann bei einer Veranstaltung angesprochen und erzählt: „Ich war 1942 bis ’45 bei Kapsch beschäftigt, ich erinnere mich, wie Ihr Vater lautstark ,Die letzten Tage der Menschheit’ vom Balkon rezitiert hat.“
Also eine weiße Weste ohne Flecken?
Wenn ich braune Flecken gefunden hätte, hätte ich das sofort öffentlich gemacht. Mein Grundprinzip lautet: „Transparenz ist alles.“
Stichwort Transparenz: Wie stehen Sie zum Korruptions-Untersuchungsausschuss?
Korruption ist ein Problem, das bereinigt gehört. Aber bitte in einer sachlichen Form! Es kann nicht sein, dass ein Land nur noch davon lebt und dass im Ausland jeder lacht.
Sie sähen das Thema lieber auf gerichtlicher Ebene abgehandelt als im Parlament?
Eindeutig. Ich stehe dazu, dass es Konsequenzen geben muss. Aber dass man daraus ein populistisches Großereignis macht, halte ich für falsch. Es patzt das Land extrem an, wenn das Tag für Tag durch die Medien geht.
Sprechen Sie aus Erfahrung?
Ich kann es Ihnen aus meiner eigenen Geschichte erzählen: Herr Gorbach hat nach seiner Zeit als Minister von uns einen Konsulentenvertag bekommen. Daraufhin stand sofort die Annahme im Raum, das müsse Korruption sein. Lächerlich! War es nicht. Er hat uns nur seine Kontakte im Ausland zur Verfügung gestellt. Wenn wir so etwas unterbinden, wer geht dann noch in die Politik? Wenn er weiß, dass er nachher beruflich kaputt ist?
Sehen Sie keine Gefahr der schiefen Optik?
Ich verstehe schon, dass ein Ex-Minister nicht in seinem ehemaligen Aufgabenbereich im Ministerium lobbyieren darf. Aber dass er seine Kontakte im Ausland nicht nützen darf, dafür habe ich kein Verständnis. Wir brauchen eine wesentlich größere Durchlässigkeit zwischen Wirtschaft und Politik.
Zurück zum Unternehmen: Sie und Ihr Bruder Kari haben es vor 12 Jahren völlig umstrukturiert. Im Zuge dessen haben Sie viele Mitarbeiter gekündigt. Wie konnten Sie das mit sich vereinbaren, wenn der Mensch, wie Sie sagen, stets im Mittelpunkt Ihres Handelns steht?
Einfach war das sicher nicht für mich. Man denkt an die Zukunft des großen Ganzen und geht dann auf den Einzelfall, schaut, unter welchen sozialen Rahmenbedingungen die Mitarbeiterin oder der Mitarbeiter l ebt und wie man helfen kann. Es war ein harter Weg. Aber viele sind zurückgekommen, als es uns besser ging. Wir hatten Ende 2002 etwa 1900 Mitarbeiter und haben jetzt an die 5000.
Haben Sie Ihren Bruder gefragt, ob Sie als Präsident der IV kandidieren dürfen?
Ich habe es mit ihm besprochen. Ob ich etwas darf oder nicht, frage ich nur meine Frau.
Und wenn Ihre Frau „Nein“ gesagt hätte?
Hätte ich es mit Sicherheit nicht gemacht.
Was sind Ihre nächsten Ziele?
Ich muss zugeben, ich habe mir in meinem ganzen Leben kein wirkliches Ziel gesetzt.Ich gehe meinen Weg und schaue nach links und rechts, was ich tun könnte. Die Dinge entwickeln sich so rasant, dass ich nicht sagen kann, wo ich in zehn Jahren stehen will.
Kapsch Group: Zwei Brüder, drei Unternehmen
Zur Person Georg Kapsch, geb. 1959, besuchte ein Gymnasium in Wien Hietzing und studierte Betriebswirtschaft. 1982 trat er ins Familienunternehmen ein, seit 1989 ist er im Vorstand, seit Oktober 2001 als dessen Vorsitzender. Ein Jahr später wurde er auch Vorstandsvorsitzender der Kapsch TrafficCom. Ende 2008 wurde er zum Präsidenten der Wiener Industriellenvereinigung gewählt. Er ist verheiratet mit Dr. Ingrid Kapsch und hat zwei Söhne (14 und 16). Seine Hobbys sind Segeln und Jagen, wobei er betont, dass er „kein großer Schießer“ sei und schon als Kind der Natur wegen auf die Jagd mitgegangen sei. Jagdeinladungen nimmt er „nur selten“ an, lieber geht er mit seiner Frau, einer Jägerin, auf die Jagd.
Zum Unternehmen Georg und sein jüngerer Bruder Kari, geb. 1964, sind im Vorstand der
Kapsch-Gruppe. Vor 12 Jahren haben die Brüder das vom Urgroßvater 1892 gegründete Unternehmen, dessen Name früher für Telefone, Radio- und Fernsehgeräte stand, in drei strategische Geschäftsbereiche mit drei eigenständigen Firmen umstrukturiert: In die Kapsch TrafficCom für elektronische Mautsysteme und Verkehrsmanagementlösungen; die Kapsch CarrierCom, die Systemlösungen für Daten- und Mobilnetzbetreiber anbietet; sowie die Kapsch BusinessCom im IT-Netzwerkbereich. 2010/’11 verzeichnete die Gruppe einen Umsatz von knapp 830 Mio. Euro. Der neue Geschäftsbericht erscheint am 17. Juli.
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