Jobsuche mit Behinderung: AMS sieht Betriebe in der Pflicht

Oft sind es „Barrieren im Kopf“, die die Anstellung von Menschen mit Behinderung verhindern
Inklusiver Arbeitsmarkt: Wie die Job-Vermittlung von Menschen mit Behinderung besser gelingen könnte

Der Chef ist stolz auf seinen Lehrling: „Wer hat schon einen Olympia-Medaillengewinner in seinem Unternehmen?“, schwärmt Martin Graf, Vorstandsdirektor der Energie Steiermark von Michael, der eine teilqualifizierte Lehre beim Energieversorger absolviert. Ganz nebenbei räumte er als Schwimmer bei den Special Olympics ab.

Das Thema Inklusion, also die berufliche Gleichberechtigung von Menschen mit Behinderungen, wird bei der Energie Steiermark großgeschrieben. Die Palette reicht von Teilqualifikationen einer Lehre bis zu barrierefreien E-Autos. „Jeder hat doch irgendwelche Beeinträchtigungen, man muss einfach die Berührungsängste abbauen“, meint Graf.

Inklusion bei Rewe

Wenn die Unternehmensspitze das Thema treibt, kann viel erreicht werden. So entwickelte der Handelskonzern Rewe (Billa, Bipa, Merkur, Penny) 2015 eine eigene Disability-Strategie, um das Bewusstsein bei Führungskräften und Mitarbeitern zu schärfen. Seither ist die Zahl der Mitarbeiter mit Behinderung um 50 Prozent auf 600 gestiegen, dazu kommen 140 integrative Lehrlinge. „Bei Merkur wurde eine gehörlose Kommissioniererin eingestellt. Das Feedback war so positiv, dass wir jetzt schon zehn gehörlose Kommissioniererinnen in der Gruppe haben“, berichtet Disability-Managerin Caroline Wallner-Mikl.

Barrieren im Kopf

Beispiele wie diese zeigen Fortschritte bei der Jobvermittlung. „Bei vielen Unternehmen hat ein Wandel in den Köpfen stattgefunden. Es gibt aber noch festgefahrene Barrieren, die der Vermittlung im Weg stehen“, fasst myAbility-Gründer Gregor Demblin zusammen. Die Wiener Unternehmensberatung entwickelt Inklusionsstrategien und betreibt seit zehn Jahren eine eigene Jobplattform für Bewerber mit Behinderung.

Die aktuellen Zahlen sind ernüchternd: Die Erwerbsquote bei Menschen mit „begünstigter Behinderung“ (siehe Infobox) ist mit 56 Prozent nach wie vor niedrig, die Arbeitslosigkeit hoch. Ende Juli waren 12.000 Menschen mit Behinderung beim AMS vorgemerkt, um 4 Prozent mehr als vor einem Jahr. Die Zahl der Jobsuchenden mit sonstigen gesundheitlichen Vermittlungs-Einschränkungen stieg um 3,5 Prozent auf 60.000. Im Vorjahr machte die Gruppe der Menschen mit Begünstigtenstatus oder gesundheitlichen Einschränkungen 24 Prozent aller Arbeitslosen aus.

Wer an Menschen mit Behinderung denkt, hat meist jene  mit „Begünstigtenstatus“ im Kopf. Als begünstigte Behinderte gelten Personen mit einem vom Sozialministeriumsservice bescheidmäßig festgestelltem Grad der Behinderung von mindestens 50 Prozent. Darunter fallen aktuell 110.741  Menschen.

Insgesamt leben in Österreich aber rund 1,7 Millionen Menschen mit Behinderung. Sie  haben keinen Status, weil die formellen Voraussetzungen fehlen oder weil Betroffene ihn gar nicht beantragen. Nur begünstigt Behinderte haben einen erhöhten Kündigungsschutz, der seit 2011 jedoch erst nach vier Jahren Betriebszugehörigkeit gilt.

AMS-Vorstand Johannes Kopf sieht die Betriebe gefordert. Diese müssten in Zeiten des Fachkräftemangels ihre Rekrutierungsprozesse überdenken und den engen Suchradius ausweiten: „Es ist nicht nur ein sozialer Akt, Menschen mit Behinderung einzustellen, es zahlt sich auch wirtschaftlich aus.“

Jobsuche mit Behinderung: AMS sieht Betriebe in der Pflicht

AMS-Chef Kopf, Rewe-Disability-Managerin Wallner-Mikl, myAbility-Gründer Demblin und Energie-Steiermark-Chef Graf

Bonus-Malus-System

Um die Arbeitslosigkeit zu senken, braucht es auch strukturelle Veränderungen. Demblin will die bestehende Ausgleichstaxe für Unternehmen, die keine begünstigt Behinderten beschäftigen, in ein Bonus-Malus-System umwandeln. Die Ausgleichstaxe sei ein schlechtes Signal, weil sie den Bewerbern Qualifikationen abspreche, argumentiert Demblin. Stattdessen sollte es einen besseren finanziellen Ausgleich zwischen Betrieben geben.

Auch Behindertenverbände wollen das System reformieren und durch einen allgemeinen Behindertenbeschäftigungsbeitrag als Arbeitgeberabgabe ersetzen. Die Arbeiterkammer (AK) sprach sich zuletzt für eine Erhöhung der Ausgleichstaxe aus, die Wirtschaftskammer ist dagegen.

Unternehmen mit mehr als 25 Mitarbeitern sind gesetzlich verpflichtet, einen begünstigten Behinderten einzustellen. Mehr als zwei Drittel der Unternehmer (70 Prozent) entscheiden sich allerdings dagegen – und zahlen stattdessen in den Ausgleichstaxfonds ein. Im Vorjahr waren dies 11.000 von 16.000 einstellungspflichtigen Unternehmen.

Die Höhe der Ausgleichstaxe beträgt je nach Anzahl der Mitarbeiter zwischen 262 und 391 Euro im Monat pro Mitarbeiter. Das Geld – zuletzt 155 Mio. Euro – fließt  in den Ausgleichstaxfonds, der für Förderungen zur Inklusion verwendet wird. Die Palette reicht von Lohnkostenzuschüssen bis hin zu Umbauten in Unternehmen oder Anschaffung eines Assistenzhundes.

Zentrale Rekrutierung

Ein weiterer wichtiger Hebel ist der Rekrutierungsprozess. „Wir benötigen hier einen One-Stop-Shop für Unternehmen“, sagt Demblin und verweist auf die britische Organisation Remploy, die die Bewerberauswahl für Betriebe zentral organisiert. Rein privatwirtschaftlich rechne sich eine solche Dienstleistung aber nicht.

Generell sieht der Experte Reformbedarf beim „zersplitterten Fördersystem“, das obendrein viel zu spät ansetze: „Der vierte Stock ist perfekt ausgestattet, aber es gibt keinen Aufzug dorthin.“ Sprich: Förderungen greifen erst dann, wenn bereits Mitarbeiter eingestellt wurden. Bis dahin muss es aber erst einmal kommen.

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