Das Leben hat sich geändert. In immer weniger Haushalten brutzelt regelmäßig ein Kalbsbraten im Ofen. Der Fleischhauer ums Eck hat mangels Kunden längst zugesperrt. Und nicht einmal die Farbe des Kalbfleisches ist die gleiche geblieben. Haben es viele aus ihrer Kindheit zartrosa in Erinnerung, kommt es jetzt weiß auf den Teller.
„Ich würde das nie essen“, sagt Hannes Royer, Bio-Bauer aus Schladming und Obmann des Vereins „Land schafft Leben“. Die weiße Farbe sei schließlich ein Zeichen von Mangelernährung, konkret eines Eisenmangels des Tieres. Hervorgerufen durch nicht artgerechte Fütterung in holländischen Industrieställen, aus denen das in Österreich servierte Kalbfleisch meistens geliefert wird.
„Die Tiere werden dort mit einem billigen Gemisch aus Milchpulver, Palmölfett und Maismehl gemästet, bis sie 300 Kilo schwer sind“, erläutert auch Adi Marksteiner von der Landwirtschaftskammer Österreich. Raufutter – also Heu, Stroh, Silage – fehlt in den Futtertrögen. Artgerecht ist das nicht. Marksteiner: „Das ist, als würden Sie einen Menschen bis zum Alter von neun Jahren mit der Flasche aufziehen.“
Frage der Größe
Was im internationalen Fleischgeschäft zählt, ist der Preis. Holland spielt hier in einer eigenen Klasse, wegen seiner Industrieställe. „Der größte holländische Konzern mästet 5,5 Millionen Kälber im Jahr“, sagt Hannes Royer. Freilich auch für den Exportmarkt – denn das Geschäft ist ein internationales. Sehr zum Leid der Tiere.
Allein Österreich transportiert jährlich um die 45.000 Kälber ins Ausland, allen voran nach Spanien und Italien. Auf der anderen Seite wird das Fleisch von umgerechnet 105.000 Tieren importiert – vornehmlich aus den Niederlanden.
Eine Praxis, der jetzt ausgerechnet der Schweizer Großhändler Transgourmet in Österreich gegenwirken möchte. Mit seiner Initiative „Kalb rosé“ soll die heimische Kalbfleischproduktion wieder hochgefahren werden, 150 Bauern der ARGE Rind sind bereits Vertragspartner. „Wir haben vor zwei Monaten mit 70 Tieren die Woche begonnen und haben die Zahl bereits fast verdoppelt“, sagt Manuel Hofer von Transgourmet. Es geht um artgerechte Haltung und Fütterung – ob das Erfolg hat, wird letztlich der Kunde bei der Bestellung entscheiden.
Preisfrage
Das Argument, dass das Kalb rosé erst gar nicht den Weg ins Wirtshaus finden wird, weil es im Vergleich zum internationalen Konkurrenzprodukt zu teuer ist, lassen die Geschäftsführer von Transgourmet nicht gelten. „Der Preisunterschied liegt bei einem 170-Gramm-Kalbsschnitzel bei gerade einmal 30 Cent“, rechnet Hofer vor. Was auch daran liegt, dass es für die Tierwohl-Initiative Zuschüsse von der öffentlichen Hand gibt.
Die aktuelle Debatte um steigende Gastro-Preise (sie sind zuletzt wie berichtet um 4,4 Prozent gestiegen) findet Transgourmet-Geschäftsführer Thomas Panholzer überhaupt ungerecht. Viele Gastronomen hätten in der Corona-Krise neue Konzepte erarbeitet und setzen nun verstärkt auf Regionalität und Nachhaltigkeit. Panholzer: „Wir sollten froh sein, dass es jetzt mehr Qualität gibt, statt zu jammern, dass das Schnitzel ein paar Cent mehr kostet.“
Schnitzel – wie überhaupt so gut wie alles vom Kalb – wird übrigens hauptsächlich in der Gastronomie und Gemeinschaftsverpflegung konsumiert. Hier den Hebel anzusetzen, ist aus Sicht der Agrarier also eine erfolgversprechende Sache.
Von einer „g’maht’n Wiesn“ kann aber keine Rede sein. Schon gar nicht aufseiten der Vertragsbauern. Viele Landwirte sind desillusioniert. Gerade in der Schweinemast haben sie zuletzt in neue Ställe und mehr Tierwohl investiert und sind letztlich auf einem Schuldenberg sitzen geblieben. Schlicht, weil nach der ersten Euphorie am Markt die Nachfrage der Konsumenten ausgeblieben ist. „Bei vielen Projekten waren die Enttäuschungen häufiger als die Erfolgserlebnisse“, formuliert es Marksteiner. „Letztlich hat sich der durchschnittliche Schnitzelesser in den seltensten Fällen für die Haltungsbedingungen der Tiere interessiert.“
War Geiz ist geil gestern?
Koch- und Essgewohnheiten
Zwar essen die Österreicher noch etwa gleich viel Kalbfleisch wie vor 25 Jahren, aber nicht mehr daheim. Zwei Drittel bis drei Viertel werden in der Gastronomie und Gemeinschaftsverpflegung konsumiert
Selbstversorgung
Konnte sich Österreich vor 25 Jahren noch selbst mit Kalbfleisch versorgen, so liegt der Selbstversorgungsgrad aktuell bei nicht einmal mehr 50 Prozent
45.000 lebende Kälber
exportiert Österreich im Jahr. Im Gegenzug wird das Fleisch von rund 105.000 Tieren importiert
Dennoch scheint der Markt in Bewegung. In Deutschland haben kürzlich die Supermarktketten Edeka und Aldi angekündigt, dass sie ab 2030 ausschließlich Fleisch unter dem Tierwohlsiegel verkaufen werden. Das Credo, dass jenen der Markt gehört, die ihn durch Größe und Kosteneffizienz beherrschen, stößt an seine Grenzen. Was übersehen wurde, ist der enorme Imageschaden, den die Branche dabei mitproduziert hat. Zumindest theoretisch öffnet das neuen Tierwohlinitiativen Tür und Tor.
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