Trotz Schuldspruch: IWF spricht Lagarde Vertrauen aus

IWF-Chefin Christine Lagarde vor Gericht
IWF-Chefin Christine Lagarde wurde am Montag vom Gerichtshof der Republik in Paris für schuldig befunden, in der acht Jahre zurückliegenden Affäre um eine Millionen-Zahlung an den Unternehmer Bernard Tapie als französische Finanzministerin fahrlässig gehandelt zu haben. IWF-Vorstand sprach Lagarde Vertrauen aus.

Dem Internationalen Währungsfonds (IWF) droht nach einem Schuldspruch gegen seine Chefin Christine Lagarde eine neue Führungskrise. Rund fünf Jahre nach dem Abgang des einstigen IWF-Direktors Dominique Strauss-Kahn wegen eines Sex-Skandals könnte nun auch seine Nachfolgerin in Bedrängnis geraten.

Lagarde wurde am Montag vom Gerichtshof der Republik in Paris für schuldig befunden, in der acht Jahre zurückliegenden Affäre um eine Millionen-Zahlung an den Unternehmer Bernard Tapie als französische Finanzministerin fahrlässig gehandelt zu haben. Ihr wurde insbesondere angekreidet, dass sie nichts unternommen habe, um die Auszahlung anzufechten.

Die Richter verzichteten zwar darauf, eine Strafe zu verhängen. Doch ein IWF-Sprecher kündigte unmittelbar nach dem Urteil baldige Beratungen des Direktoriums über den Ausgang des Prozesses an. Lagarde hatte das Urteil nicht abgewartet und war noch vor seiner Verkündung aus Frankreich Richtung Washington abgereist.

Führungsgremium wird zusammengerufen

Die Vorsitzende Richterin Martine Ract Madoux erklärte, das Umfeld der globalen Finanzkrise sei in dem Fall als mildernder Umstand gewürdigt worden. Zudem sei der gute Ruf Lagarde in dieser Sache mit berücksichtigt worden. Die Anwälte Lagardes erwägen dennoch eine Berufung.

In dem vor dem Gerichtshof der Republik verhandelten Fall aus dem Jahr 2008 ging es um die Rolle Lagardes bei der Zahlung von 400 Millionen Euro. Das Geld war Tapie als Schadenersatz zuerkannt worden. Damit sollten Verluste ausgeglichen werden, die ihm 1992 beim Verkauf von Adidas-Anteilen entstanden sein sollen. Nach Tapies Ansicht wurde er von dem heute nicht mehr bestehenden staatlichen Institut Credit Lyonnais dazu gebracht, die Anteile deutlich unter Wert zu verkaufen. Im Dezember 2015 wurde Tapie zur Rückzahlung der Summe verurteilt.

IWF-Vorstand spricht Lagarde Vertrauen aus

Der Internationale Währungsfonds (IWF) hat seiner Chefin Christine Lagarde auch nach dem Urteil eines Pariser Sondergerichts das Vertrauen ausgesprochen. Das erklärte der IWF-Vorstand am Montagabend in Washington.

"Ich bin ziemlich enttäuscht"

Das Pariser Urteil stellt laut Kommentatoren Lagardes Glaubwürdigkeit infrage. Laut früheren Angaben aus IWF-Kreisen gibt es aber keine Vorschrift, nach der Lagarde im Falle eine Verurteilung zwingend ihr Amt aufgeben müsste.

Das Gericht setzte sich über die Staatsanwaltschaft hinweg, die für Freispruch plädiert hatte. Die französische Regierung sprach Lagarde nach dem Urteil ihr Vertrauen aus. Lagarde führe ihr Mandat beim IWF "mit Erfolg, und die Regierung vertraut weiter in ihre (Lagardes) Fähigkeit, dort ihre Verantwortlichkeiten wahrzunehmen", teilte Wirtschafts- und Finanzminister Michel Sapin mit. Das Sondergericht erwähnte ausdrücklich das internationale Ansehen Lagardes; auch dies sei ein Grund dafür gewesen, auf eine Strafe zu verzichten.

"Ich bin ziemlich enttäuscht", resümierte Anwalt Patrick Maisonneuve. Er ließ es offen, ob Lagarde Rechtsmittel einlegen wird. "Wir werden die Bedingungen prüfen." Der Schuldspruch werde keinen Eintrag ins französische Vorstrafenregister nach sich ziehen.

Gerichtshof tagt selten

Lagarde leitet den Weltwährungsfonds seit 2011 und gehört damit zum kleinen Zirkel der mächtigsten Frauen der Welt. Sie hatte im Prozess in der vergangenen Woche beteuert, sie sei unschuldig und habe nach bestem Gewissen gehandelt. Sie war von 2007 bis 2011 unter Präsident Nicolas Sarkozy französische Wirtschafts- und Finanzministerin gewesen. In dem Verfahren drohten maximal bis zu ein Jahr Haft und 15.000 Euro Strafe.

Der Gerichtshof der Republik tagt höchst selten. Er ist für Vergehen französischer Regierungsmitglieder im Rahmen ihres Amtes zuständig. Das Sondergericht wurde 1993 geschaffen; das Verfahren gegen Lagarde war erst der fünfte Prozess. Auf der Richterbank saßen neben drei Berufsrichtern zwölf Parlamentarier.

Das Schiedsverfahren im Rechtsstreit um Tapie erwies sich letztlich als eine schlechte Lösung. Inzwischen laufen Betrugsermittlungen gegen mehrere Beteiligte, weil es Verbindungen zwischen Tapie und einem der Schiedsleute gegeben haben soll. Der Schiedsspruch wurde deshalb bereits von Gerichten aufgehoben. Die nach Tapie benannte Affäre gilt als noch lange nicht beendet.

Christine Lagarde gilt als Grande Dame der Finanzwelt. Dabei ist die Französin an den Schalthebeln der internationalen Finanzmacht als Frau eher eine Ausnahmeerscheinung. Lagarde ist seit 2011 - nach dem unrühmlichen Abgang ihres Landsmannes Dominique Strauss-Kahn - die erste Chefin des Internationalen Währungsfonds (IWF). Im Februar 2016 wurde die 60-Jährige für eine zweite Amtszeit bestätigt.

In ihrer Funktion ist die Frau mit der grauen Kurzhaarfrisur zu einer der zentralen Figuren in der Euro-Schuldenkrise geworden. Vor allem in schuldengeplagten Ländern wird ihr Name aber nicht immer gern gehört. So werfen viele Menschen in Griechenland dem IWF unter Lagardes Führung vor, zu strikte Bedingungen für die Gewährung von Hilfskrediten zu stellen.

Als frühere Synchronschwimmerin ist Lagarde ein langer Atem eigen. Zudem gilt sie als gut vernetzte, geschickte Verhandlerin. Vor ihrer Laufbahn beim Weltwährungsfonds hatte sie sich als Anwältin einen Namen gemacht: Von 1999 bis 2004 leitete sie die US-Kanzlei Baker & McKenzie. In die Politik kam sie 2005 zunächst als beigeordnete Ministerin für Außenhandel. 2007 machte der damalige französische Präsident Nicolas Sarkozy die gelernte Juristin, Ökonomin und Amerikanistin zur Wirtschafts- und Finanzministerin.

Der schillernde Geschäftsmann hatte 1993 den drei Jahre zuvor erworbenen Sportartikelhersteller für umgerechnet 316 Mio. Euro an eine Investorengruppe verkauft, an der auch die damals staatliche Bank Credit Lyonnais beteiligt war. Schon im folgenden Jahr aber wurde Adidas weiterverkauft - für umgerechnet rund 700 Mio. Euro an den Geschäftsmann Robert Louis-Dreyfus. Tapie fühlt sich von der Credit Lyonnais, die auch seine langjährige Hausbank war, hintergangen und um den wahren Mehrwert von Adidas betrogen.

Nach einer Reihe von Prozessen wurde 2007 ein privates Schiedsgericht angerufen, um dem jahrelangen Rechtsstreit ein Ende zu setzen. Dieses sprach Tapie 2008 inklusive Zinsen mehr als 400 Mio. Euro staatliche Entschädigung zu. Bald aber wurden Betrugsvorwürfe laut: Unter anderem steht der Verdacht im Raum, dass Tapie wegen seiner Nähe zum damaligen Staatschef Nicolas Sarkozy eine Vorzugsbehandlung erhielt.

Gegen Tapie und weitere Beschuldigte laufen inzwischen Ermittlungsverfahren wegen Betrugs. Das Pariser Berufungsgericht kippte deswegen im Februar 2015 den umstrittenen Schiedsspruch und setzte neue Verhandlungen an. In diesen forderte Tapie eine noch höhere Entschädigungszahlung - zwischen 516 Mio. und 1,174 Mrd. Euro.

Trotz Schuldspruch: IWF spricht Lagarde Vertrauen aus
(FILES) This file photo taken on November 15, 2013 shows French businessman Bernard Tapie, owner of the French newspaper La Provence, posing as he attends the inauguration of an auto show in Marseille, southern France. In an interview in the French weekly newspaper "Journal du Dimanche", French businessman and former minister Bernard Tapie, announced that he decided to "return to politics", pointing out his "former success against French far-right party National Front (FN)" and his "plan" to fight against youth unemployment. / AFP / BORIS HORVAT
Ein Pariser Berufungsgericht lehnte dies im Dezember 2015 ab. Der umstrittene Geschäftsmann, der von 1986 bis 1994 auch als Präsident des Fußballvereins Olympique Marseille agierte, wurde dazu verurteilt, mehr als 400 Mio. Euro staatliche Entschädigungen zurückzuzahlen. Tapie soll auch die Kosten für das Schiedsverfahren tragen, das ihm die Summe zugesprochen hatte.

Den an den Transaktionen beteiligten Credit-Lyonnais-Töchtern könne kein Fehlverhalten vorgeworfen werden. Außerdem habe der Verkaufswert von Adidas im Jahr 1993 dem tatsächlichen Wert zu diesem Zeitpunkt entsprochen. Tapie habe damals über dieselben Informationen über die Aussichten einer Adidas-Sanierung verfügt wie die Bank.

Das Adidas-Geschäft hat bereits eine Reihe von französischen Gerichten beschäftigt. Die 2008 beschlossene Entschädigungszahlung entwickelte sich zu einer gewaltigen Finanzaffäre, die schließlich auch der Chefin des Internationalen Währungsfonds (IWF), Christine Lagarde, ein Ermittlungsverfahren einbrachte. Sie war damals Frankreichs Finanzministerin, rief das Schiedsgericht an und akzeptierte dessen Schiedsspruch.

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