Internetbetrug: Justiz kassiert Millionen ab
Dass der Chef des Vorarlberger Verpackungsunternehmens Rondo Ganahl, Hubert Marte, sein Vertrauen in die österreichische Justiz verliert, ist verständlich. Das Unternehmen kämpft um 3,79 Millionen Euro, die seit 13. Mai 2019 von der Verwahrungsabteilung des Oberlandesgerichtes Wien auf einem e-Sparbuch blockiert werden.
Die Geschichte dahinter ist so irrwitzig, dass sie nur weltfremden Juristen im Staatsdienst einfallen kann.
Die Conclusio: Wäre Ganahl und auch dem Flugzeugzulieferer FACC (siehe Artikel rechts) ein Geldkoffer geklaut worden, hätten die betrogenen Unternehmen ihre Millionen längst schon zurück. Weil das Geld aber überwiesen wurde, handelt es sich im Juristendeutsch um „Giralgeld“, sei also keine „körperliche Sache“ und könne daher nicht ausbezahlt werden.
Jetzt schließt sich auch die Generalprokuratur, die oberste Staatsanwaltschaft des Landes, in ihrer Empfehlung an den Obersten Gerichtshof (OGH) dieser Meinung an. Sie tritt nicht als Ermittlerin oder Anklägerin auf, sondern „dient dem staatlichen Anliegen einer gesetzeskonformen Strafrechtspflege“ (Eigendefinition).
Ein kurzer Rückblick:
Am 23. Dezember 2015 wird das in Frastanz beheimatete, 1800 Mitarbeiter große Familienunternehmen Opfer eines hoch professionellen Internet-Betrugs, eines CEO-Frauds. Die knapp vier Millionen Euro wurden auf ein Konto bei der Shanghai Pudong Development Bank in China überwiesen. Der Betrag, betont Marte, „wird dort in keinem Moment mit anderen Beträgen vermischt“.
Glück im Unglück für das Unternehmen, das Geld wird umgehend von den chinesischen Behörden sichergestellt. Die leitende Staatsanwältin der WKStA erklärt gegenüber China, dass die Eigentumsverhältnisse „klar festgestellt“ seien und fordert die Überweisung auf ein Konto Wien, um die Summe an Rondo Ganahl auszuzahlen.
Sebastian Kurz, damals ÖVP-Außenminister, ersucht in einer höchstpersönlichen Note seinen chinesischen Amtskollegen Wang Yi um Hilfe. Die Republik Österreich verpflichtet sich in einem „Memorandum of Understanding“ gegenüber der Volksrepublik China, eingefrorene Gelder aus Betrugsfällen an die geschädigten Unternehmen weiterzuleiten. Rondo Ganahl verpflichtet sich außerdem, den Betrag zurück zu überweisen, sollten Dritte Anspruch darauf nachweisen können. Was bis heute nicht passiert ist.
Dreieinhalb Jahre dauert es, schließlich trifft das Geld in Österreich ein. Doch das Aufatmen in Franstanz war verfrüht. 2019 erteilt die Oberstaatsanwaltschaft Wien der WKStA eine Weisung, das Geld nicht auszufolgen. Diese legt gegen ein Gerichtsurteil Nichtigkeitsbeschwerde ein, profil berichtete.
Gesetzesänderung?
Die Strafprozessordnung sehe nur die Rückgabe von „Gegenständen“ vor. Die Gesetzesbegriffe „Ausfolgen“, „Rückgabe“, „Verwahrung„ und „Gegenstände“ würden sich ausschließlich auf „körperliche Sachen“ beziehen, begründet die OStA Wien ihre Anordnung. Geld auf Konten zähle nicht dazu, weshalb jenes Geld, das mithilfe der Republik Österreich aus dem Ausland zurückgeholt wurde, nicht an das Opfer ausbezahlt werden könne.
Die Generalprokuratur schloss sich jetzt in ihrer Stellungnahme für das Höchstgericht der Oberstaatsanwaltschaft an. „Nach unserer Rechtsansicht hat die Staatsanwaltschaft Recht, wir können uns nur im rechtlichen Rahmen bewegen“, erklärt Generalanwalt Martin Ulrich gegenüber dem KURIER.
„Im Zeitalter der Digitalisierung gehört dieses Uralt- Gesetz dringend angepasst“, fordert nicht nur der Ganahl-Chef. Es gebe bis heute kein Gesetz in Österreich, das digitale Zahlungsströme regle.
Ganz wohl scheint Generalprokuratur und Justizministerium bei der Sache nicht mehr zu sein. Bei der grünen Ministerin Alma Zadić erklärt man, das Verfahren sei noch nicht rechtskräftig abgeschlossen und spricht von einer „grundsätzlichen Beurteilung eines allfälligen legistischen Änderungsbedarfs“. Wie man hört, will man das leidige Problem lösen. Die Frage ist nur, wie? Ob innerhalb des Gesetzesrahmens (falls überhaupt möglich), durch eine einfache Gesetzesänderung oder erst im Rahmen der nächsten Strafprozessreform.
Marte hofft immer noch, "auf Hausverstand und Gerechtigkeit. Wir würden das Geld sofort investieren zur Schaffung von Arbeitsplätzen". Um die Summe könne das Unternehmen eine große Stanze kaufen, eine Maschine für Wellpappen-Verpackungen. Kleinere Unternehmen, schätzt der Ganahl-Chef, wären vermutlich sogar in den Konkurs geschlittert.
FACC wartet auf 11 Millionen
Am selben Tag wie Ganahl wurden beim oberösterreichischen Aerospace-Zulieferer FACC 52 Millionen Euro abgegriffen. Es war dieselbe Bande, einer der mutmaßlichen Täter wurde in Graz verurteilt, das Berufungsverfahren läuft noch, was die Causa zusätzlich verzögert.
Auch FACC wartet immer noch auf die Rückgabe. Allerdings konnten nur noch 10,86 Millionen Euro sichergestellt werden. Das Geld liegt ebenfalls beim Oberlandesgericht Wien.
FACC klagte den Betrag beim Landesgericht Wien ein, dieses gab dem Unternehmen Recht, doch auf Weisung der Oberstaatsanwaltschaft legte die WKStA ebenfalls Berufung ein und die nächste Instanz wies den Anspruch zurück. FACC beantragte als Privatbeteiligter im Straf verfahren die Ausfolgung des Geldes, bis heute hat das Landesgericht Graz nicht entschieden.
Das Gutachten des Linzer Strafrechtlers Alois Birklbauer im Auftrag von Ganahl trifft auch auf FACC zu. Der Univ. Prof. meint, die Rückgabe sei möglich, weil nicht auf Gegenstände beschränkt. Der Gesetzgeber habe die Rückabwicklung von Zahlungen nicht bedacht. FACC ist börsenotiert und gehört übrigens mehrheitlich Avic Cabin System in Hongkong.
hodoschek.andrea@kurier.at
Kommentare