In Polen fehlen ukrainische Bauarbeiter
Vor dem Krieg hat Szymon Janiewski zehn Ukrainer in seiner kleinen Baufirma in Polen beschäftigt. Nun ist niemand mehr da. Im Jänner fuhren sie in ihr Heimatland, um ihre Familien zu sehen, einen Monat später brach der Krieg aus und sie kamen nicht mehr zurück - denn Männer werden zur Verteidigung des Landes gebraucht. So wie dem 40-Jährigen geht es derzeit etlichen polnischen Unternehmern.
"Ich habe keinen einzigen ukrainischen Angestellten mehr", klagt Janiewski. "Sie waren das Rückgrat meines Unternehmens." Nach offiziellen Angaben hatten vor Kriegsbeginn 300.000 Ukrainer und Ukrainerinnen eine Aufenthaltserlaubnis im Nachbarland; die Zahl der tatsächlich Anwesenden könnte bei bis zu 1,5 Millionen Menschen gelegen haben.
Viele ukrainische Männer hätten nun "ihren Arbeitsplatz in Polen verlassen, um ihr Heimatland zu verteidigen", sagt auch die polnische Ministerin für Familien und Soziales, Marlena Malag. Einige Branchen riskierten einen dauerhaften Verlust von Arbeitskräften, berichtet sie. Am schwersten betroffen ist die Baubranche.
Fachkräftemangel
Vor dem Krieg arbeiteten auf polnischen Baustellen und in Firmen der Branche nach Angaben des Branchenverbands PZPB 480.000 ausländische Beschäftigte - vier von fünf kamen aus der Ukraine. Ein Viertel der in Polen lebenden Ukrainer hat jedoch seit Kriegsbeginn das Land verlassen, schätzt der PZPB. "Jeder in der Branche hat dasselbe Problem: ukrainische Arbeiter", sagt Unternehmer Janiewski.
Auch ohne die jüngsten Folgen des russischen Angriffskriegs war der Fachkräftemangel bereits hoch. Schon 2019 gab es im Bausektor einen Bedarf von 150.000 Arbeitern, heute sind es 250.000, wie Jan Stylinski vom PZPB sagt. Besonders hart trifft es kleine und mittlere Unternehmen im Osten von Polen an der Grenze zur Ukraine.
Firmenchef Janiewski versucht, Kontakt mit seinen ukrainischen Angestellten zu halten, er hängt an ihnen und will sie in diesen schweren Zeiten unterstützen. Sie können die Ukraine nicht verlassen, denn 18- bis 60-Jährige sollen zum Kämpfen bleiben. "Das war ein Team, mit dem ich seit vier Jahren zusammenarbeite", sagt Janiewski. "Ich habe sie geschult, wir haben uns gut verstanden."
Im Moment bietet er zehn Familienmitgliedern seiner Beschäftigten Zuflucht, sie sind nun Kriegsflüchtlinge in Polen, es sind Kinder und auch Witwen. "Die Kinder sind schon in der Schule angemeldet", erzählt Janiewski. Wie so viele seiner Landsleute hat er nicht gezögert zu helfen. Mehr als 2,2 Millionen Menschen aus der Ukraine hat Polen mittlerweile aufgenommen. Es kommen vor allem Frauen, Kinder und alte Menschen.
Preise stark gestiegen
Die fehlenden Arbeitskräfte sind nicht das einzige Problem für Polens Baufirmen. Durch den Krieg im Nachbarland seien die Preise für Asphalt, Treibstoff und Beton "dramatisch gestiegen", sagt Barbara Dzieciuchowicz von der Straßenbaubehörde. Viele weitere wichtige Produkte seien knapp - wegen gestörter Lieferketten oder Sanktionen. "Aus Belarus oder Russland kommt nichts mehr", sagt sie.
Zwar ist der Straßenbau in Polen nicht in Gefahr. Jedoch sei die Lage "extrem, sehr dynamisch" und es sei nicht von einer baldigen Stabilisierung auszugehen, sagt Dzieciuchowicz. Ende Februar stiegen die Preis für Baumaterialien im Schnitt um 27 Prozent verglichen mit dem Vorjahresmonat, die Kosten für Dämmungsarbeiten sogar um 72 Prozent. Die Inflation in Polen liegt ohnehin schon bei hohen 8,5 Prozent und die Arbeitskosten steigen.
Unternehmer Janiewski möchte lieber zurzeit nicht allzu weit in die Zukunft schauen. "Alles ist sehr schwer vorherzusagen", sagt er. "Ich konzentriere mich auf die Gegenwart, auf den Moment."
2,3 Millionen Flüchtende
Seit dem russischen Angriff auf die Ukraine haben sich 2,3 Millionen Menschen in Polen in Sicherheit gebracht. Das teilte der polnische Grenzschutz am Sonntag auf Twitter mit. Allein am Samstag waren es demnach rund 31.100 Menschen. Dies sei ein Anstieg um 2,2 Prozent im Vergleich zum Vortag. Es gibt derzeit keine offiziellen Angaben dazu, wie viele der Kriegsflüchtlinge in Polen geblieben und wie viele bereits in andere EU-Staaten weitergereist sind.
Aus Polen in die Ukraine hätten seit Kriegsbeginn am 24. Februar rund 339.000 Menschen die Grenze überquert. Bei diesen Reisenden handelt es sich nach früheren Angaben des Grenzschutzes zum überwiegenden Teil um ukrainische Staatsbürger, die in ihr Heimatland zurückkehren. Viele Männer, aber auch Frauen, wollen sich dort den ukrainischen Truppen anschließen und gegen die russischen Angreifer zu kämpfen. Andere kehren zurück, um sich um Kinder oder hilfsbedürftige Angehörige zu kümmern.
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