Kinder brauchen neue Städte: Mehr Platz zum Spielen und Bewegen

Kinder brauchen neue Städte: Mehr Platz zum Spielen und Bewegen
Wenn Städte kindgerecht geplant werden, steigt die Lebensqualität für alle. Welche Ideen es in Europa gibt.

„Städte, die gut für Kinder sind, sind gut für uns alle“, so der Grundtenor der 50 Speaker bei der Konferenz „Start with Children“ in Bratislava. „Nichts von dem, was Sie in den kommenden zwei Tagen hören und sehen werden, ist schwer umzusetzen – es ist ganz leicht, wir müssen nur bei den Kindern anfangen“, eröffnete Gastgeber, Architekt und Bürgermeister von Bratislava, Matúš Vallo, das Programm von „Start with Children“. 
Rund 600 internationale Gäste aus Politik, Stadtplanung, Forschung, Sozialarbeit und Umweltschutz nutzten die prall gefüllten Event-Tage, um sich in der alten Markthalle im Herzen der slowakischen Hauptstadt über den Aufbau besserer Städte für Kinder auszutauschen.

Kinder brauchen neue Städte: Mehr Platz zum Spielen und Bewegen

Konferenz „Start with Children“ in Bratislava

Lernen, zu leben

„Neun von zehn Stadtbewohnern atmen verschmutzte Luft ein“, startete der in der globalen Führung der Stadtentwicklung bei UNICEF tätige Thomas George seine Rede. Der renommierte Architekt und Berater für Stadtplanung Jan Gehl aus Dänemark konstatierte mit Blick auf die Invasion der Autos in die Städte in den 1960er-Jahren sowie die wachsende Zahl an Hochhäusern und Trabantenstädten: „Wir haben den Sinn für den menschlichen Maßstab verloren. Während wir früher Räume für Menschen hatten, haben wir heute nur noch Objekte im Raum.“ Auch Gil Penalosa, Urbanist, Gründer und Vorsitzender von „8 80 Cities“ aus Kanada, stellte in diesem Kontext ernüchtert fest: „Wir haben gelernt, wie man überlebt, nun müssen wir wieder lernen, zu leben.“

Stadtmöbel zum Spielen

Der britische Wissenschafter, Autor und Berater Tim Gill brachte den Status quo gnadenlos auf den Punkt: „Wir können autofreundliche Städte haben und wir können kindgerechte urbane Räume schaffen – beides ist nicht möglich.“ Dabei würden Städte wie Freiburg in Deutschland, Ghent in Belgien aber auch Wien vormachen, wie der urbane Raum kindgerecht funktionieren kann. 
Spielerisch nutzbare und für viele Nutzergruppen zugängliche Stadtmöbel – beispielhaft vor Ort anhand von Produkten des tschechischen Herstellers mmcité zu erleben – sorgten ebenso wie das Verbannen von motorisiertem Verkehr aus Sicht Gills für qualitativ hochwertige Aufenthaltsorte für alle. Auch das Konzept der Spielstraßen, die temporär für den Verkehr gesperrt werden, hätten enormen Effekt auf den spielerischen Alltag von Kindern in der Stadt. Dabei geht es auch um Teilhabe: Im Rahmen der partizipativen Kinder- und Jugendmillion konnten alle Kinder und Jugendlichen Wiens zwischen 5 und 20 Jahren bis 14. Juni 2024 online darüber abstimmen, welche der eingereichten Projekte umgesetzt werden sollen.

Kinder brauchen neue Städte: Mehr Platz zum Spielen und Bewegen

Urbane Orte lassen sich innerhalb kürzester Zeit und mit geringen Ressourcen kindgerecht umgestalten 

Initiativen in Wien

Für solche und ähnliche Programme setzen sich in Wien in erster Linie Maria Vassilakou, Gründerin von Vienna Solutions, sowie Petra Jens, die Fußgängerbeauftragte, ein. Jens Fokus liegt auf der Zielgruppe der Kinder, Familien und älteren Generation: „Wir wissen, dass man das Auto ab 60 Jahren häufig nutzt – da es sich mit Blick auf den demografischen Wandel um eine große und äußerst mobile Gruppe handelt, besteht dringender Handlungsbedarf.“

Straßen neu denken

Aktuelle Herausforderungen liegen für Jens in der Vernetzung zwischen dem Gehen und dem öffentlichen Verkehr: „Der Weg zu und von den Haltestellen ist der Knackpunkt.“ Ein Ziel ist es, die Initiative der Fußgängerbeauftragten auch in andere Städte zu übertragen. Vassilakou setzt auf Umgestalten, Neudenken und Aufwerten bestehender Strukturen: „Wenn wir neu bauen, darf es keine traditionellen Straßen mehr geben – wir müssen den Raum als geteiltes Gut für alle verstehen.“ Dabei geht es darum, das tägliche Leben, Flächen für Grünraum, das Gehen als Fortbewegungsmittel der ersten Wahl – aber eben am Rande auch Autos, zumindest mit entsprechenden Geschwindigkeitsbegrenzungen – auf eine Ebene zu bringen. Im Bestand soll man die Straße neu denken und Instandsetzungsmaßnahmen als Chance für Veränderung nutzen. „Das ist im Kontext zu bewerten: Nicht alle Straßen haben die gleiche Bedeutung für den Verkehrsfluss, hier liegt viel Potenzial. Unser Leitsatz: Wir wollen eine Stadt für Kinder, weil eine solche Stadt besser für uns alle ist.“

Kommentare