Was die Tradition des Holzbaus im Bregenzerwald prägt: Es gibt unterschiedliche Faktoren, die da hineinspielen. „Man kann aber sagen, dass die Dichte und der Grad an Motivation rund um die Architektur und das Handwerk in unserer Region besonders groß sind. Die Betriebe sind eher klein strukturiert, ein Katalysator für einen gesunden Wettbewerb am Markt.“ Bei der Bauherrschaft sei durch die strengen Kriterien der Gestaltungsbeiräte ein stark auf Qualität und die Region ausgerichtetes Bewusstsein vorhanden. „Während Fertigteilhäuser und Wärmedämmverbundsysteme in Nachbarregionen etabliert sind, sorgen die strikten Vorgaben der Gemeinden für ein einheitliches Ortsbild ohne derlei Diversitäten.“
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Die Qualität der Bregenzerwälder Architektur basiert nicht nur auf Fleiß oder einer Zufälligkeit der lokalen Verortung, sie ist mit entsprechenden Kosten und einer den Wäldern eigenen Sturheit verbunden.“ Im Ergebnis spiegelt sich die Verbundenheit mit dem Handwerk und den lokal verfügbaren Materialien in der Verwendung von Holz als zentralem Element in der Architektur wider. Dabei dient es, meist sichtbar belassen, nicht nur als Baumaterial, sondern auch als Gestaltungselement.
Der Respekt vor traditionellen Bauweisen lässt bei der jüngeren Generation der Architekturschaffenden moderne Interpretationen zu. Wie beim „Tempel 74“ in Mellau oder dem Projekt „Kriechere 70“ in Bezau führt dieser Ansatz zu einer zeitgemäßen Designsprache. Markante Merkmale wie hohe Dächer, Holzschindelfassaden und der Einsatz von ökologischen Baumaterialien und energieeffizienten Technologien werden wie beim „Kinderhaus im Park“ in Egg neu interpretiert und mit Feingefühl ins Hier und Jetzt übersetzt.
Der Respekt vor der Natur zeigt sich in dem Bestreben, neue Baukörper wie das Feuerwehrhaus in Thal harmonisch in die Umgebung einzufügen. Ein Erfolgsmodell auch für andere Regionen? „Die etablierten Architekturbüros haben die Standards für uns Junge hoch gesetzt“, so Schwarzmann und ist sich wie Nina Beck sicher: „Auch in Zukunft werden wir mit den Handwerkenden eng zusammenarbeiten, um gemeinsam innovative und kreislauffähige Lösungen zu entwickeln.“
Dies spiegelt sich in der Breite an wegweisenden Bauten vom Einfamilienhaus über Kindergärten, Schulen bis zur Kapelle wider. „Es gibt wohl kaum eine Region in Europa, die es wie der Bregenzerwald geschafft hat, im Holzbau ein gesellschaftlich derart breit gestütztes Modell der Übersetzung jahrhundertealter traditioneller Handwerkskunst in eine zeitgemäße und doch traditionsbewusste Architektur- und Formensprache weiterzuentwickeln“, so Architekt Much Untertrifaller: „Ermöglicht hat dies keine von oben herab geführte akademische Diskussion, sondern ein von Offenheit, Neugierde und gegenseitigem Respekt geprägter Prozess.“
Durch das Einbeziehen der Gesellschaft sei es gelungen, das Erscheinungsbild der gebauten Umwelt zu prägen. Architekt Sven Matt ist sich sicher: „Die Architektur im Bregenzerwald stützt sich auf eine tiefgreifende Bindung mit dem Ort, den Menschen und der Landschaft. Sie ist geprägt von der Suche nach einem sinnstiftenden Ganzen, in dem das Gestern und Heute zueinanderfinden.“ Übersetzt auf ein konkretes Projekt heißt das für Jürgen Haller: „Die Umgebung spielt eine wesentliche Rolle. Ein Beispiel: Der Tempel 74 ist in Mellau architektonisch gesehen der Bregenzerwald im Miniaturformat und weist alle Vorzüge der Baukultur auf.“
Fest mit der Heimat verwurzelt ist auch Architekt Bernardo Bader. Er versteht das Bauen nicht als Einzelleistung, sondern als Zusammenspiel mit den Handwerkern. Die Affinität für die Handwerkskunst im Wechselspiel aus Tradition und Moderne sowie gelebtem Heimatstolz bei gleichzeitiger Offenheit gegenüber Gästen machen die Bregenzerwälder Architektur so speziell, so Untertrifaller: „Ein Erfolgsmodell auf allen Ebenen, höchst nachahmenswert und doch offensichtlich nicht überall so leicht umzusetzen.“
Das Label Bregenzerwald 2.0: Architektur als Chance
Die Architektin Nina Beck über das Umdenken in der Branche. Wie sollen wir in einer Zeit bauen, in der kaum freier Baugrund vorhanden ist? Was machen wir mit all dem substanziellen Leerstand? Was können wir von historischen Bauarten lernen? Und wie lässt sich das mit dem heutigen Streben nach Perfektion vereinbaren? Dies sind einige der Fragen, mit der sich die junge Architektin Nina Beck im Rahmen ihres Schaffens in ihrem Studio in Dornbirn intensiv auseinandersetzt. Bereits seit der Kindheit faszinieren die Vorarlbergerin alte Gebäude, das Bauen und Materialien wie Holz. In einer Region, die geprägt ist von dem Zusammenspiel von Architektur und Handwerk mit – wie Nina Beck sagt – „perfekten“, bis ans Limit optimierten Gebäuden, beobachtet die Architektin ein Umdenken unter den Kollegen: „Gerade heute, wo der Leerstand hoch, der Baugrund teuer, die Finanzierung schwierig und die Bauherrschaft meist offen ist für neue Ansätze, haben wir junge Architekturschaffende die Möglichkeit, Architektur anders zu denken.“ - Linda Pezzei
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