Im Führerstand der Taurus-Lok: Mit 10.000 PS auf Schiene
Langsam gleitet die Taurus 1116213-0 aus dem Wiener Hauptbahnhof und nimmt Fahrt auf. Nach wenigen Minuten nähert sich der Railjet bereits der Marke von 200 Stundenkilometern. Die Taurus 1116213-0 bringt 10.000 PS auf die Schienen, eine zweite Lok in der Mitte des Zuges nochmals so viel.
Im Führerstand der Lok erlebt man eine ganz andere Welt als hinten in den Waggons. Hat man sich vom Bahnsteig in die Lok hinaufgeschwungen, fühlt man sich zuerst wie in einem U-Boot. Sehr eng, sehr eingesperrt. Ein schmaler Gang führt nach vorne. Doch als wir uns in den Führerstand zwängen, öffnet sich ein Panorama wie ein riesiger Flachbildschirm.
Wir haben das Gefühl, über den Gleisen, die seltsam schmal wirken, zu schweben. Nicht nur beim Fliegen ist die Freiheit grenzenlos. Von Freiheit wird später noch die Rede sein. Die hohe Geschwindigkeit spürt man vorne nicht, nur wenn wir in Tunnels einfahren, verschlägt es uns die Ohren. Passagieren sollte das nicht passieren, die Waggons sind besser abgedichtet. Obwohl der Railjet die Maximalgeschwindigkeit von 230 Stundenkilometern erreicht hat, donnern wir nicht durch die Landschaft, sondern haben immer noch dieses Gefühl des Gleitens.
Das KURIER-Team darf Anton Geppl nach St. Pölten begleiten. Er ist einer der 400 am Hauptbahnhof stationierten Lokführer. Hoch konzentriert sitzt er im Führerstand. Obwohl seit 25 Jahren im Job, spürt man immer noch viel Begeisterung. "Ein schöner Beruf. Man kann selbstständig arbeiten, angeleitet durch ein Gefüge von Vorschriften." Eine Art von Freiheit.
Wien - St. Pölten im Führerstand des Railjets
Lokführer sind mit Bürohengsten nicht vergleichbar. Ein Arbeitstrott Montag bis Freitag, neun bis 16 Uhr, reizt die selbstbewussten Chefs auf der Lok nicht. Flexible Arbeitszeiten, drei Tage Arbeit, drei Tage frei, Einsatz rund um die Uhr, auch an Wochenenden und Feiertagen. Die Bahn fährt immer. "In welchem Büro hat man so eine Aussicht?". Bei dieser Frage von Geppl klingt viel Stolz durch. "Sicherheit ist das oberste Gebot." Gefolgt von Pünktlichkeit und Komfort für die Fahrgäste. Auch Energiesparen ist ein Thema, beim Bremsen wird Energie zurückgespeist.
Bremsweg
Eine Notbremsung bei Höchstgeschwindigkeit erfordert einen Kilometer. Bis der Railjet planmäßig im Bahnhof zum Stehen kommt, sind es vier Kilometer. Ist der Zug erst einmal auf Touren, bräuchte es gar keine 10.000 PS. Diese gewaltige Kraft ist nur zum Beschleunigen erforderlich. In St. Pölten verabschieden wir uns, Geppl fährt nach Innsbruck weiter. Wir steigen um zum Kollegen Otto Unterkofler, der uns zurück nach Wien bringt.
Auch bei ihm ist die Begeisterung sofort spürbar. Doch was fasziniert ihn nach 32 Jahren als Lokführer noch? "Dass kein Chef hinter mir steht und mir dauernd dreinredet". Alles klar, die Freiheit.
Ist bei solchen unregelmäßigen Arbeitszeiten überhaupt ein Familienleben möglich? Wie war das, als die Kinder klein waren? "Meine Familie hat nie etwas anderes gekannt. Ich habe bei den ÖBB begonnen, habe Maschinenschlosser gelernt". Vor 34 Jahren hat er dann die damals noch zwei Jahre dauernde Ausbildung zum Lokführer begonnen. Er macht seinen Job immer noch gerne, sagt Unterkofler, "ich kann mir nichts anderes vorstellen".
Die Karriere verläuft stufenweise. Zuerst Verschubfahrten, dann Frachtzüge, anschließend Regionalzüge und als oberste Karrierestation die Schnellzüge. Unterkofler ist "Universallokführer", er darf alle Zugtypen lenken. Die Bezeichnung Lokfahrer sollte man übrigens tunlichst vermeiden. Ganz exakt nennt sich der Job "Triebfahrzeugführer".
Wir halten inzwischen bereits wieder bei 230 Stundenkilometern. Die Lok fährt auf dem ETCS-System, dem European Train Control System, eine Art Autopilot. Dieses Zugsicherungssystem schaltet sich ab 160 Stundenkilometern ein. Bei diesem Tempo könnte der Lokführer nämlich gar nicht mehr rechtzeitig auf die Signale entlang der Geleise reagieren. Bei ETCS bräuchte es keine Signale, trotzdem ist Otto Unterkofler äußerst konzentriert. "Wenn man ein Hindernis sieht, ist es schon zu spät."
Haben Lokführer Lieblingsstrecken? "Von Kitzbühel nach Wörgl, das ist eine sehr schöne Strecke", sagt der in Salzburg stationierte Unterkofler. Früher waren die Bergstrecken der Topografie angepasst. Heute werden Berge schnurgerade untertunnelt.
Der Lokführer und der Zugführer, von den Passagieren Schaffner genannt, sind eine Symbiose. "Der Zugführer schließt die Türen und gibt telefonisch dem Lokführer das Signal zum Start." Würde er jungen Leuten den Job empfehlen, fragen wir Unterkofler, bevor wir aussteigen. "Selbstverständlich. Allen, die gerne unterwegs sind und kein Problem mit Wochenenddiensten haben". Nachsatz: "Wochenenddienste, die gibt’s in anderen Berufen auch."
Die Ausbildung
Für ÖBB-Chef Andreas Matthä sind die derzeit rund 4.000 Lokführerinnen und Lokführer "das Herz des Unternehmens". Weil viele Lokführer pensionsreif sind, suchen die ÖBB bis 2023 insgesamt 2.500 neue Triebfahrzeugführer. 2020 beginnt jeden Monat zumindest ein neuer Ausbildungslehrgang. Die Ausbildung dauert inklusive Praxis etwa 68 Wochen.
"10.000 PS und bis zu 230 km/h – es ist ein anspruchsvoller Arbeitsplatz mit viel Verantwortung. Hohe Standards in der Ausbildung haben für uns Priorität", erklärt Matthä.
Angehende Lokführerbrauchen eine abgeschlossene Lehre oder Matura, müssen mindestens 19,5 Jahre alt und körperlich fit sein sowie über ausgezeichnete Deutschkenntnisse in Wort und Schrift verfügen. Interesse an Technik und Bereitschaft zu Schichtdienst sind Voraussetzung. Die Arbeit beschränkt sich nicht nur auf die Fahrt. Lokführer überprüfen auch die Fahrzeuge und Sicherheitseinrichtungen und müssen die Fahrten vorbereiten.
Monatsgehalt bis zu 3.500 Euro
Die Bewerber müssen sich einer eignungspsychologischen und einer medizinischen Untersuchung unterziehen. Wichtig für diesen Job sind ein hohes Sicherheits- und Verantwortungsbewusstsein, hervorragende Konzentrationsfähigkeit sowie hohe Lernbereitschaft. Schon während der Ausbildung bezahlen die ÖBB brutto 2.000 Euro monatlich. Die Monatsgehälter für fertige Lokführer beginnen inkl. Zulagen bei 2.800 Euro und reichen bis zu 3.500 Euro. Die Zulagen sind steuerlich begünstigt. Es gilt die 38,5-Stunden-Woche, Überstunden werden ausbezahlt.
"Der Job hat Zukunft, denn die Bahn wird in den kommenden Jahren deutlich wachsen", motiviert der ÖBB-Chef. Es brauche "mehr Bahn, um die Klimaziele zu erreichen. Außerdem wird unser Angebot immer attraktiver". Der beste Beweis dafür seien die jährlichen Fahrgastrekorde.
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