Illy: "Haben Schwierigeres überstanden"
In kaum fünf Stunden ist man dem nebligen Wien entkommen - und in Triest. Die Sonne scheint, es riecht nach Meer, ein Triestiner erzählt, dass noch vor drei Wochen der Strand voller Menschen war. Ein "Tor zu Südosteuropa" wollte Riccardo Illy aus seiner Stadt machen. Zwei Amtsperioden war er Bürgermeister, eine dritte Kandidatur war nicht erlaubt.
Die weltberühmte Kaffeefirma, die sein Großvater gegründet hat und in der er vor seiner Zeit als Bürgermeister gearbeitet hatte, musste dennoch warten. Er ging als Abgeordneter nach Rom, gewann 2003 mit seinem Mitte-links-Bündnis die Regionalwahlen in Friaul-Julisch Venetien, war Präsident der Regionen Europas und wurde bereits als Herausforderer Berlusconis gehandelt.
Als er 2008 in Friaul-Julisch Venetien nicht wiedergewählt wurde, verließ er die Politik und leitet seither die Illy-Gruppe, jenen Teil der Firma, der in den vergangenen Jahren in die Bereiche Tee, Schokolade, Marmelade, Wein und Speiseeis expandierte. Sein Bruder Andrea leitet das Kernunternehmen illycaffè.
Riccardo Illy ist 56 und seit 37 Jahren mit der Weinjournalistin Rossana verheiratet. Tochter Daria ist ebenfalls im Unternehmen, Enkel Riccardo ist zwei, und der Großvater ist stolz auf den gleichnamigen Nachwuchs, fragt aber, fast schüchtern: "Sie hätten nicht gedacht, dass ich Großvater bin, stimmt's?"
Drei Dinge weiß jeder Triestiner über Riccardo Illy: Dass er stets auf zwei Rändern unterwegs ist (Fahrrad oder Motorrad); dass er niemals Krawatte trägt ("Keiner konnte mir bisher den Sinn dieses Kleidungsstücks erklären"); und dass er für seine Tätigkeit als Bürgermeister keine Bezahlung angenommen hat. Einige erinnern sich auch noch an seinen Satz: "Jeden Tag, den Kroatien nicht in der EU ist, entgehen Triest wichtige Wirtschaftsimpulse." - Kommende Woche, beim EU-Gipfel in Brüssel, wird der kroatische Beitrittsvertrag unterzeichnet. Ein Gespräch über Politik und Kaffee.
Riccardo Illy: Möchten Sie Schokolade kosten? Die hier, die Dunkle, ist von allerfeinster Qualität, Criollo, eine seltene Sorte. Wir bauen sie in Venezuela selbst an (auch er isst auch ein Stück).
KURIER: Wie oft essen Sie Schokolade?
Jeden Tag.
Weil das zu Ihrem Job gehört? Als Chef der Illy-Gruppe sind Sie seit 2006 für die exklusiven Domori-Schokoladen verantwortlich.
Nein, weil's mir schmeckt (schmunzelt). Ich konnte schon früher kein Essen ohne ein Stück Schokolade beenden.
Ihr Großvater war "Kolonialwarenhändler". Mit Produkten wie Tee und Schokolade, die Sie wieder ins Illy-Programm aufgenommen haben, schließen Sie an seine Tradition an. Denken Sie oft an ihn?
Sehr oft. Aber ich erinnere mich kaum, ich war noch sehr klein, als er starb. Ich denke auch oft an meinen Vater. Er hat uns Kindern eine wichtige Botschaft hinterlassen, er sagte immer: "Jesus hat das Wichtigste auf die Welt gebracht - Liebe und Vertrauen. Ohne Liebe und Vertrauen gibt es keine Wirtschaft." Eigentlich erstaunlich für einen Mann, der sich selbst als Agnostiker bezeichnet hat.
Sie waren acht Jahre Bürgermeister von Triest und haben kein Gehalt bezogen. Warum?
Ich wollte der Stadt etwas zurückgeben. Die Firma und die Familie verdanken ihr viel. Mein Großvater hatte kaum Kapital, als er anfing. Wir sind gewachsen und gewachsen - dank der Menschen, die für uns arbeiten und gearbeitet haben, dank der Banken, die uns helfen, auch dank der wissenschaftlichen Ressourcen aus der Region. Als ich 1977 in die Firma kam, lag der Umsatz bei 20 Millionen Euro, heute sind es 300 Millionen.
In Italien stellt die Regierung Monti morgen, Montag, ihr Konjunkturpaket vor, harte Sparmaßnahmen inklusive. Muss man sich Sorgen um Italien machen?
Ich denke nicht. Wir Italiener haben schon Schwierigeres überstanden, den Zweiten Weltkrieg, die Korruption. Bei uns ist die Privatverschuldung im Vergleich zu anderen Ländern sehr niedrig. Und wir haben geniale Köpfe, wir haben Ästhetik, wir haben Lifestyle. Unsere Küche, Weine, Möbel, Mode - all das können wir in die Welt hinaustragen und tun wir bereits. Ich war vor Kurzem in Südafrika. Die besten Restaurants von Johannesburg oder Kapstadt sind Italiener. Und so ist das fast überall auf der Welt.
Sie sagen "die Korruption überstanden" - wohin haben sich die moralischen Werte unter Berlusconi entwickelt? Viele junge Mädchen wollen heute lieber blondierte TV-Statistinnen werden, anstatt einen Beruf zu lernen. Denn sie haben gesehen, dass man seinen Körper verkaufen kann, ans Fernsehen oder direkt an den Premierminister ...
Die Zeit unter Berlusconi war tatsächlich ein Anschlag auf die moralischen Werte der Menschen, und es gab einige, auch viele junge, die sich korrumpieren ließen. Aber ich glaube, dass die Mehrheit der Italiener - sagen wir - innerlich gesund geblieben ist, trotz der kranken Botschaften, die Berlusconi und seine Medien verbreitet haben.
Sind bereits Veränderungen spürbar?
Zumindest kontrolliert Berlusconi jetzt nicht mehr das öffentliche Fernsehen, seine eigenen Medien natürlich sehr wohl. Aber es wird dauern, bis Veränderungen spürbar sind, vielleicht sogar Jahre. Denn die Leute, die er an wichtigen Positionen eingesetzt hat, sind immer noch dort.
Sie kommen aus der Wirtschaft, waren aber 15 Jahre Politiker ...
Ja, ich habe Praxiserfahrung (schmunzelt).
In Italien sind derzeit Praktiker gefragt, Berufspolitikern traut man die Wende nicht zu. Würde Sie eine Rückkehr in die Politik reizen?
Ich sage niemals nie, das habe ich in der Politik gelernt. Alles ist möglich. Aber bis jetzt hat noch niemand nach mir gefragt.
Als Bürgermeister von Triest, aber auch als Präsident des Regionalrats von Friaul-Julisch Venetien, haben Sie vehement den EU-Beitritt Sloweniens und Kroatiens befürwortet. Bei Kroatien hat es etwas gedauert, kommende Woche wird der Beitrittsvertrag unterzeichnet. Sind Sie noch glühender EU-Anhänger?
Ja. Aber ich beobachte ein Paradox: Als die EU nicht stark sein musste, weil alles gut lief, da brachte sie in etwas mehr als zehn Jahren die wichtigsten Ergebnisse zustande: Schengen, Binnenmarkt, Währungsunion - unglaublich. Heute bräuchten wir nichts dringender als eine starke EU und erzielen nicht einmal auf Nebenschauplätzen Ergebnisse. Wir haben keinen gemeinsamen Arbeitsmarkt, kein einheitliches Steuersystem. Wir könnten der wichtigste Markt der Welt sein. Aber wir schaffen es nicht, uns als Einheit zu organisieren. Wir schaffen es ja nicht einmal, uns auf eine gemeinsame Amtssprache zu einigen. Englisch ist die Sprache der Finanzwelt, der Forschung und Wissenschaft, die ganze Welt verwendet Englisch, um sich zu verständigen. Die offizielle EU nicht.
Da herrscht zu viel Angst vor Macht- und Identitätsverlust.
Wir beide reden jetzt Englisch miteinander. Dann fahren Sie heim und sprechen wieder Deutsch, ich Italienisch. Und niemand hat etwas von seiner Identität eingebüßt.
Schon 2004, als Präsident der Regionen Europas, haben Sie für eine EU-Regierung plädiert, für eine Bundesstaatenlösung.
Ja, nehmen wir ein Beispiel: Griechenland repräsentiert zwei Prozent des gesamten EU-Bruttoinlandsprodukts, und wir hören seit Monaten: "Die EU ist in Gefahr!" Kalifornien wäre beinahe in den Staatsbankrott geschlittert und repräsentiert weit mehr als zwei Prozent des US-Bruttoinlandsprodukts. Niemand ist auf die Idee gekommen, zu sagen: "Der Dollar ist in Gefahr!" Die USA haben einen Präsidenten, der nah am Volk ist. Die EU hat einen Kommissionspräsidenten, einen Parlamentspräsidenten, einen Ratspräsidenten, aber niemanden, der das Sagen hat. Wir sollten einen Transformationsprozess einleiten, an dessen Ende ein Staatenbund mit gemeinsamer Regierung steht.
Halten Sie das in den kommenden Jahren tatsächlich für realistisch?
Nein, denn ich sehe keine Führungsfigur, wie es Jacques Delors war (Kommissionspräsident 1985 bis 1994), nicht einmal führende Politiker, die aussprechen, was zu sagen wäre. Weil sie Angst haben, daheim Stimmen zu verlieren.
Wer in Österreich eine Zentralregierung in Brüssel fordert, muss mit heftigem Gegenwind rechnen ...
Aber da sind wir beim nächsten Problem: Wer kommuniziert die Vorteile der EU? Die Erfolge? Den Nutzen für jeden Einzelnen? Was wissen die österreichischen Bürger? Das, was ihnen ein Oppositionspolitiker erzählt, der im Wettstreit mit den Europapolitikern steht. Und er gewinnt. Weil ihm aus der EU niemand wirksam widerspricht.
Jörg Haider hat ähnlich agiert. Als Landeshauptmann von Kärnten war er Ihr Amtskollege. Sie haben ihn einmal als "persönlich sympathisch" bezeichnet, das hat Ihnen daheim Rücktrittsaufforderungen eingebracht.
Ja, aber ich war immer der Ansicht, dass ich seinem Amt Respekt schulde, weil das Respekt gegenüber unseren Nachbarn ausdrückt, die ihn gewählt hatten - auch wenn ich nicht mit dem übereinstimmte, was er gesagt und getan hat. Als er die Rechte der Slowenen in Kärnten beschnitten hat, habe ich ihm klar gesagt: "Ich bin dagegen, ich gehe in meiner Region einen anderen Weg."
Er hat Sie daraufhin wahrscheinlich strahlend angelächelt und gesagt: "Ist gut. Und ich gehe in Kärnten meinen Weg. Punkt"?
(Er lacht) Ja, ungefähr so war es. (schweigt lange) Aber wenn die Kärntner das nicht gewollt hätten, hätten sie anders wählen müssen.
Kommen wir zurück zum Kaffee. Als bereits die halbe Welt davon überzeugt war, dass auf dem einzig wahren Espresso "illy" draufsteht, kam Nespresso auf den Markt. Wie hat sich diese übermächtige Konkurrenz aufs Geschäft ausgewirkt?
Wir haben das stark gespürt. Vor allem wegen der astronomischen Summen, die dort in die Werbung flossen, vergleichbar mit unserem Gesamtumsatz. Da konnten wir nicht mithalten. Es hatte aber auch etwas Positives zur Folge. Mit dem enormen Werbeaufwand gelang es Nespresso, ein Markt-Paradigma zu brechen: Davor war es nicht möglich, ein geschlossenes System - also Maschine und Kaffeeportionen, die nur gemeinsam funktionieren - auf den Markt zu bringen. Wir haben das erfolglos versucht. Heute verkaufen wir im Jahr 100.000 Espressomaschinen für unser Kapselsystem "Hyper Espresso", bei dem der Kaffee vorgebrüht wird und eine Spezialmembran für mehr Körper, mehr Geschmack und eine länger anhaltende Crema (Schaumkrone) sorgt.
Sie trinken Ihren Espresso "ristretto". Wie viele am Tag?
Einen oder zwei.
Nicht mehr?
Nein, in der Früh trinke ich lieber Tee. Und jetzt nehmen wir noch ein Stück Schokolade!
Illy: Unternehmen und Familie
Clan Alle vier Enkel des Firmengründers Francesco Illy sind heute im Unternehmen beschäftigt: Riccardo leitet die Holding "Gruppo Illy", die in den vergangenen Jahren verstärkt Genusswaren jenseits des Kaffees vertreibt . Sein jüngerer Bruder Andrea leitet "illycaffè", das Kernbusiness, der ältere Bruder Francesco das 2008 übernommene Weingut Mastrojanni in Montalcino. Schwester Anna koordiniert den Einkauf der Rohmaterialien.
Wachstum Im Vorjahr produzierte Illy 160.000 Tonnen Kaffee (zum Vergleich: Vor 35 Jahren waren es 1000 Tonnen), der Umsatz beträgt an die 300 Millionen Euro. Im Franchise-System werden die "espressamente illy"-Bars geführt, derzeit an die 200 in 34 Ländern. Zwei in Paris werden direkt von der Familie geführt. Das High-End-Kapselsystem "hyperEspresso" wurde nach den wenig erfolgreichen Illy-"Tabs" im Sog der Nespressokapseln erfolgreich eingeführt. Die Illy-Gruppe übernahm 2005 den Marmeladen- und Fruchtkonfekthersteller Agrimontana, 2006 die Edel-Schokolademarke Domori, 2007 das französische Tee-Unternehmen Dammann Frères und 2008 das Brunello-Weingut Mastrojanni. Vor wenigen Tagen wurde bekannt, dass sich Illy auch an der Turiner Speiseeiskette Grom beteiligt, die Filialen in Italien, Japan und den USA betreibt.
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