Hikmet Ersek: "Ich bin ein Fan von Kapitalismus"
Mit Basketballspielen hat Hikmet Ersek nach seiner Übersiedlung von der Türkei nach Österreich mit 19 Jahren Anschluss gefunden. Der Topmanager studierte an der WU Wien. Ab 1999 arbeitete er für Western Union, wo er ab 2010 bis Ende 2021 CEO und Präsident war. Western Union macht das Geschäft in erster Linie mit Zugewanderten, die Geld zu ihren Familien in die Heimat schicken. Mit dem KURIER sprach der 61-jährige Ersek über Zinserhöhungen der Notenbanken, warum er sich auch für Steuererhöhungen ausspricht und welche Fehler Österreich in der Zuwanderungspolitik macht.
KURIER: Was hat die Pandemie mit Ihrem Geschäftsmodell gemacht?
Die Auslandsüberweisungen sind stabil geblieben, nur um drei bis vier Prozent zurückgegangen. Der, der das Geld verdient, will ja unbedingt die Familie unterstützen.
Wie haben sich die Zahlungsströme in den vergangenen 10 bis 20 Jahren verändert?
Als ich bei Western Union begonnen habe, war der Nummer Eins-Korridor UK nach Albanien. Stark war auch USA nach Nigeria. Das hat sich alles geändert. Nach zehn Jahren war mein Nummer Eins-Bereich der Mittlere Osten nach Indien, Sri Lanka, Pakistan, Bangladesch. Diese Staaten haben durch die Ölpreise sehr viel in Infrastruktur investiert. Die traditionellen Korridore US-Mexiko und USA-Indien waren immer stabil. Hauptkorridore sind auch Europa-Osteuropa. Sehr groß ist Russland für uns.
Eine Kritik am System, dass Migrantinnen und Migranten Geld nach Hause schicken, ist, dass die, die das Geld empfangen, es zwar selbst nutzen, es dem jeweiligen Land aber nichts bringt. Teilen Sie diese Ansicht?
Nein. In Indien wird das meiste Geld von Männern, die im Mittleren Osten arbeiten, zu Frauen geschickt. Der erste Verwendungszweck ist, Kinder in die Schule zu schicken. Nummer zwei ist Haushalt und Medikamente. Nummer drei ist ein Unternehmen zu gründen. Die Frauen machen einen kleinen Laden auf, ein Wäsche- oder Transportservice. Bei uns können Sie für 100 Dollar kein Unternehmen gründen. Dort können Sie es. Es ist nicht so, dass das Geld einfach genommen und nichts damit gemacht wird.
Das Thema Zuwanderung ist durch die Pandemie in den Hintergrund gerückt. Wie empfinden Sie den Populismus in Österreich, mit dem Wahlkampf gemacht wird?
Migration ist eine Herausforderung für viele Politiker weltweit, insbesondere in westlichen Ländern. Wie gewinnen Sie heutzutage Wahlkämpfe? Mit Populismus. Leichtester Weg: Du attackierst die Migranten – Menschen, die keine Stimme haben. Immigration ist ja nicht das Problem, sondern Integration. Wir brauchen Migranten. Österreich hat das erste Mal mehr 65-Jährige als 20-Jährige. Populismus führt zu Protektionismus, Protektionismus zu Nationalismus. Was wir in Österreich falsch machen ist, dass wir Nationalismus und Patriotismus gleichstellen.
Sie sind bis Mitte 2022 noch beratend bei Western Union. Was kommt danach?
Zu 100 Prozent weiß ich es noch nicht. Ich werde weiter eine Stimme für Migranten weltweit sein. Ich werde häufig von Organisationen wie den UN gefragt, ob ich mich weiterhin dort einsetzen werde. Das auf jeden Fall. Ich werde vielleicht in Aufsichtsräten in Österreich oder Amerika sitzen. Ich habe Glück gehabt und sehr viel Geld verdient, ich habe vor, das mit anderen Leuten zu teilen.
Inwiefern das?
Ich bin ein Fan von Kapitalismus. Das klingt in Europa sehr blöd. Kapitalismus funktioniert nur, wenn das Kapital weiterfließt. Ich glaube, dass das Kapital gerechter verteilt sein muss. Deswegen bin ich für Zinserhöhungen, und manchmal für Steuererhöhungen. Als ich gehört habe, dass es in Österreich keine Erbschaftssteuer gibt, war ich überrascht. Das müssen Sie sich vorstellen: Sie werden geboren, dann erben Sie, und dann haben Sie plötzlich Geld. Sie haben nichts dafür geleistet. Kapitalismus macht Wettbewerb und kurbelt die Wirtschaft an, was alle inkludiert.
Die US-Notenbank Fed erhöht mit März die Zinsen. Tut sie das Richtige?
Hikmet Ersek: Ja. Es hätte schon früher passieren sollen. Das Geld war lange viel zu billig. Geld wurde oft dazu verwendet, nur in wachstumsorientierte Unternehmen zu investieren. Das war für den Moment richtig, als man die Wirtschaft ankurbeln wollte. Die Inflation hat nicht nur mit billigem Geld zu tun. Sie hat jetzt verschiedene Gründe – Lieferketten, hohe Energiepreise, Konsumfreundlichkeit. Die Zentralbanken müssen unbedingt eingreifen.
Die EZB ziert sich noch.
Die EZB wird nachziehen müssen, die Frage ist nur wann. Es handelt sich aktuell aber nicht um eine Blase, sondern eine große Korrektur. Die findet statt und muss stattfinden, sonst wird es eine Blase.
Stichwort Kryptowährungen. Viele halten sie für Spekulationsobjekt und anfällig für Kriminalität, aber es gibt einen Hype. Ihre Meinung?
Es gibt ja drei Arten. Es gibt es die von Zentralbanken ausgegebenen, also regulierten Currencies. Dann gibt es stable Currencies, die von privaten Unternehmen ausgegeben werden, um den Zahlungsverkehr leichter zu machen. Und die Dritte ist die von Ihnen angesprochene, berühmte wie Bitcoin. Ich nenne die Kryptocurrencies, die Sie meinen, Bet Currencies, Wetten. Das ist kein Zahlungsverkehr, die ersten beiden schon. Ich bin ein Fan von Kryptocurrencies, aber nicht als Asset. Das gehört reguliert.
Waren Sie besorgt, als El Salvador den Bitcoin als Zahlungsmittel akzeptiert hat? Jetzt hat der IWF das Land aufgefordert, das wieder rückgängig zu machen.
Nein. Ich habe gleich gesagt, dass das untergehen wird. Der Präsident von El Salvador hat das eingeführt, um Probleme umzuleiten. Er ist Populist. Es ist unmöglich, tägliche Zahlungen mit Bitcoin zu machen. Keine Zentralbank gibt die Kontrolle über ein Land ab.
Dann ist das nur Populismus? Präsident Bukele hat im September 2021 prophezeit, dass Unternehmen wie Western Union riesige Summen entgehen werden.
Unsere Umsätze mit El Salvador sind gleich weitergegangen. Das ist ein riesiges Land für uns. Unser Durchschnittsumsatz liegt bei 300 Dollar. Das ist dort viel Geld. Damit können Sie ein Kind ein Jahr in die Schule schicken. Es haben nicht plötzlich alle statt Dollar Bitcoin überwiesen. Was machen Sie mit Bitcoin in El Salvador? Wie bezahlen Sie Schulgeld und Stifte?
Western Union wird für die Höhe der Transaktionsgebühren kritisiert. Muss Western Union diese senken?
Wir sind ein gewinnorientiertes Unternehmen. Es ist nicht leicht, 500.000 Geschäftsstellen in 200 Ländern und Lizenzen zu haben, Anti-Geldwäsche-Monitoring zu betreiben. Das muss alles finanziert werden. Unsere Durchschnittsgebühr liegt bei vier bis fünf Prozent. Wir passen die Preise wie Airliner Umgebung und Konkurrenz an. Bei uns zahlt auch nur der Sender Gebühr.
Es gibt keine Bestrebung, dieses Gebührensystem zu ändern?
Nein, überhaupt nicht.
Und die Höhe?
Das passiert ohnehin. Als ich vor 21 Jahren begonnen habe, lagen die Gebühren bei zehn Prozent. Da brauchten wir das – wir waren nicht in Ländern wie Albanien und Venezuela. Mit der Zeit kamen die Transaktionen. Mit mehr Transaktionen sinken die Gebühren.
Sie waren lange der einzige Österreicher an der Spitze eines Fortune-500-Unternehmens. Warum Sie?
Ich habe Glück gehabt. Ich war mit meinen persönlichen Werten sehr authentisch. Ich habe selbst meinen Vater in der Türkei mit meinem ersten Gehalt unterstützt. Er hat damit Blutdruckmedikamente gekauft. Ansonsten war ich zur richtigen Zeit am richtigen Ort. Ich hatte auch einen sehr guten Mentor , einen früheren CEO von McDonalds.
Wichtig ist ein guter Mentor und kongruent zu dem leben, was einem entspricht?
Authentisch sein! Man kann nicht CEO spielen. Das funktioniert nicht. Man muss all in sein. Ich bin auch selbst zum Aufsichtsrat gegangen und habe gesagt, es ist Zeit, einen Nachfolger zu suchen. Right time, right moment!
Hikmet Ersek
ist Sohn eines Türken und einer Österreicherin und kam zum Studium nach Wien. Nach Stationen bei Europay/MasterCard und General Electric startete Ersek 1999 bei Western Union, ab 2010 übernahm er die weltweite Leitung. Er war bis zu seinem Rückzug Ende 2021 der einzige Österreicher an der Spitze eines Fortune 500-Unternehmens. Aktuell ist Ersek bis Mitte des Jahres Special Advisor of the Board of Directors bei Western Union, also in beratender Funktion tätig. Seit 2015 ist Ersek außerdem österreichischer Honorarkonsul für die US-Bundesstaaten Colorado, Wyoming und New Mexico. Ersek war auf Einladung der NÖ Landesregierung in Österreich.
Western Union
ist ein US-amerikanischer Anbieter von globalen Auslandsüberweisungen. 2020 machte das Unternehmen einen Umsatz von rund 4,8 Milliarden US-Dollar (- 9 Prozent).
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