Geißler: „Das Geld haben die Falschen“

Interview mit Heiner Geißler, ehemaliger Generalsekretär der CDU, am 19.04.2013 in Wien
Jesuit Heiner Geißler über ethische Wirtschaftspolitik und den „Totalausfall der Kirche“.

Er ist eine der schillerndsten Persönlichkeiten der deutschen Politik. Den alten Satz „Wer in seiner Jugend nicht Kommunist war, hat kein Herz, wer im Alter immer noch einer ist, hat keinen Verstand“, den drehte er für sich um: Heiner Geißler war in der Ära Kohl als Generalsekretär und CDU-Minister ein kantiger „Linken-Fresser“, trotz sozialen Engagements. Im Alter wandte er sich nicht dem Kommunismus, aber linken Positionen zu.

Am Freitag war der 83-jährige Hauptredner bei einem Caritas-Symposium in Wien. Sein Thema: „Was würde Jesus heute sagen?“ Denn Geißler ist Jesuit, der den Orden vor dem Gelübde auf Armut, Keuschheit und Gehorsam wieder verließ – „Mit 23 habe ich gemerkt, ich kann zwei – also mindestens eins – dieser Gelübde nicht halten. Die Armut war es nicht.“

Mit dem KURIER sprach der gern gesehene Gast deutscher Talkshows über die Krise, christlich-soziale Politik und die Rolle der Kirche.

KURIER: Die Welt dreht sich ums schnelle Geld und daraus resultierende Krisen. Was ist da aus dem Ruder gelaufen?

Heiner Geißler: Das System. Und die Probleme, die wir haben, versucht man, mit Mitteln des Systems zu beantworten.

Was nicht wirklich glückt.

Das kann nicht glücken, weil das Wirtschaftssystem falsch ist. Wir haben den fast lupenreinen Kapitalismus, und der ist das Gegenteil der vor 60 Jahren eingeführten sozialen Marktwirtschaft.

Der Kommunismus ist gescheitert, der Kapitalismus in der Kritik, die Rufe nach einem neuen Weltwirtschaftssystem sind laut.

Der Ruf bleibt noch in den Interessen des Systems stecken. Dabei bräuchte es dringend eine internationale ökosoziale Marktwirtschaft, das, was auch in Österreich diskutiert worden ist.

Wie kommt es zu der?

Es müsste sich das Bewusstsein ändern. Das jetzige System ist ja nicht gottgegeben, sondern eine Erfindung von Friedman/Hajek, die über Jahrzehnte Wirtschaftswissenschaften und Politik geprägt haben. Beide haben ihr ethisches Fundament vollkommen verloren.

Inwiefern?

Die Kapitalinteressen sind alles entscheidend, der Mensch wird zum Kostenfaktor degradiert. Er gilt umso mehr, je weniger er kostet, und er gilt umso weniger, je mehr er kostet. Danach richten sich die Wirtschafts-, Gesellschafts-, Gesundheits-, Bildungspolitik aus. Kapital an sich ist ja nicht schlecht, aber es hat dem Menschen zu dienen und darf ihn nicht beherrschen. Heute ist es umgekehrt. Daraus müssen Konsequenzen gezogen werden.

Die müssen wie aussehen?

Man muss wieder zurück zu einer an sozialer und ökologischer Verantwortung orientierten Wirtschaft, zu ökonomischer Moral. Wir brauchen einen geordneten Wettbewerb statt des in der Finanzwelt herrschenden Chaos – es gibt keine Regeln, sondern nur catch as catch can.

Klagen wir nicht auf einem relativ hohem Niveau: Die Kaufkraft und der Wohlstand sind heute deutlich höher als vor sagen wir 40 Jahren.

Ja, wo? In Österreich. In Deutschland. Aber sagen Sie das mal den zu 30, 40, 50 Prozent arbeitslosen Jugendlichen in Teilen Europas. Notwendig ist eine globale Wirtschaftspolitik mit dem Ziel: Wohlstand für alle Menschen und nicht für zwei Drittel oder vier Fünftel. Die Behauptung, es gebe kein Geld, stimmt nicht, es gibt Geld wie Dreck. Es haben nur die falschen Leute. Ein wichtiger Schritt ist die Finanztransaktionssteuer. Wir müssen von jeder Windel und jeder Kaffeemaschine Umsatzsteuer bezahlen, aber die Devisenhändler und Spekulanten, die jeden Tag zwei Billionen Dollar Umsatz machen, müssen sich mit keinem Cent an der Finanzierung der humanen Aufgaben auf dieser Welt beteiligen.

Diese Bewusstseinsänderung, ist die Aufgabe der Politik oder der darauf drängenden Zivilgesellschaft?

Beides. Die Politik braucht Unterstützer. Und eine der wichtigsten Unterstützerorganisationen für eine neue Weltwirtschaftsordnung auf einem ethischen Fundament wäre die katholische Kirche. Unter deren Mitwirkung ist seinerzeit die soziale Marktwirtschaft entstanden – heute ist hier die Kirche ziemlich ein Totalausfall.

Sie sagten einmal, die Kirche hat sich von der Gesellschaft verabschiedet und in die Spiritualität geflüchtet.

Ja, sie betet, aber handelt nicht und beschäftigt sich lieber mit Sexualmoral, mit negativen Äußerungen über Frauen, verbietet Wiederverheirateten die Kommunion, hängt am Zölibat – sie müsste diese theologische Irrlehre endlich überwinden.

Der neue Papst ist Jesuit – erwarten Sie sich da eine Änderung?

Ja, unbedingt. Es ist ja auch nicht so, dass Christen nicht präsent wären, etwa durch soziales Engagement wie etwa der Caritas, die das Evangelium umsetzt, aber von der Kirche und der geistigen Führung alleingelassen wird. Ich hab’ erst gestern mit einer Ordensschwester diskutiert, die in Ostafrika Kondome an Aids-kranke Männer verteilt hat, und die musste aus ihrem Orden austreten. Das Evangelium ist nicht nur eine Gebrauchsanweisung für fromme Christen, um rasch in den Himmel zu kommen und andere abzustrafen, sondern hat soziale Verantwortung. Die Theologie muss wieder ins richtige Koordinatensystem kommen.

Wie christlich sind eigentlich noch Parteien, die das in ihrem Namen führen?

Wir sind keine christlichen Ayatollahs. Aber der Glaube gibt uns ein Bild vom Menschen als Grundlage für politische Entscheidungen, das sich diametral vom Menschenbild anderer Ideologien unterscheidet. Die Würde des Menschen ist unantastbar, egal ob jemand arm oder reich, jung oder alt, Mann oder Frau ist – wenn Sie das umsetzen in die Politik, erfordert dieses Menschenbild knallharte Konsequenzen.

Die CDU hat diese Woche im Bundestag gegen die Frauenquote gestimmt, ist das unchristliche Politik?

Auf jeden Fall ist es eine große Dummheit, und das schließt das andere nicht aus. Die CDU wird dem christlichen Menschenbild manchmal gerecht und manchmal nicht, bei der ÖVP ist das nicht anders. Die CDU müsste mit dem Slogan „Solidarität statt Kapitalismus“ in den Wahlkampf ziehen.

Von Helmut Schmidt sagte man, er ist der richtige Kanzler in der falschen Partei (SPD). Sind Sie mit zunehmend linken Positionen der richtige Heiner Geißler in der falschen Partei?

Früher war einer in den Augen mancher Linker schon rechtsradikal, wenn er pünktlich zur Arbeit kam, oder war in den Augen der Rechten ein Linker, wenn er eine berufstätige Frau hatte. Rechts und links sind heute keine relevanten Kategorien mehr. Was ich sage, basiert auf diesem christlichen Menschenbild.

Kommentare