Heiko Thieme: Rallye vor Jahresende steht nichts im Wege

Portfoliomanager Heiko Thieme: Kauft die US-Notenbank weniger Staatsanleihen und Immo-Papiere auf, fallen die Börsenkurse um zehn Prozent.
Der Börsenexperte über den VW-Skandal und die Aussichten auf den Aktienmärkten.

Seit gut vier Jahrzehnten ist Heiko Thieme im internationalen Veranlagungsgeschäft tätig und fühlt seit 1979 den Puls der Wall Street. Einen langen Atem beweist der 72-jährige Portfoliomanager nicht nur in der Welt der Aktien. Am 1. November nimmt er am New Yorker Marathon teil. Trotz Trainings nahm er sich Zeit für ein Gespräch mit dem KURIER.

KURIER: Wie haben Sie an der Wall Street den Beginn der VW-Abgasaffäre wahrgenommen?Heiko Thieme: Zuerst war ich entsetzt, dass VW so etwas tun kann. Das ist ein Imageschaden, der weit über das Unternehmen hinausgeht.

Wie hoch schätzen Sie den tatsächlichen Schaden für VW?

Der Gesamtschaden wird irgendwo zwischen zehn und 25 Milliarden Euro liegen. Daran wird VW nicht pleite gehen. In drei Monaten wird wieder alles vergessen sein. Wie schnell vergessen wird, hat man bei Ebola gesehen. Wie haben wir uns gefürchtet, heute redet keiner mehr davon.

Heißt das, die geprügelte VW-Aktie wird wieder steigen und man sollte kaufen?

Ja, man sollte kaufen, wenn der Kurs schwach ist, und das in drei verschiedenen Tranchen. Bis Ende des Jahrzehnts wird die Aktie wieder bei 200 Euro sein. Das sind dann immerhin 15 Prozent Rendite pro Jahr. Das kann sich doch sehen lassen. Wer sich bei VW nicht traut, kann alternativ auch Aktien von BMW oder Daimler kaufen.

Der deutsche Düngemittel-Hersteller K+S ist ein weiterer Titel, der arg unter die Räder gekommen ist, weil der kanadische Konzern Potash sein Übernahmeangebot zurückgezogen hat. Würden Sie da auch schon einsteigen?

Ich gehe davon aus, dass der Rohstoffzyklus in der Nähe der Bodenbildung ist. Das war jetzt seit Kriegsende die zweitlängste Baisse. Ich kaufe gerne in der Marktschwäche ein und lasse mich vom Markt nach oben tragen. K+S ist sicher ein Spezialtitel für jene, die gute Nerven haben.

Mit wie viel seines Geldes kann man, Ihrer Meinung nach, etwas riskieren?

Für die solide Basis sollte man sich die Goldmedaillen-Gewinner unter den Unternehmen heraussuchen. Da kann ein ETF (Indexfonds, Anm.) die Basis für diese Goldmedaillen-Gewinner sein. Mit fünf Prozent seines Vermögens kann man mit Hebelprodukten spekulieren. Spekulation ist das Salz in der Suppe. Nimmt man zu viel, ist die Suppe versalzen.

An den meisten Börsen sind die Kursgewinne vom Frühjahr wieder weg. Wird das ein verlorenes Börsenjahr?

Die Tiefststände des Jahres haben wir bereits gesehen. Das dritte Quartal war das schlechteste seit vier Jahren. Einer Jahresendrallye steht nichts im Wege. Der Dow Jones hat das Potenzial, bis Jahresende auf 18.300 Punkte zu steigen (fast sechs Prozent plus, Anm). Der Frankfurter DAX hat Potenzial bis zu 11.500 Punkte.

Und die Börse in Wien?

Wien wird die alten Höchststände in diesem Jahrzehnt nicht mehr sehen, aber es wird Gewinne geben.

Geht den Börsen bald die Luft aus oder kann man nächstes Jahr auf Kursgewinne hoffen?

Die Aussichten für die nächsten zwölf Monate sind gut, es wird Kurssteigerungen um mindestens zehn Prozent geben. Die nächste große Talfahrt wird frühestens 2017 kommen.

Sind durch die billigen Notenbankgelder Preisblasen entstanden, die platzen könnten?

Allgemeine Preisblasen sehe ich keine. Es ist nicht mehr billig, aber auch nicht überteuert. In Einzelfällen gibt es schon Blasen, ja. Einige Technologie-Werte sind jenseits von gut und böse.

Die Finanzwelt wartet jetzt schon seit Monaten gespannt, wann die US-Notenbank die Zinsen anhebt. Ihr Tipp dazu?

Fed-Chefin Yellen weiß es nicht, daher ich auch nicht. Sie macht es von der aktuellen Datenlage abhängig. Ich sage, die Wahrscheinlichkeit, dass die Fed im Dezember anhebt, liegt bei 40 Prozent.

Demnächst kommt Ihr Buch "Und immer wieder steigt die Börse" heraus. Stimmt der Titel wirklich?

Ja, wir sind zum Wachstum verdammt (lacht). Aber das hat auch einen simplen Grund. Der Index einer Börse ist ja nicht statisch, da werden Unternehmen ausgewechselt. Statt schlechterer Unternehmen werden, wie schon erwähnt, Goldmedaillen-Gewinner aufgenommen.

Eine ganz andere Frage an Sie als US-Kenner: Hat die Griechenland-Krise Europa in den Augen der US-Investoren geschadet?

Europa schweißt sich zusammen und ist durch die Griechenland-Krise gestärkt worden, weil es zusammensteht. Die Europäer machen vieles richtig, sie verkaufen sich nur falsch.

Wertpapierforum

Business Circle organisiert heuer schon zum 13. Mal das „Wertpapierforum“, die führende Informationsplattform für Profis aus Österreich, Deutschland und der Schweiz. Das Treffen findet am 26. und 27. November (im Hotel Courtyard by Marriott, Wien Messe) statt. Auch heuer gibt es wieder Keynotes des bekannten Börsenexperten Heiko Thieme, Chairman der American Heritage Management Corporation in New York. Thieme gilt als unverbesserlicher Optimist.

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