Handelsexpertin Cerha: "Aus Mitleid wird kein Händler überleben"
Handelsexpertin Cordula Cerha spricht im Interview über Herausforderungen für den Handel und die wachsende Online-Konkurrenz. Dazu gibt sie einen Ausblick, wie der heimische Handel auch in Zukunft erfolgreich sein kann.
KURIER: Die vergangenen Jahre waren für den Handel in Österreich durchwachsen. Da ist die Rede von Kaufzurückhaltung und wachsender Konkurrenz aus Asien. Ist denn wirklich alles so schlimm?
Cordula Cerha: Ich hoffe nicht. Dass die Stimmung schlecht ist, hängt mit den globalen Krisen zusammen. Und das schlägt auch auf die Konsumlaune. Für den Handel gibt es einen alten Spruch: Das Jammern ist des Kaufmanns Lied. Aber wir müssen aufpassen, dass wir nicht alles krankjammern. Uns ist schon gar nicht mehr bewusst, dass wir eigentlich insgesamt doch eine sehr wohlhabende Gesellschaft mit einem sehr hohen Lebensstandard sind.
Das bedeutet, die Menschen hätten Geld zum Ausgeben, aber wollen es nicht ausgeben?
Die Kaufzurückhaltung ist nicht unmittelbar an die Kaufkraft gebunden. Wenn die negativen Nachrichten in der Berichterstattung dominieren, sind die Menschen vorsichtiger mit Ausgaben, die sie sich eigentlich leisten könnten. Wir haben eine hohe Sparquote und das ist auch rational erklärbar in Zeiten, in denen man davon ausgeht, dass vielleicht schwierigere Phasen kommen, für die man Reserven braucht.
Was sagen Sie zu den Forderungen, dass die chinesische Konkurrenz wie Temu oder Shein eingeschränkt werden soll?
Die Frage ist eher, wie realistisch das ist. Die Geschwindigkeit, mit der diese Wettbewerber hier auf den Markt getreten sind, ist beeindruckend. Und auch, welche Wachstumsraten hier in kurzer Zeit realisiert wurden. In vielen Ländern in Europa wird die Temu-App bereits stärker genutzt als Amazon. Die Hoffnung bleibt, dass bei Konsumenten Ernüchterung einkehrt, wenn sie sehen, dass die Qualität vieler Waren gering ist.
Bisher wirkt es nicht so, als würden die Kunden durch die geringe Qualität abgeschreckt werden.
Bei den Käufen auf diesen Plattformen geht es nicht darum, Investitionen zu tätigen. Es geht um Abwechslung und eine kleine Belohnung. Vor allem in den Bereichen Mode, Accessoires und Dekoration. Es geht auch nicht darum, dass die Produkte haltbar oder nachhaltig sind, weil die Konsumenten ein halbes Jahr später sowieso etwas Neues haben möchten. Ich sehe das mit großer Skepsis, wenn Kleidungsstücke nur ein oder zwei Mal getragen und dann wieder entsorgt werden.
Cordula Cerha arbeitet seit mehr als 25 Jahren im Marketing und ist Expertin für Handelsthemen sowie für Werbung und Marktforschung.
Sie arbeitet als Senior Lecturer am Institut für Retailing und Data Science am Department Marketing der Wirtschaftsuniversität Wien (WU).
Daneben ist Cerha geschäftsführende Gesellschafterin von CMC-Consultants, einer Beratungsgesellschaft, die Unternehmen und Organisationen im Marketing- und Salesmanagement unterstützt.
Sie ist außerdem als Lektorin am Institut für Kommunikationsdesign an der Wiener Universität für angewandte Kunst tätig sowie an zahlreichen anderen akademischen Einrichtungen.
Wie passt dieser schnelllebige Überkonsum in die heute Zeit und zum Dauerthema Nachhaltigkeit?
Gar nicht. Fragt man Menschen, ob wir alle nachhaltig konsumieren sollen, werden viele zustimmen. Wenn man sich das Kaufverhalten anschaut, fällt das auseinander, gerade bei jungen Konsumenten, die sich sehr nachhaltig präsentieren. Das ist wohl teilweise fehlende Information und bis zu einem gewissen Maß vielleicht auch Ignoranz.
Der heimische Handel wirbt seit Jahrzehnten mit Tiefstpreisen und „Geiz ist geil“. Ist das Problem hausgemacht?
Der Handel und die Industrie haben die Konsumenten zu Schnäppchenjägern erzogen. An und für sich ist das ein Zeichen von Wettbewerb, dass man versucht, um die Konsumenten zu werben. Aber wenn das immer nur über den Preis läuft, dann ist es für den stationären Handel schwierig, da mitzuhalten. Einfach, weil er eine andere Kostenstruktur hat als irgendeine Plattform aus China.
Sie sagen, dass der stationäre Handel andere Voraussetzungen zu meistern hat. Aber der österreichische Onlinehandel strauchelt ebenfalls.
Hier gibt es viele Unternehmen, die Schwierigkeiten haben, kostendeckend zu arbeiten. Vor allem, wenn es hohe Retourenquoten gibt. Besonders im Niedrigpreissegment ist Onlinehandel nichts, womit man viel Geld verdienen kann. Es ist also kein großes Geschäft, trotzdem fehlen diese Umsätze dem stationären Handel.
Cordula Cerha im Gespräch mit KURIER-Redakteurin Marlene Liebhart.
Und wie geht es mit dem stationären Handel weiter?
Im Handel geht es immer um Strukturwandel. Neue, erfolgreichere Systeme lösen andere ab und entwickeln sich mit der Gesellschaft mit. Ich glaube ganz fest an den stationären Handel. Denn ich bin überzeugt, dass Konsumenten soziale Wesen sind und sich im Handel nicht nur mit Waren versorgen, sondern das auch als Marktplatz verstehen, wo man sich trifft und austauscht. Diese Bedürfnisse lassen sich online nicht befriedigen.
Wie groß ist das Problem mit dem Leerstand?
Das ist leider eine sich selbst verstärkende Abwärtsspirale. Wenn an einem Ort die Standortattraktivität leidet, wandert der Handel ab und es gibt Leerstand. Der Standort wird dadurch noch unattraktiver. Das funktioniert auch in die andere Richtung. Wenn sich ein attraktiver Händler ansiedelt, ziehen andere nach. Und die Konsumenten sind mit ihrer Kaufentscheidung auch verantwortlich, wie sich eine Gegend entwickelt. Das ist leider vielen nicht so bewusst.
Was braucht ein stationärer Händler, um erfolgreich zu sein?
Er muss ganz nah an den Konsumenten und ihren Bedürfnissen dran sein. In den meisten Fällen von gescheiterten Händlern haben die Unternehmen den Kontakt zu und das Verständnis für ihre Kunden verloren. Außerdem brauchen Händler Frequenz in ihren Filialen und eine möglichst hohe Verweildauer im Geschäft. Denn umso länger Leute bleiben, desto größer der Warenkorb. Und Händler müssen ihre Kosten im Griff haben.
Was halten Sie von österreichischen Gütesiegeln für Händler?
Ich bin ganz dafür, dass man Konsumenten aufklärt und informiert. Aber der moralische Appell allein wird das Konsumentenverhalten nicht verändern. Menschen treffen eine Nutzen-Entscheidung und etwas Gutes zu tun, bringt einen emotionalen Zusatznutzen, aber reicht allein nicht aus. Das Angebot und die Ware müssen stimmen, damit Konsumenten einen Mehrwert haben. Nur aus Mitleid wird kein Händler überleben.
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