Haberzettl: Falsche Strategie der ÖBB
Der "Kuschelkurs" zwischen ÖBB-Chef Christian Kern und dem mächtigen Betriebsratschef der Eisenbahner ist offenbar vorbei.
KURIER: Sie haben die Forderung von ÖBB-Chef Kern nach einem flexibleren Dienstrecht sofort als Kriegserklärung kritisiert. Ist die Eisenbahnergewerkschaft resistent gegen Reformen?
Wilhelm Haberzettl: Nein. Ich habe den Eindruck, dass die Manager immer dann anfangen, übers Dienstrecht zu diskutieren, wenn ihnen nichts anderes mehr einfällt. Kern ist der einzige Konzernchef, der die Mitarbeiter ohne Eingriff ins Dienstrecht innerhalb des Konzerns überallhin versetzen kann. Dafür gibt es einen Generalkollektivvertrag, aber den hat er wahrscheinlich nicht gelesen.
Aber die Versetzung kann nur für 13 Wochen erfolgen, wenn der Mitarbeiter dann den neuen Job ablehnt, muss er wieder an seinem alten Arbeitsplatz eingesetzt werden. Wie kann man das flexibler machen?
Erstens kann das Management keinen einzigen Fall auf den Tisch legen, wo es mit der Versetzung wirklich Probleme gibt. Und zweitens: Wie Kern das umsetzt, muss er schon selber wissen. Sie werden doch nicht erwarten, dass ich ihm Tipps gebe, wie es funktioniert. Aber ich glaube, dass sich die meisten ÖBB-Manager im Arbeitsrecht der Eisenbahner nicht auskennen.
Wenn es keine Probleme mit Versetzungen gibt, wo ist dann das Problem?
Das Problem ist, dass Kern von mir eine Blanko-Unterschrift für verschlechternde und sozialwidrige Versetzungen haben will. Da kann ich gar nicht zustimmen.
Sie lehnen nicht nur Änderungen im Dienstrecht ab, die Betriebsräte haben im Aufsichtsrat auch die Strategie geschlossen abgelehnt. Also doch reformresistent?
Dafür gibt es zwei Gründe. Einer davon ist ein formaler: Wir haben ausgemacht, dass wir Unterlagen für die Aufsichtsratssitzungen spätestens eine Woche vor der Sitzung bekommen. Wir haben sie am Freitag in der Nacht um 22.58 Uhr per eMail bekommen und am Dienstag war die Sitzung. Da braucht er mit mir über die Inhalte gar nicht zu reden.
Deshalb haben Sie abgelehnt?
Es gibt natürlich auch inhaltliche Gründe dafür. Das ist keine Strategie, das ist ein reines Rückzugsgefecht. Wir ziehen uns im Güterverkehr aus der Fläche zurück und konzentrieren uns auf Massengüter wie Öl, Chemie, Kohle. Wenn man einen Markt aufgibt, kommt man dort nie wieder hinein. Die Wirkung von Ankündigungen, was wir in Zukunft alles nicht mehr machen, ist auf die Kunden katastrophal. Die reden gar nicht mehr mit uns. Wir diskutieren Überschriften, aber wir wissen nicht, wohin wir fahren wollen. Es mag ja sein, dass ich im einen oder anderen Bereich zurückfahren muss. Aber dann muss ich im Gegenzug etwas Neues aufbauen. Ein Offensivstrategie sehe ich aber nirgends.
Der Aufbau eines Low-Cost-Carriers in Südosteuropa ist für Sie nicht offensiv?
Gegen wen brauchen wir dort einen Low-Cost-Carrier? Gegen die ÖBB selbst? So blöd kann ich ja nicht sein, dass ich gegen mich selbst fahre. In Bulgarien und Rumänien kann ich nicht gegen Billiganbieter fahren, da hab' ich ja keine Chance. Das hat wahrscheinlich einen anderen Hintergrund: Vielleicht wollen sie in West- und Mitteleuropa mit einem Low-Cost-Carrier fahren. Aber dann fahre ich wieder gegen mich selbst als ÖBB. Das ist Kannibalismus der besonderen Art, da frisst sich ja der Kannibale selber auf.
Im Bereich TS (Technische Services/Werkstätten) sind massive Einsparungen geplant. Das Werk Simmering soll nach dem Auslaufen der railjet-Montagen geschlossen werden...
Das ist auch so ein seltsamer strategischer Ansatz. Die Werkstätte in Simmering soll geschlossen und logischerweise verkauft werden. An wen, glauben Sie ...
... Siemens?
Hmm..., das sagen Sie ja nicht. Aber wenn das so kommt, wer glauben Sie wird dann das Service für den railjet machen? Da nehm' ich so viel Kapazitäten aus den Werkstätten heraus, dass ich viele Aufträge nach außen vergeben oder nach Osteuropa verlagern muss. Da frag ich mich schon, ob sie uns für blöd verkaufen wollen. Simmering hat den Vorteil, dass die Werkstätte hinter dem neuen Hauptbahnhof Wien ist. Wenn Simmering verkauft wird, macht die Wartung dann dort eine Fremdfirma oder die Züge müssen quer durch Wien nach Jedlersdorf oder in noch weiter entfernte Werkstätten fahren. Diese Leerfahrten kosten unnötiges Schienenbenützungsentgelt.
Zum Personalabbau: Kern will die Zahl der Eisenbahner auf unter 40.000 reduzieren. Das geht aber nur über den natürlichen Abgang, also Pensionierungen ...
Das wird nicht mehr gehen. Es gibt einen klaren Auftrag von Ministerin Bures, das Pensionsantrittsalter jedes Jahr um ein Jahr zu erhöhen, 2012 sind das 55,5 Jahre. Durch die massiven Frühpensionierungsaktionen in der Ära Huber (Martin Huber war von Jänner 2005 bis Mai 2008 ÖBB-Chef, Anm.) unter der schwarz-blauen Regierung sind aber in dieser Altersgruppe, vor allem in der Infrastruktur, fast keine Eisenbahner mehr da, die man in Pension schicken könnte.
Wäre nicht gerade deswegen eine Aufweichung des Kündigungsschutzes notwendig, um Eisenbahner auch kündigen zu können?
Was ich von Dienstrechtsänderungen halte, habe ich ja schon gesagt. Aber es gibt auch eine volkswirtschaftliche Komponente. Nehmen wir an, dass man Eisenbahner kündigen kann. Dann habe ich Arbeitslose, die das System auffangen muss. Die Arbeit, die sie jetzt machen, bleibt aber. Das heißt, ich muss Aufträge nach außen vergeben. Dann zahlt der Steuerzahler doppelt: Einmal für die Arbeitslosen und ein zweites Mal für die Aufträge der Infrastruktur, die über ÖBB-Schulden ja der Staat zahlt. Dafür bin ich nicht zu haben.
Überzählige Beschäftigte sollen über den internen Arbeitsmarkt in andere Bereich mit Personalmangel umgeschichtet werden. Wäre das ein Weg zur Effizienzsteigerung?
Da passiert ja auch viel zu wenig. Ein Beispiel: Mitarbeiter mit niedriger Qualifikation könnten zu den "Mungos" (diese ÖBB-Tochter ist für die Reinigung und die Sicherheit auf Bahnhöfen zuständig, Anm.) versetzt werden. Aber statt dessen überlegt man ernsthaft, diese Tochter zu verkaufen. Das ist ja Unsinn, das bringt höchstens einen Einmalerfolg. Danach muss ich die Leistungen wieder vom Markt zukaufen.
Zur Person: Echter Eisenbahner
Werdegang Die politische Karriere von Wilhelm Haberzettl begann 1976 bei den ÖBB als Vertrauensperson und Ortsgruppenobmann der Gewerkschaft. 1993 zog er in den ÖBB-Zentralausschuss ein, ab 1998 war er dessen Vorsitzender. Bis Dezember 2006 war Haberzettl Vorsitzender der Eisenbahnergewerkschaft. Im selben Jahr wurde er als Nationalratsabgeordneter angelobt.
Privates Aufgewachsen ist der Gewerkschafter im Pielachtal in der Nähe von St. Pölten. Der 56-Jährige ist geschieden und hat einen Sohn.
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