Verkehrte Idee
„Ich halte diese Idee für völlig verkehrt“, sagt etwa Kerstin Marchner von der Wiener Pflegeagentur BestCare24. „Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Kulturen zusammenpassen.“ Marchner verweist auf die lange Anreise aus Afrika sowie die Bedürfnisse älterer Menschen etwa beim Essen: „Viele wollen nicht auf ihr Schnitzel verzichten, das könnte schwierig werden.“
Befürchtet wurde auch, dass die Marokkaner/innen die Betreuerinnen aus der Slowakei und Rumänien preislich unterbieten könnten und so eine Preis- und Qualitätsspirale nach unten lostreten. Kontraproduktiv für eine Branche, die gerade um Qualitätssicherung bemüht ist.
Agenturen, die gewisse Standards erfüllen und etwa regelmäßige Kontrollen der 24-Stunden-Betreuung vorort durch diplomiertes Personal durchführen, können sich zertifizieren lassen und dürfen ein Gütesiegel führen.
BestCare24 ist schon zertifiziert und hat aktuell rund 350 Personenbetreuerinnen aus der Slowakei und Rumänien unter Vertrag. Auch das Hilfswerk, einer der größten Anbieter in der 24-h-Pflege, ist skeptisch. Personal werde weiter in Ost- und Südeuropa, neuerdings auch in Kroatien, angeworben, heißt es.
Parlaments-Anfrage
Das Thema schlägt auch politische Wellen. Die FPÖ stellte bereits eine parlamentarische Anfrage an das Sozialministerium und will u.a. wissen, wie viele Pflegekräfte aus Marokko ab 2021 über Mangelberufsliste und Rotweißrot-Karte hier tätig sein sollen.
Im Sozialministerium verweist man auf KURIER-Anfrage einmal mehr auf den akuten Personalmangel in der Pflege. „Tatsache ist, dass bis 2030 76.000 zusätzliche Pflegekräfte in Österreich benötigt werden.“ Um den Mangel entgegenzuwirken, brauche es mehrere Maßnahmen. Eine davon sei eine Strategie zur kontrollierten, qualifizierten Zuwanderung: „Ohne Menschen mit Migrationshintergrund würde das österreichische Gesundheits- und Sozialsystem nicht funktionieren.“
Ob und wo die Pflegekräfte eingesetzt werden, sei offen. Maßgeblich für ihren Einsatz sei die fachliche Qualifizierung. Jede Pflegeleistung, die öffentlich gefördert wird, unterliege Qualitätsrichtlinien, die von den Bundesländern festgelegt werden.
Andere EU-Länder, vor allem Deutschland, sind bei der Anwerbung längst aktiv. Deutschland schloss mit den Maghreb-Staaten eine Transformationspartnerschaft für die Aus- und Weiterbildung in Branchen mit hohem Fachkräftemangel. Krankenhaus- und Pflegeheimbetreiber bilden das Personal zunächst in Marokko und später in Deutschland aus.
In Casablanca bietet etwa die Freiburg International Academy Sprach und Pflegekurse an, auch das Goethe Institut ist in Sachen Spracherwerb engagiert. Junge Marokkaner machen in ihrer Heimat zumeist einen Deutsch-Kurs (B1) und ein zweimonatiges Praktikum. Voraussetzung für ein Aufenthaltsvisum in Deutschland sind Deutsch-Kenntnisse auf B2-Niveau. Weil diese Kurse in Marokko kaum angeboten werden, reisen viele für einige Monate in die Türkei, bevor sie nach Deutschland kommen.
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