Glück und Geld: Was das Leben kostbar macht

Glück und Geld: Was das Leben kostbar macht
Clemens Sedmak: Der Philosoph erklärt, warum wir das Glück nicht so hoch hängen sollten.

Der Mensch hat nie genug, wenn’s um Geld geht.

Der Theologe, Philosoph und Armutsforscher Clemens Sedmak im Gespräch darüber, warum wir immer Gründe finden, uns zu beklagen. Er sagt, was Glück und Zufriedenheit mit Geld und Karriere zu tun haben und warum er den Begriff „Glück“ für überschätzt hält. Immer „happy“ zu sein ist für ihn eine geradezu schreckliche Vorstellung.

KURIER: Durchschnittsverdiener haben meist das Gefühl: Egal, wie viel Geld auf dem Konto liegt, es ist nie genug. Und dieser gefühlte Mangel scheint niemals zu enden. Selbst Reiche leben in der Illusion, dass sie glücklicher wären, wenn sie mehr besäßen. Haben wir Menschen einfach nie genug?

Clemens Sedmak: Ja! Entscheidend ist der Ausdruck „gefühlter Mangel“. Wir haben bei unseren Wünschen keinen Sättigungspunkt. Bei den Bedürfnissen kann man sagen: Ich habe für heute genug zum Anziehen oder zum Essen. Bei Wünschen ist das anders. Der Ökonom John Maynard Keynes prophezeite 1928, dass seine Enkelkinder dereinst nur mehr drei Stunden würden arbeiten müssen, weil mit der steigenden Produktivität die Bedürfnisse dann bereits gestillt seien.

Das kann man so sehen ...

.... aber der Mensch funktioniert nicht so. Denn selbst wenn meine Bedürfnisse abgedeckt sind – die Wünsche wachsen und wachsen. Wir Menschen haben einfach keinen Sättigungspunkt, wenn es um das Geld geht. Der Ausdruck gefühlter Mangel ist deshalb so wichtig, weil sich die Gefühlslage und die Vergleichspunkte mit wachsendem Einkommen verschieben. So, wie wir Menschen gebaut sind, haben wir immer Eintrittsstellen, um uns zu beklagen. Der Punkt, wo wir sagen: „Es ist genug“ kommt nie. Außer, er ist von außen auferlegt.

Es gibt die kolportierte Grenze von 60.000 Euro Jahreseinkommen, die die Schwelle des Glücks sein soll. Wer das verdient, sei am glücklichsten, danach steige das Wohlbefinden nur noch unwesentlich, heißt es in zahlreichen Studien. Stimmen Sie zu?

Die Idee ist bestechend. Das subjektive Wohlbefinden nimmt bis zu einem bestimmten Betrag zu und dann nicht mehr viel. Studien über Lottomillionäre zeigen, dass das Glücksgefühl nach dem Gewinn kurzfristig steigt, sich aber danach wieder einpendelt. Das Glücksgefühl, das durch äußere Faktoren bestimmt wird, hat seine Grenzen. Die Idee, dass man Menschen mit Geld motivieren kann, ist also limitiert. Das bedeutet aber nicht, dass wenig Geld zu haben nicht sehr unglücklich macht.

„Geld macht nicht glücklich“ hört man selten von denen, die kein Geld haben.

Ich würde es so formulieren: Geld macht nicht glücklich, aber kein Geld zu haben kann sehr unglücklich machen. Aus der Armutsforschung wissen wir, welchen toxischen chronischen Stress Geldmangel verursachen kann. Du hast immer Stress und kannst nie zur Ruhe kommen, wenn du deinem Kind kein Geburtstagsgeschenk kaufen oder keine Landschulwoche finanzieren kannst.

 

Abgesehen vom Geld: Wie wichtig sind Karriere oder eine bestimmte Form des sozialen Aufstiegs für das Glück?

Der Religionsphilosoph Martin Buber sagte: „Erfolg ist keiner der Namen Gottes.“ Das bedeutet, dass es auch eine andere Werteskala gibt als jene, in der es darum geht, vor den Augen der Welt möglichst groß dazustehen. Aber wenn jemandem beruflicher Erfolg wichtig ist, dann wird ihm das Eintreten dieses Erfolges auch Glücksmomente bringen. Ein erfülltes Leben hat ganz bestimmt auch damit zu tun, dass man Anerkennung bekommt für das, was man tut. Jemand, der ohne Anerkennung leben kann, muss schon sehr stark sein. Man könnte es auch arrogant nennen. Das Wort „Karriere“ halte ich jedoch für etwas gefährlich, denn es birgt ein „immer schneller, immer weiter, immer höher“ in sich.

Oft hat man den Eindruck, es geht in unserer Gesellschaft immer darum, „etwas zu erreichen“. Wir sind ständig dazu angehalten, uns zu verbessern und zu optimieren. Das Wort „Zufriedenheit“ ist fast verpönt. Warum eigentlich?

Wenn ich lese, dass Firmen „hungrige Mitarbeiter“ suchen, dann finde ich das bedenklich. Wenn jemand sagt, er sei zufrieden, dann gilt das gleich als Motivationsmangel. Es ist traurig, dass das Wort „Zufriedenheit“ heute verpönt ist, denn darin steckt schließlich der „Friede“, eine der vielen Dimensionen von Weihnachten. Zu sagen: „Ich bin zufrieden“ ist in einer Welt, in der es immer um Wachstum geht, sehr selten geworden. Ich bin natürlich dafür, dass der Mensch in bestimmten Bereichen wächst, aber es kann nicht ein Wert an sich sein, dass größer immer besser ist als kleiner.

Die Leistungsgesellschaft hat uns nachgerade eine Pflicht zum Glück verordnet.

Ja, es gibt fast so etwas wie Glücksstress. Dabei muss man in Österreich eigentlich das Recht auf den Grant verteidigen. Es ist in Ordnung, wenn jemand einmal einen Tag grantig ist. Dazu kommt: Ich finde den Begriff Glück nicht so wichtig. Er ist eindeutig überbewertet. Wir sollten unser Leben nicht unbedingt darauf ausrichten, glücklich zu sein. Erfüllung ist etwas anderes.


Nämlich?

Lebensqualität und Glück hängen eng miteinander zusammen. Aber Erfüllung kann auch ein schweres Leben sein. Glück als Stimmung ist überschätzt. Es geht um die Fähigkeit, ja zum Leben zu sagen.

Erfüllung hat also auch viel damit zu tun, das Leben anzunehmen?

Ja, aber nicht passiv, sondern es bedeutet auch, etwas damit zu machen. Antworten zu finden. Erfüllung bedeutet nicht zuletzt, zuzulassen, dass das Leben dir Herausforderungen und Erfahrungen gibt. Erinnern Sie sich an Aldous Huxleys Roman „Schöne neue Welt“. Es ist eine Dystopie, die eine schmerzfreie Welt beschreibt. Wer immer „happy“ ist, dem fehlt der Widerstand des Lebens, der empfindet Leere. Für mich ist ein gutes Leben ein anspruchsvolles Leben. Ich verwende dafür gerne das Wort Lebenstiefe. Wenn man schwerkranke Familienmitglieder hat, ist das nicht unbedingt lebensqualitätsmaximierend. Es ist nicht der leichteste Weg, aber man will es nicht missen, denn es ist Teil dessen, was das Leben kostbar werden lässt. Es trägt zur Lebenstiefe bei.

Und doch erwarten wir vom Glück immer so etwas Riesengroßes.

Das ist wie mit dem Sinn des Lebens. Wenn du ihn nicht so hoch hängen würdest, wärest du nicht so frustriert. Von Ernst Jünger gibt es dazu ein Zitat: „Unter friedlichem Dach, bei guten Gesprächen und mit liebevollem Gruß am Morgen und zur Nacht. Ach, stets zu spät erkennen wir, dass damit schon das Füllhorn reich für uns geöffnet war.“

In der Früh aufstehen, seine Aufgaben erledigen, abends schlafen gehen: Das ist es. Wir sollten nicht den Fehler machen, aus lauter Erlebnishunger dem Leben zu viel herauszupressen. Vielleicht ist es für uns Menschen besser, nicht genau zu wissen, worin das Glück besteht.

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