"Gesundheitszentren in Spitälern"

Karl Lehner kämpft für die Gesundheitszentren in den Krankenhäusern. Damit will er dem Ärztemangel in den ländlichen Regionen begegnen.
Ärztemangel macht Neuorganisation im Gesundheitswesen erforderlich – vor allem in den Regionen.

Karl Lehner ist Vorstandssprecher der Landesspitalsholding gespag.

KURIER: Gibt es einen Ärztemangel in Oberösterreich?Karl Lehner: Es gibt nicht nur einen Mangel in Oberösterreich, sondern in ganz Österreich. Wir haben zwar im internationalen Vergleich pro tausend Einwohner viele Ärzte, aber als man vor zehn Jahren die Studienplätze für Medizin um die Hälfte reduziert hat, hätte auch ein Systemwechsel erfolgen sollen. Dieser wurde nicht vorgenommen. Man hätte beispielsweise mehr Kompetenzen von den Ärzten zu den Pflegern/-innen verlagern sollen, wie man das in den skandinavischen Ländern gemacht hat. Wir haben ein gewachsenes System, das man nicht von einem auf den anderen Tag ändern kann. Deshalb werden wir für einen längeren Zeitraum einen Ärztemangel haben. Es wird ein Jahrzehnt dauern, bis das wieder im Gleichgewicht ist.

Die Ärzte bevorzugen den oberösterreichischen Zentralraum, weil sie hier mehr Klassepatienten haben und deshalb mehr verdienen. Das verschärft die Versorgungssituation in den ländlichen Regionen.

Das ist richtig. In den peripheren Regionen haben wir Standardspitäler. Die Abteilungen sind kleiner, überschaubarer und verfügen über eine familiärere Atmosphäre. Sie haben eine Mindestausstattung an ärztlichem Personal. Im Ballungsraum und in den Schwerpunkthäusern sind die Abteilungen größer und es gibt mehr Ärzte.

Mit der Standardausstattung kann man die Abteilungen in den peripheren Regionen sehr gut betreiben. Das Problem ist aber, wenn aufgrund des Ärztemangels von den sieben oder acht Ärzten einer Abteilung eine oder zwei Stellen nicht besetzbar sind, dann kommen die Abteilungen sofort in Schwierigkeiten. Wenn aber von 15 oder 20 Fachärzten im Ballungsraum ein oder zwei Stellen nicht besetzbar sind, ist das noch kein Beinbruch. Deshalb wirkt sich der Ärztemangel in der Peripherie stärker aus als im Ballungsraum.

Es gibt verschiedene Möglichkeiten, dem Ärztemangel zu begegnen. In Kirchdorf an der Krems gelang es, die Kinderabteilung im Krankenhaus zu erhalten. Darüber hinaus führen diese Ärzte eine private Gemeinschaftspraxis, wo sie auch außerhalb der regulären Spitalszeiten erreichbar sind.

Dieses Modell hat sich sehr bewährt. Es wurde soeben evaluiert. Wir haben dieses Modell 2011 gemeinsam mit der Ärztekammer, der Gebietskrankenkasse, den Ärzten und uns als Spitalsträger etabliert. Wir, die Ärztekammer und die Eltern mit ihren Kindern sind zufrieden. Der einzige Wermutstropfen ist die Schwierigkeit, sich zu orientieren. Denn die Gruppenpraxis ist nicht in unseren Räumlichkeiten im Krankenhaus, wie wir es angeboten hätten, sondern einen Kilometer entfernt in der Stadt. Es wird als kompliziert empfunden, dass die Gruppenpraxis vom Krankenhaus getrennt ist. Unser Vorschlag ist, dass dieses und ähnliche Modelle direkt im Krankenhaus untergebracht werden. Die Ärzte müssten dann ihren Standort nicht mehr wechseln und es gibt kein Orientierungsproblem für die Eltern mit ihren Kindern. Sie würden einfach ins Krankenhaus fahren. Sie würden an einem Standort betreut werden, sowohl im stationären Betrieb als auch in der Ordination.

Woran ist es in Kirchdorf gescheitet, dass man die Gruppenpraxis nicht gleich ins Spital verlegt hat?

Es hatte nur die Ärztekammer damit ein Problem. Sie hat dem nicht zugestimmt. Der Kompromiss war die Verlegung der Gruppenpraxis in die Stadt.

Die Arztpraxen in die Spitäler zu verlegen hat einen weiteren Vorteil bei der Ausbildung der Ärzte. Denn die Ärzte in der Kinderfacharztausbildung sind bei der räumlichen Trennung nicht in der Ordination dabei, sie lernen die Basisfälle nicht mehr, denn dies wird in der Ordination gemacht. Die Kinder kommen erst dann, wenn sie stationär aufgenommen werden müssen. Wenn die Arztpraxen in den Spitälern wären, würden sie diese Erstversorgungsfälle auch lernen, weil man unter einem Dach ist.

Sie wollen nach dem Vorbild in Kirchdorf auch an anderen Spitäler und Abteilungen derartige gemeinschaftliche Facharztpraxen einrichten. Aber nicht in separaten Räumlichkeiten, sondern in ihren Krankenhäusern.

Entweder im Spital oder in der Nähe, wo man trockenen Fußes beide Einheiten erreichen kann.

Wie groß sind die Chancen für eine Realisierung?

Die peripheren Regionen werden mittel- bis langfristig nur dann gesundheitlich ausreichend zu versorgen sein, wenn wir solche Primary Health Care Center schaffen. Die andere Variante ist das Best Point of Service Modell. In Deutschland heißt das medizinisches Versorgungszentrum, wir nennen sie Gesundheitszentren.

Die Gesundheitsversorgung in den Regionen lässt sich langfristig nur durch solche Modelle sichern?

Davon bin ich überzeugt. Weil sowohl im niedergelassenen Bereich, bei Fachärzten und Allgemeinmedizinern, als auch im Spitalsbereich die Zahl der Ärzte knapp ist. Entweder es bricht die niedergelassene Versorgung zusammen oder es bricht der Ärztemangel im Krankenhaus aus, sodass wir manche Bereiche nicht mehr führen können. Oder es gehen beide Bereiche verloren. Das wäre der schlimmste Fall.

Wenn das Spital verloren ginge und es gäbe nur mehr die niedergelassenen Ärzte, kann man eine Region nicht ausreichend versorgen. Wenn nur mehr das Spital da wäre, reicht es auch nicht aus. Daher plädiere ich dafür, die Kapazitäten zusammenzulegen. Der Vorteil von unseren Gesundheitszentren ist auch, dass nicht nur Ärzte dabei sind, sondern auch nichtärztliche Berufsgruppen wie der Physiotherapeut, die Logopädin, die Diätologin, die Hebamme etc. Wir haben diese Berufsgruppen alle in den Spitälern, wir haben auch die räumlichen Ressourcen.

Der Krankenhausbetrieb läuft in der Intensivphase nicht rund um die Uhr, sondern ab 15, 16 Uhr muss man in den diagnostischen Bereichen zurückschalten. Die Räume und Geräte könnte man dementsprechend nutzen. Das wäre der wesentliche Benefit.

Die Räume und Geräte würden für die Gemeinschaftspraxis der Ärzte zur Verfügung stehen. Sie würden für die anfallenden Kosten anteilig zahlen.

Genau. Wenn sie eine Ordination einrichten, müssten sie auch Miete zahlen oder sie müssten bauen. Sie müssten investieren. Wir würden mehrere Ordinationen für mehrere Fachbereiche einrichten. Bei uns kann die Hebamme, die Wundschwester, der Physiotherapeut genauso eine Ordination betreiben, die Massagen und Diätberatungen könnten genauso betrieben werden. Dann hätten wir eine Sprechstundenhilfe, die alle Termine koordiniert, wir hätten eine Person, die alle Abrechnungen macht.

Wir würden so ein Gesundheitszentrum bei uns komplett einrichten. Wir als Spitalsträger würden sie betreiben. Wir bieten den Ärzten und Physiotherapeuten etc. alle Varianten. Sie können sich daran beteiligen, sie können auch angestellt sein, wenn sie wollen. In Deutschland ist es so.

Im Klinikum Passau gibt es bereits so ein Zentrum.

Es ist das Schmerzhafte für uns, dass es jenseits des Inn so ein medizinisches Versorgungszentrum bereits gibt. Da gibt es solche Ordinationen, das sind echte Kassenstellen. Sie lassen den Großteil der Krankenhausambulanzen von diesen medizinischen Versorgungszentren betreuen. Dieses medizinische Versorgungszentrum (MVZ) gehört dem Klinikum Passau. In Deutschland ist das seit 1. Juli 2004 möglich.

Diese integrativen Versorgungsmodelle sind deswegen die Zukunft, weil wir einen Ärztemangel haben. Die Bevölkerung kann ausreichend versorgt werden. Es gibt unter den Ärzten immer mehr Frauen, die Teilzeitlösungen bevorzugen. Einer Teilzeitärztin die Errichtung einer Ordination zu empfehlen, ist kein guter Rat, denn sie wird einen Großteil ihres Lebens für Rückzahlungen verwenden müssen. Bei unserem Modell muss sie gar nichts investieren, sie muss sich nicht um eine Ordinationsvertretung bemühen. Es ist ein attraktives Lebensphasenmodell. Wir können es schaffen, dass die Ärzte und Fachärzte in den Regionen bleiben. Wir können die Versorgung der Patienten sicherstellen, die Öffnungszeiten sind länger, die Behandlungskette verbessert sich. Die Gynäkologin betreut beispielsweise die Patientin vorher in der Ordination, sie hat sie dann im Krankenhaus und kann sie operieren und sie kann auch die Nachsorge machen. Das ist auch ein wirtschaftlicher Vorteil für alle.

Wann wollen Sie diese Zentren realisieren?

Wir arbeiten ganz konkret daran und wollen sie in den nächsten ein, zwei Jahren umsetzen.

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