Geplantes Arbeitslosengeld für EU-Pendler sorgt für Aufregung

Arbeitslose EU-Bürger sollen künftig selbst entscheiden: Geld aus dem Arbeits- oder Heimatland?
Nach EU-Plänen soll nicht das Wohnsitzland, sondern das Beschäftigungsland ab 2021 zahlen. Österreich ist dagegen.

Jeden Tag pendeln Tausende EU-Bürger zum Arbeiten nach Österreich ein. Allein in Burgenland sind es rund 20.000, genaue Zahlen hat niemand. Verlieren sie ihren Job, erhalten sie Arbeitslosengeld von ihrem Wohnsitzland. Das dürfte bald anders werden – und damit in der österreichische Regierung auf wenig Begeisterung stoßen.

Denn die rund zwei Millionen Grenzgänger in der EU sollen künftig die Möglichkeit haben, selbst zu entscheiden, von welchem Staat sie ihre Arbeitslosenunterstützung beziehen – vom Land, in dem sie arbeiten oder jenem Land, in dem sie wohnen. Dies hat der Beschäftigungs- und Sozialausschuss des Europäischen Parlaments diese Woche mit einer Mehrheit von über 70 Prozent beschlossen.

„Katastrophale Folgen zulasten der arbeitsintensiven Länder“ – wie etwa Deutschland und Österreich – sieht darin der deutsche EVP-Abgeordnete Sven Schulze (CDU). „Ein Arbeitsloser wird sich doch tendenziell für das Land entscheiden, das ihm die höheren Geldleistungen bietet.“ Anders gesagt: Dieser Schritt werde die deutschen und österreichischen Sozialsysteme erheblich mehr belasten.

Lebenshaltungskosten

„Österreichisches Arbeitslosengeld für jemanden, der in der Slowakei oder Slowenien lebt, setzt falsche Anreize“, meint auch der ÖVP-EU-Abgeordnete Heinz Becker gegenüber dem KURIER: „Die Lebenshaltungskosten sind in Europa so unterschiedlich, dass es ungerecht ist, wenn alle das Gleiche gezahlt bekommen.“ In Brüssel hält man diesem Argument – wie schon bei der Familiengeldindexierung – allerdings entgegen: Arbeitnehmer führen Steuern und Sozialabgaben in dem Land ab, in dem sie arbeiten. Folglich hätten sie auch dort das Recht auf Arbeitslosenversicherung.

Schon im Juni hatte der Rat der EU-Sozialminister den Vorschlag der Kommission mit großer Mehrheit unterstützt. Österreich stimmte mit sieben weiteren Ländern dagegen. Man befürchtet eine enorme zusätzliche Belastung für das heimische Arbeitslosensystem: Nach Berechnungen des Sozialministeriums aus dem Jahr 2016 würden 13.500 arbeitslose Grenzgänger zusätzlich in der Arbeitslosenstatistik aufscheinen. Dies könnte jährliche Kosten von bis zu 230 Millionen Euro verursachen.

Kostenersatz schon jetzt

Andere Experten halten diese Zahlen für viel zu hoch. Denn andererseits hätten dann auch österreichische Grenzgänger die Wahl, ihre Arbeitslosenhilfe in Deutschland oder der Schweiz zu beantragen. Besonders in der Schweiz sind die Leistungen höher. Sie betragen 70 bis 80 Prozent des Lohns. Schon nach derzeitiger EU-Regelung ersetzt das Beschäftigungsland dem Wohnsitzland je nach Beschäftigungsdauer einen Teil der Kosten (siehe unten). Österreich war nach dieser Grenzgänger-Bilanz im Vorjahr sogar Netto-Empfänger.

Schwierige Kostenberechnung

Im Sozialministerium vermag man auf KURIER-Anfrage die Mehrkosten noch nicht zu beziffern. Dazu müsse erst ein Rechenmodell entwickelt werden, dass die Zahl der Grenzgänger, deren Betroffenheit von Arbeitslosigkeit und die durchschnittliche Dauer und Leistungshöhe miteinbeziehe, heißt es. „Die Entwicklung eines solchen Modells erfordert jedenfalls einige Zeit.“ Daten über Grenzgänger in Österreich, die bei Arbeitslosigkeit im Ausland registriert werden, „sind nicht verfügbar“.

Die geplanten Änderungen hätten  auch Auswirkungen auf die Jobvermittlung durch das AMS.  Völlig offen ist  etwa, ob die EU-Pendler   auch  Schulungen besuchen oder zumutbare Jobs annehmen müssen.

„Den Feinschliff“ bei der künftigen Regelung vermisst die SPÖ-Delegationsleiterin im EU-Parlament, Evelyn Regner: „Wenn die Behörden des Wohnsitzstaates nicht mehr für die Sozialleistungen aufkommen, erschwert das die Vermittlung für die Arbeitssuchenden. Eine solche Regelung würde das österreichische AMS sehr viel Geld kosten, da wir etwa im Burgenland viele ungarische Grenzgänger haben. Die Behörde, die zahlt, soll auch für die Betreuung von Arbeitslosen zuständig sein.“ Die grüne EU-Abgeordnete Monika Vana sieht wiederum „in der Wahlfreiheit für den arbeitslosen Grenzgänger eine sehr gute Lösung“.

Die Befürworter

Größte Befürworter der neuen Regelung sind Frankreich, Polen und Ungarn. Luxemburg wehrt sich hingegen heftig: 45 Prozent der Arbeitnehmer im Großherzogtum sind Grenzgänger. Auch die Schweiz , die 320.000 Pendler zählt, darunter viele Vorarlberger, ist strikt dagegen.

Die geplante Neuregelung sieht einen Anspruch auf Arbeitslosengeld bereits nach drei Monaten Beschäftigung vor. In welcher Höhe ist völlig offen. Bis die Vorlage wirksam wird, kann es noch bis 2021 dauern: Das Parlament muss nun einen Kompromiss mit den EU-Regierungen finden.

-------------------------------------

Die derzeitige Grenzgängerregelung

Grenzgänger
Grenzgänger sind Personen, die in Österreich arbeiten und im EU-Ausland ihren Hauptwohnsitz und Lebensmittelpunkt haben, sprich: täglich oder mindestens einmal in der Woche nach Hause fahren.    Werden sie arbeitslos, gilt das Wohnsitzprinzip.  

Aktuelle Regelung
Laut EU-Verordnung werden dem anderen EU-Staat für die Grenzgänger, die arbeitslos werden, im Regelfall drei Monate    (Ausnahme bis zu 5) Arbeitslosengeld bezahlt.

Grenzgängerbilanz 2017
Laut AMS wurden 2017 insgesamt 17 Mio. Euro an 4141 arbeitslose EU-Ausländer, die zuvor mind. 3 Monate in Österreich  gearbeitet haben, ausbezahlt. Demgegenüber standen 22,5 Mio. Euro, die andere Länder für 2406 arbeitslose Österreicher, die zuvor in ihrem Land (Schweiz, Deutschland) arbeiteten,  überwiesen. 

Kommentare