Geldflut gegen den Flächenbrand
Europa brennt", so der warnende Kommentar eines deutschen Ökonomen am Mittwoch. Nur wenige Stunden darauf rückte die Feuerwehr an. In einer überraschenden und koordinierten Aktion fluteten die großen Notenbank der Welt die globalen Finanzmärkte mit Geld. An der Aktion beteiligt sind die Europäische Zentralbank (EZB) sowie die Zentralbanken der USA, von Kanada, Japan, Großbritannien und der Schweiz.
Die Schuldenkrise in der Eurozone hat zu ähnlichen "Verspannungen" geführt, die es schon nach dem Kollaps der US-Investmentbank Lehman Brothers gegeben hat: Die Banken misstrauen einander derart, dass sie einander kurzfristig nur sehr widerwillig Geld leihen. Mit ihrer konzertierten Aktion wollen die Zentralbanken gegensteuern. Banken sollen sich dadurch leichter mit Geld versorgen können.
An den Aktienbörsen wurde das gemeinsame Vorgehen der Notenbanker als Befreiungsschlag bejubelt. Innerhalb weniger Minuten schossen die Leitindices in Europa nach oben. Der Frankfurter DAX schloss mit einem Plus von fünf Prozent, in Wien legte das Kursniveau 3,8 Prozent zu.
Liquidität
Dass der Markt, auf dem Geld gehandelt wird, nicht austrocknet, ist immens wichtig. Denn nur "flüssig" können Banken Kredite vergeben und die Realwirtschaft in Gang halten. Allerdings: Die Schuldenkrise ist damit nicht vom Tisch. Um diese in den Griff zu bekommen, sind viel größere Lösungen nötig.
Weil die Politik bisher viel zu zögerlich reagiert hat, musste die EZB in die Bresche springen. Seit Mai des Vorjahres kauft sie Staatsanleihen schwer verschuldeter Euroländer auf. Bis Ende der Vorwoche hat sie 203,5 Milliarden Euro dafür investiert. Die Zentralbank, die eigentlich ausschließlich für die Stabilität des Euro-Geldwertes da ist und zur Hauptaufgabe hat, die Inflation in der Währungsunion im Zaum zu halten, hat dadurch in die Anleihenmärkte eingegriffen - was ihr als Tabubruch angekreidet wurde. Mittlerweile mehren sich allerdings die Stimmen, die von der EZB ein noch viel größeres Aufkaufprogramm fordern. Die Hoffnung dahinter: Steckt die Zentralbank noch viel mehr Geld in den Kauf von Staatsanleihen, stützt sie deren Kursentwicklung. Das wiederum bedeutet, dass die Renditen nicht noch weiter nach oben schießen.
Mehr als 200 Milliarden für Anleihenkäufe klingt viel, ist es im Vergleich aber - noch - nicht. Die US-Notenbank Fed hat mittlerweile annähernd 2000 Milliarden Euro in den Kauf von US-Anleihen gesteckt. Das entspricht etwa 18 Prozent der US-Wirtschaftsleistung. Die britische Notenbank hat für "ihr" Land in einer ähnlichen Größenordnung (zum BIP) eingekauft. Die EZB liegt derzeit bei nicht einmal drei Prozent der Euro-Wirtschaftsleistung. Um gleichzuziehen, könnte sie also noch viel tiefer in die Tasche greifen. Und könnte das auch sehr rasch tun.
Diese Vorgehensweise hat allerdings absolute Gegner. Für Wolfgang Franz etwa, den Chef der Berater der deutschen Regierung (Wirtschaftsweise genannt), zählen diese Aufkäufe "zu den Todsünden einer Notenbank". Die EZB setze damit ihre Unabhängigkeit aufs Spiel und riskiere dadurch eine viel höhere Inflation.
Der kritisierte Mechanismus dahinter: Nimmt die EZB den Banken allzu viele Staatsanleihen ab, können diese über viel mehr Liquidität verfügen und - bildlich gesprochen - mir Krediten nur so um sich werfen. Viel Geld im Kreislauf schürt die Nachfrage und kann für steigende Preise sorgen.
Peter Brezinschek, Chefanalyst der Raiffeisen Bank International, sieht diese Gefahr in absehbarer Zeit allerdings nicht. Denn Banken werden durch neue Vorgaben dazu gezwungen, mehr Eigenkapital zu schaffen. Das verhindert, dass die Geldinstitute bei der Kreditvergabe (für die Eigenkapital zurückgelegt werden muss) aufs Gas steigen.
Karl Aiginger, Chef des Wirtschaftsforschungsinstituts, ist Befürworter weiterer Anleihenkäufe durch die EZB. Lieber wäre es ihm allerdings, wenn ein Europäischer Währungsfonds geschaffen wird, der die Anleihenkäufe übernimmt. Damit könnte sich die EZB auf die Geldpolitik konzentrieren.
Der Krisen-Countdown
So deutlich hat es noch kein EU-Politiker gesagt: "Wir sind an einem Punkt angelangt, wo eine ernsthafte Wahl getroffen und Verpflichtungen eingegangen werden müssen. Wir müssen die Eurozone tiefer integrieren oder schrittweise auflösen", sagte Wirtschafts- und Währungskommissar Olli Rehn. Mit eindringlicheren Worten kann man nicht mehr vor einem Zerfall der Eurozone und damit auch des europäischen Projektes warnen.
In den vergangenen Wochen hat sich die Schuldenkrise derart zugespitzt, dass es jetzt ums Ganze geht. "Wir kommen nun in die kritische Phase von zehn Tagen, um die Krisenantwort der EU zu beschließen", fuhr Rehn weiter fort.
Die nächsten Tage werden darüber entscheiden.
1. und 2. Dezember Frankreichs Präsident Sarkozy wird am Donnerstag, die deutsche Kanzlerin Merkel am Freitag Pläne für neuen EU-Vertrag vorlegen. Bundeskanzler Faymann fliegt zu Merkel nach Berlin.
5. Dezember Krisensitzung der EU-Außenminister. In Italien startet der neue Premier mit den Verhandlungen über ein Sparpaket.
7. Dezember Der irische Premier Enda Kenny muss seinen Haushalt 2012 durch das Parlament boxen.
8. Dezember Die EZB wird den Euro-Leitzins von 1,25 auf voraussichtlich 1,00 Prozent senken.
8. und 9. Dezember Auf dem EU-Gipfel wird ein Paket gegen die Schuldenkrise geschnürt und eine EU-Vertragsreform beschlossen.
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