Frischmuth: "Zu viele Bücher werden verramscht"

Frischmuth: "Zu viele Bücher werden verramscht"
Die österreichische Schriftstellerin über die Vereinbarkeit von Kind und Beruf, die Türkei und die Liebe zum Garteln.

KURIER: Ihr neuer Roman trägt den Titel "Woher wir kommen". Welchen Einfluss hat unsere Herkunft?

Barbara Frischmuth: Einen sehr großen. Nur Mathematik- und sonstige Genies können gegen den Strom schwimmen. Förderung ist sehr wichtig, es gibt allerdings auch ein Zu-Tode-Fördern. Bei Kindern und jungen Menschen ist es besser, viel anzubieten und zu erkennen, wo die Stärken liegen.

Haben Sie diese Stärken bei Ihrem Sohn (Florian Anastasius Grün ist Künstler, Anm. d. Red.) früh erkannt?

Ich war mit meinen Sohn in vielen Museen, auch in Amerika, weil mir von Anfang an klar war, dass er eine bildnerische Begabung hat. Heute ist er hauptberuflich Tätowierer, was auch mit Kunst zu tun hat, und experimentiert mit Bilder und Skulpturen.

Ihr Roman greift das aktuelle Thema Vereinbarkeit von Familie und Beruf auf.

Es wird den Frauen nicht leicht gemacht. Auch den Männern nicht, aber es sind sehr wenige in dieser Situation. Gerade in einer Gesellschaft, die so gar nicht "Kinder-affin" ist, müsste man mehr Betreuungseinrichtungen schaffen. Das ist bis heute ein ungelöstes Problem. Man kann keine promiskuitive Gesellschaft statuieren, ohne sich ihren Folgen zu stellen. Diese sind, dass Kinder in Patchworkfamilien aufwachsen und Frauen Kinder oft alleine aufziehen und einem Beruf nachgehen müssen, um nicht in die Armutsfalle zu tappen.

Sie haben in einem Interview gesagt: Wie immer in Krisenzeiten werden die Frauen zurück an den Herd geschickt...

Vieles, das schon erreicht war, gibt nach. Ich würde mir von den jüngeren Frauen diesbezüglich mehr Aktivität wünschen. Sie lassen sich Dinge gefallen, die meine Generation nicht willens war, sich gefallen zu lassen. Die jungen Frauen sind in der "besten aller Welten" groß geworden, man hat ihnen nur wenig an Verzicht zugemutet, sondern sie auf eine Welt des Konsums vorbereitet, die kaum noch hinterfragt wurde.

Mussten Sie einmal auf etwas verzichten?

Oh ja! Meine Mutter war öfter knapp vor dem Ruin, sie war wohl keine gute Geschäftsfrau. Es gab Zeiten, wo der Wintermantel ein echten Problem war. Aber dass ich studiere, war ihr wichtig. Ich habe in der Klosterschule nach vier Jahren mein Zeugnis nicht bekommen, weil ich die Einzige war, für die das Internatsgeld noch nicht bezahlt war. Ich hatte einen Vorzug und durfte das Zeugnis nur anschauen. Das war schmerzlich, aber es hat mich wacher gemacht. Später, zu Zeiten des Forums Stadtpark, haben wir junge AutorInnen begonnen, Bücher gegenseitig auszuleihen, weil wir uns selbst die wichtigen alle nicht leisten konnten.

... Buchmarkt

Wie geht es dem Buchmarkt heute?

Es wird viel zu viel auf den Markt geworfen. Wenn ein Buch nicht sofort finanziell einen gewissen Erfolg zeigt, wird es binnen eines Jahres verramscht. Ein Beispiel: Früher sind Taschenbücher frühestens nach zwei Jahren herausgekommen, heute oft nach nicht einmal einem Jahr. Die Hardcover-Ausgaben gehen dann nicht mehr und werden verramscht oder geschreddert, weil angeblich der Lagerplatz so teuer ist. Das ist eine Verschwendung von Ressourcen, dafür sterben Bäume. Um eine Buchkultur aufrechterhalten zu können, braucht es Platz für Long-, nicht nur für Bestseller.

Schaden die neuen Medien dem Buchmarkt?

Wahrscheinlich auch. Ich selbst bin nicht abgeneigt, eBooks zu lesen, zumal die Büchersammlungen von Literaturliebhabern aus allen Wänden platzen. Man muss sich von Büchern trennen, um auch noch wohnen zu können. Für Bücher, in die ich nur hineinlesen möchte und die ich nicht besitzen will, überlege ich mir jetzt ein iPad anzuschaffen. Bücher, die ich wirklich mag, möchte ich aber schon in Papier haben.

Wie haben Sie Ihre Schriftstellerkarriere wirtschaftlich gemeistert?

Ich hatte einen Blitzstart mit der Klosterschule und dann kam die Zeit der Hörspiele. Damals habe ich auch viel übersetzt, da war ich mit meinen ausgefallenen Sprachen Türkisch und Ungarisch gut dran. Ich war eine Zeit lang alleinerziehende Mutter, da musste ich schon Geld verdienen.

.. Türkei

Sie haben Türkisch studiert und bauen Schauplätze in der Türkei immer wieder in Ihre Bücher ein.

Die Romanliteratur soll auch die Gesellschaft, in der sie entsteht, widerspiegeln. Der Anteil der Zuwanderer an der Bevölkerung in Österreicher wird da kaum berücksichtigt. Ich versuche das zumindest. Es ist mir ein Anliegen, Erfahrungen dieser Art zu vermitteln. Man erfährt doch auch gerne etwas durch einen Roman. Und wenn nur ein Leser googelt, wie das mit Özal war oder wie die PKK entstanden ist, dann ist das schon etwas.

47 Prozent der Österreicher lehnen den Beitritt der Türkei zur EU ab, vor einigen Jahren waren es noch deutlich mehr als 50 Prozent. Was hat sich geändert?

Es hat sich herumgesprochen, dass die Türkei wirtschaftlich ganz gut dasteht. Die Türken haben nicht nur Geld sondern auch große Fortschritte gemacht. Die These, der Beitritt der Türkei kostet viel zu viel Geld, gilt heute nicht mehr. Aber wahrscheinlich ist der Zug schon abgefahren. Warum solle man der Underdog in der EU sein, wenn man Hegemonialmacht in Eurasien sein können. Die Türkei ist derzeit eines der interessantesten Länder. Das osmanische Reich war nie Kolonie, sondern ein Imperium und ein Vielvölkerstaat wie die k.u.k. Monarchie auch. Ich würde mir wie in den 80er - Jahren bei Österreich-Ungarn gemischtsprachige Historikerkommissionen wünschen, die einmal die Ähnlichkeiten erforscht, nicht nur die Unvereinbarkeiten.

Sie haben die große Zahl der Zuwanderer nach Österreicher angesprochen...

Einerseits delegiert man das Kinderkriegen an die Zuwanderer, andererseits ist man idiotisch genug, mit österreichischem Steuergeld ausgebildete Immigranten nach zehn Jahren zurückzuschicken, weil man ihr Asylverfahren so lange verschlampt hat. Auch bestens ausgebildete Asylwerber lässt man nicht arbeiten. Das ist eine Verschwendung von Ressourcen, da stellt es einem die Haare auf.

... Garten

Sie haben drei literarische Gartenbücher geschrieben. Wie sind Sie dem zum Gärtnern gekommen?

Zum Hotel meiner Mutter in Aussee gehört ein Garten samt Gärtner, der mir ein eigenes Beet angelegt hat. Später habe ich mit meinem Mann auf einem Pferdegestüt im Marchfeld gelebt, er war Trabrennfahrer und Trainer. Dort waren über 40 Pferde, aber keine Zeit für einen Garten. Später in den Wohnungen habe ich immer kleine Dschungel angelegt. Dann kam das Haus in Altaussee mit ein paar Hundert Quadratmeter Wiese, die ich nach und nach bepflanzt habe. Ich wurde immer kühner, und mittlerweile gibt es einen kleinen Teich mit einem Wasserzulauf, ein Klostergärtchen und Beete mit verschiedener Erde. Für die viele Gartenarbeit bin ich aber auch belohnt worden. Meine Osteoporosewerte waren sehr schlecht, jetzt sind sie meinem Alter angemessen.

In Zeiten der Krise entdecken viele Menschen den Garten. Woher kommt diese Sehnsucht?

Langsam besinnt man sich wieder seiner fünf Sinne. Ich sage oft zu jungen Leuten, die Natur hat Jahrmillionen gebraucht, um uns mit diesen Sinnesorganen auszustatten, delegiert nicht alles an die Technik. Ich bin nicht gegen Computer, aber wenn man alles zu delegieren versucht, vergibt man sich auch viele Chancen, die Sinnesorgane vermitteln nämlich Erfahrungen. Ich kann mir vorstellen, dass man in einer Gesellschaft, in der fast alles delegierbar ist, wieder etwas mit den eigenen Händen machen will und dabei nur körperlich ermüdet. Auch im Garten strengt man sich an, aber es ist eine erholsame Anstrengung. Auch Wandern und Radfahren gibt den Menschen viel zurück. Hinzu kommt, dass der Garten eine seit Jahrtausenden bewährte Form ist, die eine eigene Ästhetik entwickelt hat.

Zur Person: Autorin Barbara Frischmuth

Biografie Geboren 1941 in Altaussee absolvierte Frischmuth ein Dolmetschstudium für Türkisch und Ungarisch in Graz, in der Türkei und in Ungarn. Abschließend studierte sie Orientalistik in Wien. 1966 begann sie ihre hauptberufliche Tätigkeit als Schriftstellerin und Übersetzerin. Sie wurde Gründungsmitglied der Grazer Autorenversammlung. Heute arbeitet Barbara Frischmuth als Autorin in Altaussee, sie hat zahlreiche Auszeichnungen bekommen.

Werke Frischmuth hat mehr als 50 Bücher geschrieben: Romane (Die Klosterschule, Über die Verhältnisse, Einander Kind, etc.), Hörspiele, Theaterstücke, Kinderbücher (Ida und Ob) und Gartenbücher (Löwenmaul und Irisschwert) geschrieben. Vor Kurzem erschien ihr jüngster Roman "Woher wir kommen".

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