Freud und Leid mit der Mini-Inflation

Freud und Leid mit der Mini-Inflation
Die Preise steigen kaum noch. Die EZB muss gegen die befürchtete Deflation ankämpfen.

Für Konsumenten ist das eine äußerst erfreuliche Nachricht: Die Inflationsrate in der Eurozone ist im Mai weiter gefallen – von 0,7 auf 0,5 Prozent. Dienstleistungen waren zwar um 1,1 Prozent teurer als vor einem Jahr. Lebensmittelpreise stiegen aber kaum noch und bei Energiekosten gab es im Jahresabstand gar keine Bewegung.

Notenbanker sind angesichts dieser Entwicklung alles andere als erfreut. Sie fürchten, dass die Eurozone in eine Deflation abrutscht. Das ist dann der Fall, wenn die Preise fallen und Privathaushalte und Unternehmen Investitionen aufschieben, weil sie auf noch tiefere Preise hoffen. Das lähmt aber die Wirtschaft, die Zahl der Unternehmenspleiten und Arbeitslosen steigt.

Nach der Ratssitzung der Europäischen Zentralbank Anfang Mai hatte EZB-Boss Mario Draghi bereits Maßnahmen für Juni angekündigt. Seither ist der Druck auf die EZB weiter gestiegen. Bei der nächsten Ratssitzung am Donnerstag dieser Woche müssen die Notenbanker aktiv werden, wollen sie das Deflationsgespenst verjagen. Eine Senkung des Leitzinssatzes von derzeit 0,25 auf vielleicht 0,15 oder 0,1 Prozent allein werde nicht reichen, meinte auch Notenbank-Gouverneur Ewald Nowotny bei einer Diskussion. Unter Ökonomen gilt es beinahe als ausgemachte Sache, dass die EZB am Donnerstag Neuland betreten wird – mit der Einführung eines Negativ-Zinssatzes. Banken sollen künftig dafür zahlen müssen, wenn sie Geld bei der EZB zwischenparken. Angesichts dieser Bestrafung für Einlagen könnten Banken Kapital doch lieber anders verwenden, etwa in Form von Kreditvergabe, so die Hoffnung.

Vielleicht noch nicht am Donnerstag, aber doch im Sommer sollen weitere EZB-Maßnahmen folgen, wird erwartet. So könnte Draghi ein langlaufendes Kreditprogramm auflegen. Banken könnten demnach günstiges EZB-Geld bekommen, wenn sie mehr Kredite vergeben.

Und glauben Sie mir, es wird reichen.“ Mit diesem Satz schaffte es Mario Draghi, Boss der Europäischen Zentralbank (EZB), im Juli 2012 die Finanzmärkte zu beruhigen. Davor waren in der Staatsschuldenkrise die Wogen hochgegangen. Aus Angst davor, die Eurozone könnte auseinanderbrechen und die nächste heftige Wirtschaftskrise auslösen, warfen Groß- und Kleinanleger ihre Wertpapiere auf den Markt. Die Ansage Draghis glättete die Wogen. Sie sagte nichts anderes als: Die EZB werde alles tun, um den Euro zu erhalten – also etwa unendliche Summen in den Aufkauf von Staatsanleihen stecken.

Tatsächlich kaufen musste die EZB gar nichts, Draghis Worte allein reichten. Vor kurzem, nach der EZB-Sitzung im Mai, ließ Draghi erneut aufhorchen. „Der EZB-Rat fühlt sich wohl damit, beim nächsten Mal zu handeln“, sagte der Italiener. Damit kündigte Draghi praktisch an, dass die EZB bei ihrer nächsten Sitzung am 5. Juni in ihren Werkzeugkasten greifen wird. Experten rechnen damit, dass der Leitzins für die Eurozone von derzeit 0,25 Prozent auf 0,15 oder 0,10 Prozent gesenkt wird – womit sich Geschäftsbanken künftig günstiger Geld von der EZB borgen können. Es wird aber auch damit gerechnet, dass die EZB für Einlagen einen Negativzins einführen wird. Derzeit bekommen Banken für Geld, das sie bei der EZB parken, keine Zinsen. Künftig sollen sie einen Strafzins zahlen.

Freud und Leid mit der Mini-Inflation
Warum Draghi zu diesen Werkzeugen greifen wird? Vor allem geht es der EZB darum, eine mögliche Deflation abzuwenden. Mit 0,7 Prozent war dieInflationsrate in der Eurozone sehr tief und weit von jenen knapp zwei Prozent entfernt, die die EZB als Geldwertstabilität ansteuert. Geht die Inflation noch weiter zurück oder gehen die Preise gar zurück, droht eine Abwärtsspirale: Haushalte und Unternehmen verschieben größere Anschaffungen, weil sie auf weiter sinkende Preise warten. Das lähmt die Wirtschaft und stürzt sie schlimmstenfalls sogar in eine Rezession. Löhne müssten gekürzt werden, die Arbeitslosigkeit würde steigen – die Spirale nach unten wäre nur schwer zu stoppen.

Tiefe Zinsen sollen zum einen die Bereitschaft schüren, kreditfinanzierte Investitionen zu tätigen – was die Konjunktur (und die Inflation) ankurbeln kann. Winzige Euro-Zinsen sollen zudem helfen, den Kurs der Gemeinschaftswährung nach unten zu drücken. Aus Sicht der EZB hat ein hoher Euro-Kurs nämlich einen eklatanten Nachteil: In US-Dollar gehandelte Rohstoffe werden – in Euro umgerechnet – billiger. Und das drückt die Inflationsrate zusätzlich nach unten.

Was erhofft sich Draghi von einem negativen Zinssatz? Banken könnten es bald leid sein, etwas dafür zu zahlen, wenn sie Geld bei der EZB zwischenlagern – quasi eine Safegebühr zahlen. Die Institute könnten daher vermehrt dazu übergehen, liquide Mittel in Form von Krediten zu vergeben. Beispiele aus anderen Ländern haben allerdings gezeigt, dass dieser Automatismus nicht zwingend funktioniert. Draghi hätte daher noch ein weiteres Werkzeug zur Verfügung: Er könnte Banken wirklich günstiges Geld für längere Zeit leihen (was er in der Vergangenheit schon zwei Mal getan hat). Diesmal könnte er allerdings die Auflage daran knüpfen, dass diese billigen Mittel wirklich in Form von Krediten den Weg in die Unternehmen und Haushalte finden.

Die Erwartungen, die Draghi geschürt hat, sind derart hoch, dass er jetzt tatsächlich handeln muss. Verschiebt er die Entscheidung erneut, wird es an den Börsen abwärts und mit dem Euro-Kurs nach oben gehen, malen Finanzexperten schwarz.

Kommentare