Fischler: "Chancen für TTIP sind fünfzig zu fünfzig"

Franz Fischler war von 1995 bis 2004 EU-Kommissar für die Landwirtschaft und ist heute unter anderem Präsident des Forums Alpbach.
Der Ex-EU-Kommissar ist für den Pakt, aber "nicht bedingungslos" – den großen Wurf erwartet er nicht.

Nur mit "50 zu 50" bewertet Franz Fischler, langjähriger EU-Agrarkommissar, die Chancen für das Freihandelsabkommen zwischen der EU und den USA (TTIP). Allerdings wolle keine Seite die Schuldige sein, wenn die Verhandlungen noch scheitern. Es werde deshalb "sehr wahrscheinlich" ein Abkommen geben, dass Tausende Seiten umfasst, aber "nicht wahnsinnig substanziell" ist. Vielfach werde man sich wohl mit Absichtserklärungen behelfen müssen.

Fischler ortet nämlich eine Vielzahl von Hürden. Am einfachsten sei noch der Abbau der (wenigen) Zölle zu erreichen, die es zwischen den USA und der EU noch gibt. Hingegen seien riesige Kapitel wie die Urheber- und Patentrechte unerledigt.

Als besonders heikel wertet der erfahrene Verhandler die Standards: Das habe sich schon beim 2006 unterzeichneten Weinabkommen der EU mit den USA gezeigt. "Jeder will seine Standards beibehalten. Aber was ist, wenn neue eingeführt werden?"

Fischler bezeichnet sich als Befürworter des Abkommens, aber mit Vorbehalten. "Wenn die Bedingungen passen, wäre das für Europa der derzeit größte vorstellbare Wachstumsschub." Seine rote Linie lautet: "Die europäischen Standards müssen bleiben." Absolutes Minimum seien klare Kennzeichnungsvorschriften, damit der Konsument die Wahl hat.

Illusion Schiedsgericht

Die intensive öffentliche Debatte über die Schiedsgerichte, vor denen Konzerne Staaten klagen können, hält Fischler hingegen für irreführend: "Es wird die Illusion erzeugt, als gebe es die Schiedsgerichte nicht, wenn sie im Abkommen nicht vorkommen. Das ist völlig falsch: Es gibt sie im amerikanischen Recht, aber die Europäer wollen darüber verhandeln, um bessere Regeln zu erhalten." Es wäre also für EU-Unternehmen von Vorteil, wenn durch TTIP eine fairere Behandlung und mehr Transparenz durchgesetzt werden könne. Der Weg zu normalen Gerichten dürfe nicht versperrt werden.

Österreichs Bauern

Das größte EU-Interesse sieht Fischler an einer Öffnung des US-Dienstleistungssektors, wovon vor allem Banken, Versicherungen oder auch Fluglinien profitieren würden. Dort versuchten die Amerikaner riesige Hürden aufzubauen. Bei der Informationstechnologie könnte die Dominanz der US-Konzerne sogar noch wachsen.

Österreichs Bauern dürfen sich in einigen Nischen Chancen ausrechnen, erwartet der Präsident des Forums Alpbach: "Wirklich wettbewerbsfähig sind wir bei Wein, dort steigt das Interesse in den USA." Absatzchancen sieht er beim gehobenen US-Mittelstand etwa für die Zuckerwarenindustrie, für Marmeladen oder Pasteten – also bei hochveredelten Produkten, wo der Rohstoffpreis wenig ins Gewicht fällt. "Unsere Schwäche ist, dass wir keine international starken Lebensmittelmarken haben – abseits von Red Bull."

Einfach ausklammern könne man große Kapitel wie den Agrarhandel übrigens nicht, sagt Fischler. Das sei nach den Regeln der Welthandelsorganisation (WTO) verboten: "Darüber wachen Schwellenländer wie China oder Brasilien mit Argusaugen." Ein einseitiges Mini-Abkommen könnte zudem weder im EU-Parlament noch im US-Kongress bestehen. Ob die Parlamente aller 28 EU-Länder zustimmen müssen, hält Fischler für eine politische Entscheidung. Bei früheren Abkommen sei das nicht der Fall gewesen. "Aber sollte es dazu kommen, geht das mit Sicherheit in irgendeinem Land schief."

Zu viel Emotion

Dass Österreich europaweit die meisten TTIP-Gegner aufweist (siehe Grafik) liege an der besonders emotionalen Debatte. "Auch in der Regierung hat man längst die sachliche Ebene verlassen. Ich kann den Herrschaften nur raten, zu dieser zurückzukehren."

Fischler: "Chancen für TTIP sind fünfzig zu fünfzig"

Zankapfel TTIP - Handelspakt Europa/Amerika

Seit Juli 2013 verhandelt die EU über die Transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft (englisch: TTIP). Anfang Februar wurde die achte Runde beendet – EU-Handelskommissarin Cecilia Malmström will Anfang 2016, noch vor den US-Wahlen, fertig sein. Wesentliche Punkte sind die Zulassung zu öffentlichen Ausschreibungen, Bürokratieabbau und einheitliche Normen. Kritiker fürchten laxere Umweltstandards, weniger Lebensmittelsicherheit und dass Konzerne zu viel Einfluss über Staaten erhalten könnten.

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