Frankreichs Reiche wollen flüchten

Frankreichs Reiche wollen flüchten
"Unser Land mag uns nicht" - Die Steuerpläne von Präsident Hollande treiben viele Spitzenverdiener in den Exodus.

London, Zürich oder Brüssel? Für französische Spitzenverdiener und Superreiche stellt sich in diesen Tagen mehr als je zuvor die Frage nach einem Umzug ins Ausland. Die neue linke Regierung unter Präsident François Hollande hat in den vergangenen Wochen unmissverständlich klar gemacht, dass sie ihre Ankündigungen aus dem Wahlkampf ohne Abstriche umsetzen will. Das bedeutet: Wer viel Geld hat, soll viel mehr als früher zur Sanierung des maroden Staatshaushalts beitragen. Unter anderem soll der Spitzensteuersatz für Einkommensmillionäre auf 75 Prozent angehoben werden.

Für etliche wohlhabende Franzosen scheint damit die Schmerzgrenze erreicht. International tätige Vermögensberater berichten von einem wahren Ansturm von französischen Klienten, die mit Auswanderungsgedanken spielen. Selbstständige Unternehmer sind ebenso darunter wie Investmentbanker, reiche Erben oder Ärzte im Ruhestand. "Sie fühlen sich verfolgt. Sie sagen: Unser Land mag uns nicht", kommentiert der Pariser Finanzrechtsexperte Jérôme Barré im "Figaro Magazine". Sobald jemand in Frankreich ein bisschen Geld habe, werde mit dem Finger auf ihn gezeigt. Angesichts der Stimmung im Land empfiehlt er mittlerweile sogar den Verzicht auf Luxusautos.

Luxusimmobilien verscherbelt

Wie viele Franzosen ihr Vermögen bereits ins Ausland geschafft haben, ist unklar. "Darüber haben wir keine Informationen", heißt es aus dem Finanzministerium. Niemand sei verpflichtet zu sagen, warum er seinen Wohnsitz verlagere. Vielsagend sind neben den Hinweisen der Vermögensberater allerdings die Zahlen von Immobilienmaklern. Allein über Sotheby's International Realty haben Kunden in Frankreich zwischen April und Juni mehr als 100 Luxusimmobilien im Gesamtwert von mehr als 170 Millionen Euro verkauft. Die Ankündigungen der neuen Regierung hätten "eine nicht unerhebliche Zahl von vermögenden französischen Familien" dazu veranlasst, das Land zu verlassen, erklärt das Unternehmen freimütig.

Die Eile der französischen Superreichen ist berechtigt. Der symbolträchtige Spitzensteuersatz von 75 Prozent wird zwar erst nächstes Jahr kommen, wenn er nicht wegen seines möglichen Enteignungscharakters als verfassungswidrig erklärt wird. Andere Zusatzbelastungen sind allerdings bereits in der Umsetzungsphase. Als eine der ersten Maßnahmen zur Sanierung des Staatshaushalts beschloss das Regierungsteam unter Hollande eine Sonderabgabe zur Vermögenssteuer ISF. Allein sie soll bis Jahresende zusätzlich 2,3 Milliarden Euro in die öffentlichen Kassen bringen. Auf Wirtschaftsseite stehen vor allem Großunternehmen und Banken im Visier der Sozialisten. Im Wahlkampf hatte Hollande die Finanzmärkte offen als seinen Gegner bezeichnet.

er Frust ist dementsprechend groß: In einer Umfrage der Website eFinancialCareers.fr gab nach der Wahl mehr als jeder dritte Finanzprofi an, wegen des Machtwechsels den Gang ins Ausland zu planen. Beliebteste Auswanderungsziele sind demnach die Schweiz, Großbritannien, Luxemburg. Danach folgen Hongkong sowie Deutschland und Singapur. Überraschenderweise werden die niedrigeren Steuern allerdings nur von neun Prozent der Befragten als Hauptgrund für die "Fluchtpläne" genannt. Wichtiger ist demnach das mangelnde Vertrauen in den Standort Frankreich und die neue Regierung.

Aufgeheizte Stimmnug

Ähnlich argumentieren mittelständische Unternehmer. Nahezu jeder, der über seine Auswanderungspläne berichtet, betont grundsätzlich nichts gegen eine gewisse Mehrbelastung zu haben. Untragbar seien aber die vermögensfeindliche Stimmung und die Unfähigkeit der Regierenden, die Staatsausgaben herunterzufahren. "Früher gingen Steuerflüchtlinge schweren Herzens. Heute passiert das fast ohne Reue", kommentiert die Juristin Corinne Dadi von der Anwaltskanzlei Stehlin & Associés.

Im Ausland reibt man sich unterdessen die Hände. "Wenn Frankreich den Spitzensteuersatz von 75 Prozent einführt, werden wir den roten Teppich ausrollen und mehr französische Unternehmen willkommen heißen, die in Großbritannien Steuern zahlen", witzelte jüngst Premierminister David Cameron. Die könnten dann das Gesundheitssystem, die Schulen und alles andere finanzieren. Bei den neuen Machthabern in Paris kam das gar nicht gut an. "Ich weiß nicht, wie man einen roten Teppich über den Ärmelkanal ausrollt. Er könnte nass werden", erwiderte Frankreichs Arbeitsminister Michel Sapin.

"Da gewinnt niemand etwas"

Experten geben sich eher nüchtern und verweisen darauf, dass der französischen Regierung schnell der Humor vergehen könnte. "Auch wenn man es bedauern kann: Die reichsten Privatleute und Unternehmen sind diejenigen, die am mobilsten sind", kommentiert der bekannte Ökonom und frühere Mitterrand-Berater Jacques Attali. Wenn die Politik sie über Gebühr für die Entschuldung des Landes zahlen lasse, seien sie diejenigen, die am ehesten in der Lage seien zu verschwinden. "Man wird also ihren Anteil am Steueraufkommen verlieren und die Mitarbeiter, die sie dirigieren", meint Attali. "Da gewinnt niemand etwas."

Kommentare