Experte räumt mit Pensionsmythen auf

Ein "Mythos" ist auch, dass es genüge, das faktische an das gesetzliche Pensionsalter anzupassen.
Forum Alpbach: Ernüchterndes von Regierungsberater Rürup und Wünsche der Sozialpartner.

Reformen – oder doch neue (Kapital-)Steuern, um Österreich wieder auf den Wachstumspfad zurückzubringen? Die Sozialpartner präsentierten sich am Donnerstag beim Forum Alpbach uneinig. Für AK-Präsident Rudi Kaske ist Verteilungsgerechtigkeit das "drängendste Problem", während Wirtschaftskammer-Chef Christoph Leitl u. a. eine Pensionsreform einforderte.

Zur Verstärkung hatte Leitl den deutschen "Wirtschaftsweisen" (der auch die österreichische Regierung mehrmals beraten hat) Bert Rürup auf ein Diskussionspodium der Kammer geholt. Dieser räumte mit "Mythen" auf. So sei es falsch, dass es schon genüge, das faktische an das gesetzliche Pensionsalter anzupassen. Da die Abschläge für den früheren Antritt in Österreich aus Sicht des Pensionsystems "fair" seien, bleiben die Gesamtkosten auch bei späterem Antritt (und dadurch höherer monatlicher Pension) gleich. Entscheidend sei auch nicht die Demografie – immer mehr Ältere, immer weniger Jüngere –, sondern das Beitragsaufkommen.

Zentrales Problem sei, dass die Zahl der Beitragsjahre von der Zahl der Pensionssauszahlungsjahre "abgekoppelt" werde. Sprich: Durch längere Ausbildungszeit und höhere Lebenserwartung ist man länger Leistungsempfänger. Einziger Ausweg: ein daran gekoppeltes, sich automatisch erhöhendes gesetzliches Pensionsantrittsalter und sofortige Angleichung des Pensionsantrittsalters von Männern und Frauen, sagt Rürup.

Denn es sei eine Diskriminierung von Frauen, wenn es sich für Arbeitgeber nicht mehr lohne, in die Fortbildung über fünfzigjähriger Frauen zu investieren, das nehme den Arbeitnehmerinnen auch Verdienstchancen.

Alte blockieren Junge?

Dritter Mythos: Wenn Alte länger arbeiten, nehmen sie Jüngeren die Jobs weg. Stimmt nicht, sagt Rürup: In OECD-Ländern mit höherer Erwerbsbeteiligung Älterer hätten auch die Jungen mehr Jobs. Der Arbeitsmarkt sei keine "Perlenkette", wo neue Jobs aufgefädelt und alte heruntergenommen werden. Wobei Rürup durchaus einräumte, dass beim österreichischen Pensionssystem "eine ganze Menge gemacht" worden sei. Eine Frohbotschaft für den mitdiskutierenden Sozialminister Rudolf Hundstorfer, der meinte, man sei jetzt eben in einer "Übergangszeit", wo alte Systeme noch gelten, aber auslaufen. Für Rürup ist die Reform dennoch nicht nachhaltig genug. Bei Hundstorfer, ÖGB und AK stießen seine Vorschläge auf Granit.

Sudereien

Für die Arbeiterkammer, heuer zum ersten Mal Mitveranstalter der Wirtschaftsgespräche beim Forum Alpbach (die Industriellenvereinigung ist ausgeschieden), war das heurige Alpbacher Motto fast ein Geschenk: "Ungleichheit". In einer gemeinsamen Pressekonferenz mit ÖGB-Präsident Erich Foglar und dem Vorsitzenden des Deutschen Gewerkschaftsbundes, Reiner Hoffmann, legte Kaske eine lange Liste (bereits gut bekannter) Forderungen vor: Steueroasen europaweit trockenlegen, Wertschöpfungsabgabe, Investieren in öffentliche Kinderbetreuung, Mindestlohn für jene, die nicht einem Kollektivvertrag unterliegen (10 Prozent der Arbeitnehmer).

Die Einführung von Erbschafts- und Vermögenssteuern sei "unverzichtbar", sagte AK-Chef Kaske. "Das Geburtslos in der Glückslotterie bestimmt die Zukunftschancen der Kinder." Auch die Digitalisierung, das Internet der Dinge werde die Arbeitswelt weiter verändern.

Genau darauf wies wenig später auch Rürup gemeinsam mit Leitl hin: Die Grenzen zwischen angestellter und selbstständiger Arbeit werden verschwinden.

Eigentlich eine gemeinsame Aufgabe der Sozialpartner. Doch partnerschaftlich verhielt sie sich zumindest gestern in Alpbach nicht. Die AK warf den Wirtschaftsvertretern "Sudern" vor. Leitl konterte: "Neue und höhere Steuern fordern – das ist die eigentliche Suderei."

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