Foglar: „EU braucht jetzt Sozialpakt“

Foglar
Die Gewerkschaft fordert, dass soziale Grundrechte einen höheren Stellenwert als die Grundfreiheiten der EU haben.

Droht die Wirtschaftskrise den Wohlfahrtsstaat zu ersticken? Im KURIER-Interview warnt der Präsident des Österreichischen Gewerkschaftsbundes Erich Foglar vor einem weiteren Sozialabbau.

KURIER: Herr Präsident, Mario Draghi, der Präsident der Europäischen Zentralbank, sprach kürzlich angesichts der aktuell hohen Quoten bei der Jugendarbeitslosigkeit vom Ende des Europäischen Sozialmodells. Teilen Sie seine Ansicht?Erich Foglar: Man kann das jetzt so interpretieren, dass angesichts einer Jugendarbeitslosigkeit von über 50 Prozent in manchen Ländern eigentlich das Sozialmodell schon vorbei ist und er nur diese Katastrophe beschrieben hat. Oder man sieht es in Verbindung mit der europäischen Politik und der europäischen Zentralbank, wie die Troika in Griechenland Sozialabbau betreibt, da stellt er fest, dass es strenge Sparpolitik verbunden mit einem Kahlschlag der Sozialsysteme gibt. Das können wir schon auch als Aufkündigung des Sozialmodells verstehen.

Also eine reine Feststellung Draghis über den Zustand der Sozialmodelle?In Zeiten von Sparpaketen sind die Sozialmodelle einem Totalangriff ausgesetzt. Alle EU-Staaten machen Sparprogramme, in erster Linie steht da der massive Eingriff in Sozialsysteme. Das ist in der Tat gefährlich. Überall gibt es zur Bekämpfung der Schuldenkrise nur Uralt-Rezepte: Runter mit den Löhnen, runter mit den Sozialleistungen, Deregulierung der Arbeitsmärkte, Aufweichung von Kündigungsschutz, Eingriff in Flächenkollektivverträge, Runterbrechen von Lohnfindungssysteme auf die Unternehmen, Aufweichung von gewerkschaftlichen Strukturen. Aber jetzt beginnt in Griechenland die Bevölkerung zu verarmen, in Portugal läuft ein ähnlicher Prozess. Das kann nicht die Zukunft der EU sein.

Was sollen die Staats- und Regierungschef beim Gipfel anders machen?Es gibt Ziele, was bis wann ei nzusparen ist, nur in einem Nebensatz wurden beim vergangenen Gipfel Wachstum und Beschäftigung als Wörter wieder entdeckt. So können die Bemühung der EU mit ihren Wachstumszielen bis 2020 nicht mehr ernst genommen werden, weil sie in der Praxis das Gegenteil tut. Aus der Krise kommen wir aber nur mit Wachstum und Beschäftigung heraus.

Was fordern Sie ein? Es gibt einen Fiskalpakt, wir wollen für die Menschen in Europa dafür ganz konkret einen Sozialpakt. Die EU braucht einen Sozialpakt, das muss möglich sein. Darin vorkommen muss die Unantastbarkeit des Sozialdialogs, kein Eingriff in die Kollektivverträge durch die Kommission oder den Rat. Außerdem wollen wir verankern, dass soziale Grundrechte einen höheren Stellenwert haben als die vier Grundfreiheiten der EU. Soziale Grundrechte sollten stärker berücksichtigt werden als wirtschaftliche Freiheiten. Man braucht schlicht und einfach einen Sozialpakt, damit der Fiskalpakt letztendlich relativiert wird und wir nicht eine reine Wettbewerbs-, Sozial- und Lohn-Dumpingunion sind.

Die Sozialdemokraten wollen ein Bürgerbegehren starten zur Verteidigung des Sozialmodells Europas. Wird der ÖGB das unterstützen?Dem Thema stehen wir sehr, sehr aufgeschlossen gegenüber, wir werden das, sofern es in die richtige Richtung geht, voll unterstützen.

EU-Fiskalpakt: Sparen unter Zwang Fiskalpakt Ein in knapp acht Wochen von Deutschland durchgesetzter Vertrag, der es 25 EU-Staaten ab 2013 rechtlich unmöglich macht, ihre Budgets zu überziehen. Er wurde beim März-Gipfel in Brüssel feierlich unterzeichnet.Mechanismus Alle EU-Staaten (bis auf Großbritannien und Tschechien) müssen möglichst per Verfassungsgesetz eine Schuldenbremse verankern. Diese verlangt ein Nulldefizit und einen Schuldenabbau.

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