Finanzmärkte im Banne der Briten

Finanzmärkte im Banne der Briten
Börsianer rechnen nicht mit Ausstieg – und könnten so auf dem falschen Fuß erwischt werden.

Am 23. Juni stimmen die Briten darüber ab, ob sie weiterhin Teil der Europäischen Union sein wollen oder nicht. Auch wenn in den Umfragen derzeit die Befürworter eines Brexit stark aufholen und bei den Buchmachern die Wetten auf einen Ausstieg steigen (siehe Grafik): "Die Finanzwelt erwartet einen Verbleib in der EU", sagt Monika Rosen, Chefanalystin des Bank Austria Private Banking. Denn ähnliche Abstimmungen – zwei Mal in Quebec über den Verbleib bei Kanada sowie jene Schottlands über den Verbleib bei Großbritannien – seien alle gegen einen Austritt ausgegangen. "Der Markt geht auch dieses Mal davon aus", sagt Rosen im KURIER-Gespräch. Doch genau hier liege das größte Risiko für die Börsen. Denn sollte es zum Brexit kommen, sei dieser in den aktuellen Kursen nicht eingepreist. Ein Kurssturz könnte also die Folge sein.

Denn laut Rosen sind die Kurse trotz schlechter Stimmung hoch. "Ein Brexit könnte das Fass zum Überlaufen bringen. Er könnte zu dem Ereignis werden, das die Korrektur an den Märkten einleitet." Dennoch teilt auch die BA die optimistische Einschätzung und bleibt weiterhin bei Aktien gegenüber dem Geld- und Rentenmarkt übergewichtet. Zudem würden im Falle eines Brexit Aktien von britischen Exporteuren von einem schwächeren Pfund profitieren.

Kursschock

Yves Maillot, Direktor von European Equtities Investment, warnt bei einem EU-Austritt von einem Kursschock in Europa von zwischen fünf und zehn Prozent "oder sogar noch heftiger". Vor allem der Finanzsektor, allen voran britische Banken, wären betroffen.

Derzeit lasse sich weniger bei Aktienkursen als an anderen Parametern eine gewisse Unsicherheit über den Ausgang des Referendums ausmachen, so Rosen. Wegen der Investitionszurückhaltung hat die OECD ihre Wachstumserwartung für Großbritannien für heuer von 2,2 auf 1,7 Prozent zurückgenommen. Und die Zahl der Börsengänge liegt im Vergleich zu anderen Ländern deutlich zurück.

Besonders im Auge haben den Wahltag Rosen zufolge Hedgefonds. "Sie haben Exit Polls in Auftrag gegeben, um im Tagesverlauf auf den richtigen Ausgang zu wetten." So könnten sie etwa für oder gegen den britischen Pfund setzen, entsprechende Kursbewegungen in Folge würden Rückschlüsse auf die Exit Polls und somit den Ausgang des Referendums geben. Dies könnte den britischen Pfund bei einem Brexit schon vor Wahlschluss unter Druck setzen – bis zu zehn Prozent hält Rosen für möglich.

Die Auswirkungen auf britische Anleihen seien hingegen schwieriger zum Einschätzen. Natürlich müssten einerseits die Risikoaufschläge steigen, andererseits aber seien verschiedene Investoren ja dazu verpflichtet, in sichere Papiere zu investieren. "Cash alleine geht nicht."

Zu spüren ist die Unsicherheit über den Ausgang weltweit, so auch in den USA. "Die Notenbank Fed wird wahrscheinlich eine Woche vorher die Zinsen nicht anheben", sagt Rosen, sondern lieber bis zur nächsten Sitzung im Juli zuwarten. Auch führende Fed-Direktoren haben sich bereits in diese Richtung geäußert. Sie fürchten bei einer Entscheidung gegen den Verbleib in der EU mit längerfristigen Konsequenzen für die Konjunktur auch in den USA.

Unterm Strich rät Björn Jesch, Leiter des Portfoliomanagements bei Union Investment, Anlegern zunächst zur Zurückhaltung, " bis die Weichen bei Fed, Brexit und Konjunktur gestellt sind".

Das britische Pfund konnte im Vorfeld der Abstimmung über den Verbleib des Vereinten Königreichs in der EU zulegen und setzte damit seinen seit Anfang April beobachtbaren Erholungstrend zum Euro fort. Doch Ende Mai gab es zeitgleich mit den neuesten Meinungsumfragen wieder eine Trendumkehr. Aktuell erhält man für einen Euro rund 0,78 Pfund.

Freilich, am Höhepunkt der Finanzkrise 2008/’09 war fast Gleichstand hergestellt. Zum Dollar wird das Pfund schon fast so tief gehandelt wie seit der Finanzkrise nicht mehr.

Die britische Barings Asset Management geht davon aus, dass bei einem Brexit das Pfund um 15 bis 20 Prozent abwerten würde. Allerdings stünde es nicht alleine da. „Auch der Euro dürfte in der ungewissen Zeit nach einer Abstimmung zugunsten des Brexit abwerten, wobei das Pfund die größeren Einbußen hinnehmen müsste“, heißt es in einer Analyse.

Die Kosten für Absicherungen des aktuellen Pfund-Kurses zum Dollar und zum Euro bis kurz nach der Abstimmung stiegen jedenfalls auf ein Siebenjahreshoch.

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