Weniger Spielraum
Das bedeutet freilich nicht, dass die Französin die Gefahr durch das Coronavirus kleinredet. Im Gegenteil: Die Epidemie sei „ein großer Schock“ für Europas Staaten, so Lagarde. Sie selbst hatte die Regierungschefs aufgerüttelt und zu entschlossenem Handeln aufgefordert.
Die Märkte reagierten zunächst enttäuscht. Die Erwartungen waren wohl zu hoch gesteckt: Die US-Notenbank und ihr britisches Pendant hatten zuvor den Zinssatz überraschend kräftig um je 0,50 Prozentpunkte gesenkt. Diesen Spielraum hat die EZB nicht, bei ihr liegt der Leitzinssatz auf Null.
Und jene Banken, die sich um eine verstärkte Kreditvergabe drücken möchten, mit noch höheren Strafzinsen (derzeit -0,50 Prozent) zu geißeln, hätte zu diesem Zeitpunkt wohl mehr Schaden als Nutzen gebracht.
Statt auf die Peitsche setzt Lagarde lieber auf Zuckerbrot: Um eine mögliche Kreditklemme zu verhindern, legt die EZB ein riesiges Billigkredit-Paket auf, mit dem die Banken kriselnden Unternehmen über temporäre Engpässe hinweg helfen können. Insbesondere sind dabei Klein- und Mittelbetriebe im Fokus. Die Konditionen sind so günstig, dass die EZB dafür sogar eigene Verluste in Kauf nimmt.
Sorgen sind dennoch angebracht, ob das billige Geld bei den Firmen ankommt. „Man kann die Pferde nur zur Tränke führen, saufen müssen sie selber“, lautet ein berühmtes Sprichwort.
Besser mit Garantie
Hier brachte Lagarde die Staaten und EU-Institutionen ins Spiel: Sie sollen mit üppigen Garantien und Haftungen den Banken die Angst vor Kreditausfällen nehmen.
Den Geldinstituten wird die Vergabe noch zusätzlich schmackhaft gemacht: Die EZB – als Aufsichtsorgan über die größten Euro-Banken – lockert die strikten Kapitalvorgaben, die nach der Finanzkrise von 2008/’09 eingeführt wurden, ein wenig. So wird noch mehr Geld für die Kreditvergabe frei.
Die Aufsicht EBA in Paris (European Banking Authority) verschiebt den EU-weiten Stresstest auf 2021: Die Banken sollen sich heuer ganz ihren Kunden widmen.
„In der Finanzkrise von 2009 waren die Banken Teil des Problems, jetzt können sie Teil der Lösung sein“, hatte schon Mark Carney, Chef der britischen Notenbank, am Mittwoch betont.
Italien kein Thema
Und was wird aus Italien? Das Sorgenkind der Eurozone ist am härtesten vom Virus betroffen und wird in eine Rezession fallen. Die Budgetziele sind obsolet, der hohe Schuldenstand wird noch weiter ansteigen.
In der EZB war das am Donnerstag kaum ein Thema. Es sei nicht Aufgabe der Währungshüter, die Zinsaufschläge für Staaten zu verringern, so Lagarde sinngemäß. Nicht sehr schlau, das noch explizit zu erwähnen, befanden einige Beobachter. Die Anleihenmärkte reagierten auf die Aussage prompt: Die Zinskosten für Italiens Staatspapiere stiegen prompt um einige Basispunkte zusätzlich an (siehe Grafik im Tweet oben).
Immerhin betonte Lagarde auch, dass die EZB all ihre Instrumente stets einsatzbereit halte. Zur Erinnerung: Draghi musste sein kühnes Eurokrisen-Notfallpaket letztlich nie auf den Prüftstand stellen.
Nur ein Placebo?
Immerhin eine kleine positive Überraschung für die Märkte gab es dann doch: Die EZB stockt ihre Wertpapierkäufe (derzeit 20 Milliarden Euro pro Monat) bis Jahresende um insgesamt 120 Milliarden Euro auf. Gekauft werden sollen primär Schuldtitel von Unternehmen.
„Das ist ein Placebo“, glaubt Peter Brezinschek, Chefökonom der Raiffeisen Bank International. Es seien nämlich kaum Unternehmensanleihen am Markt – in der aktuellen Situation will niemand verkaufen. In der laufenden Woche hätten nationale Notenbanken nur Papiere um eine Milliarde Euro aufgegriffen.
Positiv sieht die EZB-Beschlüsse Clemens Fuest, der Chef des Ifo-Instituts: Diese wiesen „insgesamt in die richtige Richtung“.
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