Exporte nach Russland brechen ein: 1200 Firmen betroffen

Mit den Sanktionen soll unter anderem der Zugang russischer Banken zu den Finanzmärkten der EU erschwert werden (im Bild: Sberbank in St. Petersburg).
Retourkutsche aus Moskau: Schikanen durch russische Behörden werden befürchtet.

Die 28 Regierungen der Europäischen Union haben heute Mittag die geplanten Wirtschaftssanktionen gegen Russland wie erwartet offiziell beschlossen. Sie treten am Freitag in Kraft. Mit den Sanktionen soll Russland dazu gebracht werden, die Unterstützung für die prorussischen Separatisten in der Ukraine zu stoppen.

Die Maßnahmen gegen Moskau treffen aber auch Österreichs Wirtschaft massiv. Offen ist zudem, wie Russlands Gegenmaßnahmen ausfallen – erste Anzeichen dafür gibt es bereits.

Mögliche Auswirkungen im Detail:

Fallen die Sanktionen auf Österreich zurück?
Ja. Es trifft Österreichs Wirtschaft im EU-Vergleich sogar "deutlich überdurchschnittlich", sagt Christian Helmenstein von der Industriellenvereinigung (IV). Im Vorjahr boomten die Russland-Exporte noch – das ist vorbei, die Sanktionen sorgen für ein sattes Minus. Die Wirtschaftskammer befürchtet einen Einbruch um 20 Prozent, bis zu 700 Mio. Euro weniger als im Rekordjahr 2013.

Wie viele österreichische Firmen sind betroffen?
Der Flaute kann sich kein Exporteur entziehen. Der Konflikt schadet somit 1200 Firmen, die mit Russland Geschäfte machen – davon haben 550 eigene Niederlassungen. Direkt treffen die EU-Sanktionen bis zu 160 Firmen. Das Exportverbot umfasst Neuverträge für Rüstungsgüter, militärisch und zivil nutzbares Gerät und Ölfördertechnologie. In diesen Bereichen hat Österreich zuletzt Waren um 125 Mio. Euro nach Russland exportiert – so weit die mögliche Schadenshöhe.

Kann man die gesamten Kosten beziffern?
Seriöse Studien gibt es nicht. EU-weit werden die Kosten mit 100 Mrd. Euro bis Ende 2015 veranschlagt. Allerdings hängt das davon ab, wie lange der Konflikt dauert und wie Russland reagiert.

Welche Firmen sind betroffen?
Grundsätzlich Hightech-Lieferanten, deren Produkte für Militärzwecke und für Ölbohrungen verwendet werden können. Laut Erste-Group-Analyse betrifft das Österreichs Börseunternehmen kaum. Die Umsatzanteile seien bei Andritz, bei Palfinger und der voestalpine, die Rohre für die South-Stream-Pipeline liefert, gering. Einigen Unternehmen könnten aber verschlechterte Beziehungen schaden: etwa KapschTraffic, die auf einen Maut-Auftrag wartet. Oder der Immofinanz, die Immobilien im Wert von 1,83 Mrd. Euro in Russland hat. Hohe Wertberichtigungen drohen.

Ist der Firmenstandort Österreich gefährdet?
Wien ist zur Ost-Drehscheibe für russische Firmen geworden. Nach dem Kauf der Volksbank International steuert Sberbank Europe von hier aus ein Netzwerk von 277 Filialen in 10 Ländern. An der Österreich-Tochter der VTB hängen die Bankgeschäfte in Frankreich und Deutschland. Dazu haben die Energiekonzerne Gazprom und Lukoil Niederlassungen gegründet. Dieser Wien-Bonus ist künftig in Gefahr.

Wie treffen die Sanktionen die Banken?
Die Bank Austria und Raiffeisen Bank International sind die acht- bzw. zehntgrößte Bank in Russland. Die EU-Sanktionen haben für ihre Geschäfte direkt keine Folgen, allerdings würde sie die geringere Kreditnachfrage treffen. Bisher war Russland für die Banken der größte Gewinnbringer – das steht auf dem Spiel. In Österreich sind von den Sanktionen die VTB Austria und Sberbank Europe umfasst. Ihr Kredit- und Einlagengeschäft sei wohl nicht betroffen, heißt es. Fraglich ist, ob sie Geld über Anleihen in Europa und den USA aufnehmen könnten. Die VTB-Mutter in Moskau erklärte mit Blick auf die US-Sanktionen, man sei zuversichtlich, neue Geldquellen zu finden. Die russischen Banken zapfen nun die Finanzmärkte in China und Südkorea an.

Wird Russland mit Gegenmaßnahmen kontern?
"Noch ist nichts bekannt", sagt der Wirtschaftsdelegierte Dietmar Fellner. Optimisten betonen, Russland könnte sich einen Wirtschaftskrieg nicht leisten. Allerdings gibt es Anzeichen, dass sich Moskau rüstet: In der Duma brachten Parlamentarier einen Gesetzesentwurf ein, der "Aggressorstaaten" droht. Die Zentralbank erhebt gerade, welche Ausländer bei Banken in Russland Geld liegen haben – was auf Kontosperren hindeutet.

Wie könnte die Retourkutsche aussehen?
Bisher benutzte Russland für Importstopps gerne einen Vorwand – wie verletzte Hygienestandards, was jüngst 15 österreichische Molkerei- und Fleischbetriebe zu spüren bekamen. Jetzt büßen niederländische und polnische Obstfirmen – die Lebensmittelaufsicht will Motten entdeckt haben. Zudem droht Russland bereits offen mit höheren Energiepreisen.

Was, wenn Moskau ausländische Firmen enteignet?
Das wäre die ärgste Eskalation der Sanktionsspirale. Aus Bankkreisen heißt es, so einfach könnte Russland Enteignungen nicht durchführen. Ausländische Banken würden im Gegenzug russische Spareinlagen blockieren. Unternehmen wie der börsenotierte Kartonagenhersteller Mayr-Melnhof betonen, sie seien gegen Politrisiken versichert – etwa über die Kontrollbank.

Exporte nach Russland brechen ein: 1200 Firmen betroffen

Es ist ein schmaler Grat, auf dem sich die EU-Staaten bei den Sanktionen gegen Russland bewegen: Auf der einen Seite will man, muss man ein starkes Signal an Präsident Putin schicken. Dadurch etwa, dass auch die Konten von Putins Vertrauten bei der Russja-Bank gesperrt werden. Auf der anderen Seite will kein Staatschef die eigene Wirtschaft für die Ukraine-Krise zahlen lassen.

Also dürfen die Maßnahmen nicht zu hart sein, damit sich Gegenschläge Moskaus in Grenzen halten. So wird die Gratwanderung mitunter zum Eiertanz – etwa im Rüstungsbereich. Die EU hat nun zwar ein Waffen-Embargo beschlossen. Doch bezieht sich der Export-Stopp nur auf künftige Verträge. Frankreich kann seinen Milliarden-Auftrag mit Russland also erfüllen und die bestellten Mistral-Hubschrauberträger liefern. Das sorgt für Kritik: „Die Sanktionen sind notwendig, allerdings längst überfällig und unzureichend: Sie verhindern nicht den Verkauf der Mistral an Russland“, sagte Litauens Präsidentin Dalia Grybauskaite.

Tatsächlich ist das Zugeständnis an Frankreich wirtschaftlich verständlich, politisch aber problematisch: Wenn das Waffen-Embargo hauptsächlich Symbolkraft haben soll, weil Russland selbst zu den größten Waffenproduzenten zählt, müsste man dann nicht um dieser Symbolik willen verhindern, dass Frankreich im Herbst ein Kriegsschiff liefert?

Die Fraktionsvorsitzende der Grünen im EU-Parlament, Rebecca Harms, meint, man hätte Paris eine Alternative anbieten sollen: „Europäische Solidarität müsste heißen, dieses Schiff für die NATO zu übernehmen.“

Schlupflöcher

Ein Schlupfloch gibt es auch bei den verschärften Sanktionen im Energiebereich: Aus der EU werden künftig keine Spezial-Förderanlagen geliefert. Allerdings betrifft das nur den Öl-Bereich, der Gas-Sektor ist ausgenommen. Insgesamt wirkt die EU mit ihren 28 Einzel-Interessen bei Weitem nicht so entschlossen wie die USA: Die EU-Sanktionen sind auf ein Jahr beschränkt – schon im Oktober soll ihre Wirkung überprüft werden. Und während Präsident Obama die Verschärfung der Sanktionen selbst verkündete, verschickte man in Brüssel ein Statement von Ratspräsident Van Rompuy und Kommissionschef Barroso. Ein Fehler, meinen manche Diplomaten: Ein Sondergipfel hätte die angestrebte Geschlossenheit besser zum Ausdruck gebracht.

Diese zeigen die sieben führenden Industrienationen (G-7) und drohen mit weiteren Sanktionen. Sollte Russland den Kurs nicht ändern, werde der zu zahlende Preis weiter steigen.

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