Wirecard-Manager: "Habe die Fassade mit aufgebaut"
In den Antworten von Jörn Leogrande blitzen Faszination und Verachtung durch, wenn er über seinen langjährigen Arbeitgeber spricht. 14 Jahre und acht Monate hat er in führenden Positionen für Wirecard gearbeitet, zuletzt als Executive Vice President für Innovationen. Warum er glaubt, bald vom Anwalt von Markus Braun zu hören und er Jan Marsalek auf einer Almhütte vermutet.
KURIER: Klingt nach einem großen Job bei Wirecard.
Jörn Leogrande: Ja, also so riesig war er nicht. Es war eine relativ kleine Abteilung mit 10, 15 Leuten.
Sie haben ein Buch geschrieben über Ihre Zeit bei Wirecard. Ist das Abrechnung, Buße, Beichte oder Anklage?
Also Buße, Beichte stand nicht im Vordergrund. Es ist auch keine Abrechnung. Wissen Sie, es gibt über die Wirecard und die Verstrickungen im Moment viele Außenansichten. Und ich fand, dass es ganz gut ist, auch eine Innenansicht zu zeigen.
Auf dem Buchcover steht: Über Geld, Gier und Größenwahn. Sie waren 15 Jahre Teil davon, wie konnten Sie das so lange aushalten?
Diese ganze Geschichte über Wirecard, die liest sich jetzt natürlich anders als sie war. Ich glaube, zu Beginn oder bis zu einem gewissen Zeitpunkt, wollte die Firma wirklich was bewegen. Ich glaube aber auch, an einer gewissen Stelle ist man dann irgendwie falsch abgebogen.
Kennen Sie den Zeitpunkt, wo das passiert ist?
Also, meine subjektive Wahrnehmung ist, dass zwischen 2011 bis 2014 die Erträge aus dem Glücksspiel weniger geworden sind. Und da scheint sich die Entwicklung verselbstständigt zu haben. Weil im Grunde musste man immer diese Erfolgsgeschichte weiter fortsetzen. Man war gezwungen, dieses 30-Prozent-Wachstum immer wieder zu produzieren.
Sie waren für Innovation zuständig. Wurde dieser Skandal durch Ihre Technologien erst möglich gemacht?
Also ich glaube, das ist ein bisschen sehr provokant. Grundsätzlich hat das Unternehmen vor allen Dingen News gebraucht, um zu reüssieren. Aber klar, man muss sich auch der Tatsache stellen, dass wir aus heutiger Sicht diese Fassade aufgebaut und konstruiert haben für ein Unternehmen, das andere Pläne hatte. Oder für ein Management, das andere Pläne hatte. Bloß, wir wussten das damals nicht.
Im Buch geht es oft um das Geschäft mit Pornografie und Glücksspiel. Hatten Sie nie ein Problem damit?
Also, das ist ganz interessant. Ich wusste zwar davon, dass es dieses Geschäft gibt, das war in der Wirecard aber relativ abgekapselt. Ich persönlich habe nur sehr selten direkt mit Pornoanbietern oder Glücksspielanbietern zu tun gehabt. Das trifft auf etliche tausend Mitarbeiter der Wirecard zu. Der Trick war also auch, dass viel von diesem Geschäft auf Drittpartner ausgelagert wurde.
Sie können sich an Details erinnern, aber konnten das große Ganze nicht fassen. Wie passt das zusammen?
Na ja, das große Ganze ist halt immer komplizierter geworden. Wir hatten Offices auf der ganzen Welt. Der Jahresabschluss bis 2018 ist jedes Mal von den Wirtschaftsprüfern testiert worden. Da stellt man sich nicht als Mitarbeiter hin und sagt, ich weiß es besser als Ernst & Young.
Wie muss man sich die Firmenkultur bei Wirecard vorstellen?
Es gab ein sehr starkes Leistungsbewusstsein. Wir hatten ja viele Kunden, die wirkliche Transaktionen abgewickelt haben, in Österreich die ÖBB, in Deutschland Aldi. Also hochperformante Kunden. Das ganze Unternehmen ist ja nicht nur auf Schall und Rauch gebaut gewesen.
Wie würden Sie einem Profiler die Persönlichkeitsstruktur von Jan Marsalek beschreiben?
Oh Gott, das ist eine gute Frage. Ich glaube, ich habe nur eine Seite von ihm kennengelernt. Ich habe nicht sein Prunkschloss in der Prinzregentenstraße betreten. War auch nicht in irgendwelche Geheimdienst-Geschichten eingeweiht. Aus meiner Sicht war dieser Jan sehr stark strukturiert, hochintelligent, superfreundlich. Perfekte Manieren, hervorragendes Englisch. Und sehr souverän und sympathisch.
Muss eigentlich Österreich vor Ihrem Buch zittern?
Nein. Das wird niemanden aufregen. Jan hat mit mir nie über die österreichische Politik geredet. Ich hatte das Gefühl, dass er immer auf das globale Bild schaut. Markus war deutlich stärker interessiert an der österreichischen Politik und hat wohl auch Verbindungen zu Sebastian Kurz gehabt. Ich hätte mir vorstellen können, dass er mal eine Position in der österreichischen Politik anstrebt.
Glauben Sie, werden die beiden Herrn Ihr Buch lesen?
Ja, ich bin sicher. Der Kollege Braun wird seine Rechtsanwälte gegen mein Buch schicken, nehme ich mal an. Beim Kollegen Marsalek glaube ich auch, dass er das lesen wird. Wissen Sie, ich glaube, dass dem Jan Marsalek die aktuelle Berichterstattung über sich selber sehr gut gefällt. Er wird so als omnipräsenter Superschurke dargestellt, als so eine Art James-Bond-Charakter. Ich ziehe ihn im Buch auf ein Normalmaß runter. So cool war er dann ja doch nicht. Das wird ihm wohl nicht gefallen.
Bekommen wir Jan Marsalek jemals wieder zu Gesicht?
Wissen Sie, also rein gefühlsmäßig würde ich sagen: absolut. Weil so, wie ich den Jan kennengelernt habe, war er sehr versessen auf Kommunikation. Wenn Sie so wollen, ist das seine Schwäche. Wo er auch immer ist – ich vermute, nicht in Russland –, wird er versuchen, solche Systeme auch wieder aufzubauen.
Was haben Sie bei Wirecard verdient und was haben Sie verloren?
Also, wenn man sich jetzt mal mein Gehalt ansieht: ich habe nicht so viel verdient, wie man sich gedacht hat. Die Wirecard galt in München nicht als Top-Zahler. Verloren habe ich meine Unschuld. Ich glaube, dass die Wirecard nicht alleine ist in dieser Darstellung. Ich glaube, dass es in der Finanzdienstleistungswelt vielleicht viele oder einige Unternehmen gibt, die so was wie eine Hidden Agenda haben und die damit auch durchkommen.
Die Wirecard AG wurde 1999 gegründet, als Finanzdienstleister, der Zahlungen für Unternehmen abwickelt. Den wirtschaftlichen Aufstieg verdankte das Unternehmen namhaften Kunden, aber auch solchen aus der Porno- und Glücksspielbranche, für die das Unternehmen aus Aschheim bei München jahrelang tätig war.
Seit 2015 gab es Berichte, dass die Bilanzen nicht stimmten. Wirecard konnte mit Ausreden Bilanzprüfer und Anleger beschwichtigen – bis zum Frühsommer 2020. Da musste Wirecard, geführt von den Österreichern Markus Braun und Jan Marsalek, einräumen, dass Bankguthaben auf angeblichen Treuhandkonten in Höhe von 1,9 Milliarden Euro nicht aufgefunden werden können.
Vorstandschef Braun musste zurücktreten und wurde in U-Haft genommen. Er bestreitet, an Malversationen beteiligt gewesen zu sein.
Vorstand Marsalek flüchtete am 19. Juni mit einem Privatjet vom Flugplatz Bad Vöslau in Richtung der weißrussischen Hauptstadt Minsk und ist seither verschwunden. Ihm werden Kontakte zu russischen Nachrichtendiensten nachgesagt. Bei der Flucht aus Österreich sollen ihn Ex-FPÖ-Nationalrat Thomas Schellenbacher und der karenzierte BVT-Abteilungsleiter Martin W. unterstützt haben. Dem BVT-Mann wird nachgesagt, dass er geschäftlich für Wirecard bzw. Marsalek tätig war.
Am 25. Juni 2020 musste Wirecard einen Insolvenzantrag stellen, Ende August wurde es aus dem DAX entfernt. Die Staatsanwaltschaft München I ermittelt gegen mehrere Ex-Wirecard-Vorstände wegen bandenmäßigen Betrugs und Untreue. (Kid Möchel, Dominik Schreiber)
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