Ewald Nowotny: Von spannenden Krisen und Liebe zum Bargeld
KURIER: Ich habe gerade nachgeschaut: Ich habe sechs Euro und ein paar Cent in bar bei mir. Wie viel Bargeld haben Sie einstecken?
Ewald Nowotny: Dann sind Sie eine untypische Österreicherin. Die Österreicher hängen am Bargeld. Ich war heute morgen auf der Bank und habe 400 Euro beim Bankomat behoben. Ich hebe immer das Maximum ab, dann muss ich seltener zur Bank.
In Ländern wie Schweden nimmt der Bargeldverkehr ab. Glauben Sie an ein Ende des Bargeldes?
Ich wünsche es mir nicht. Die Zahl der bargeldlosen Zahlungen nimmt zu, aber Bargeld wird bleiben. Für uns als Notenbank gilt: Wir orientieren uns an den Wünschen der Menschen. Und zu Schweden: Die dortige Notenbank hat dazu aufgerufen, einen gewissen Bestand an Bargeld vorrätig zu halten. Aus Sicherheitsgründen. Wenn bei Stromausfällen die elektronischen Systeme nicht funktionieren.
Sehen Sie in Cyberwährungen eine Zukunft?
Da muss man unterscheiden. Bitcoins zum Beispiel sind Spekulationsinstrumente, eine Art Glücksspiel. Jetzt gibt es aber die Diskussion, dass Notenbanken Cybermoney bereitstellen. Damit hätten Bürger dann direkten Kontakt mit der Notenbank. Das würde auch die gesamte Bankenlandschaft, wie wir sie heute kennen, verändern. Das ist etwas, was man genau ansehen muss und was gerade analysiert wird. Die Notenbank der Notenbanken, die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich in Basel, hat dafür ein „Labor“, also eine eigene Abteilung, eingerichtet.
Wird es Cybermoney in absehbarer Zeit geben können?
In den kommenden fünf Jahren sehe ich das für westliche Staaten nicht, für China gibt es Ankündigungen.
Was halten Sie von der Kryptowährung Libra, die Facebook angekündigt hat?
Die soll ja mit echten Währungen unterlegt sein. Das wäre also ein riesiger Geldmarktfonds. Die Notenbanken und Finanzminister sehen da erhebliche potenzielle Gefahren. Da gibt es Angst vor Machtmissbrauch und natürlich muss man die Finanzmarktstabilität im Auge haben. Die Stimmung schwankt zwischen Verbot oder strenger Regulierung auf internationaler Ebene.
Den Bankkunden stehen große Änderungen beim Internetbanking ins Haus. Jede Bank geht mit den neuen Sicherheitsanforderungen anders um. Die Kunden sind verunsichert. Wäre es nicht einfacher gegangen?
Die Banken sind in einer sehr schwierigen Situation. Da geht es etwa um Fragen von Sicherheit und Geldwäsche. Von europäischer Seite gibt es da aus der Sicht mancher Beobachter überschießende Forderungen. Irgendwann kann ich vor lauter Sicherheit die Dinge nicht mehr benutzen. Die Welt besteht nicht nur aus 30-jährigen IT-affinen Jungen, es gibt auch normale Menschen.
Stehen Sie nicht zu sehr auf Seiten der Banken?
Nein, ich stehe auf Seiten der Konsumenten. Aus meiner Sicht ist das übertriebener Konsumentenschutz. Mir geht es darum, wichtige Gruppen der Gesellschaft, wie etwa Ältere, nicht auszuschließen.
Wenn Sie jetzt künftig mehr Privatleben haben: Werden Sie ihre Enkerl am Weltspartag zur Bank begleiten?
Vielleicht nicht begleiten, aber ermutigen. Der Spargedanke ist wichtig. Alle drei Enkerl haben Sparschweine.
Wichtiges Sparen – auch ohne Zinsen?
Ungeachtet der Zinsen ist Sparen immer wichtig. Für die Wechselfälle des Lebens.
Aber nicht für die Vorsorge, oder?
Vorsorge kann und muss auf vielfache Weise betrieben werden. Ich verstehe, wenn Menschen Angst vor dem Aktienmarkt haben. Aber auf lange Sicht haben sich Unternehmensbeteiligungen immer als sinnvoll erwiesen. Fonds mit breiter Streuung sind auch für breitere Schichten als längerfristige Anlage geeignet. Tatsache ist aber, dass 30 Prozent der Österreicherinnen und Österreicher überhaupt keine Ersparnisse haben, weil sie nichts auf die Seite legen können.
Vor genau elf Jahren sind Sie an die Spitze der Notenbank gekommen. Zwei Wochen später stand mit der Pleite der US-Bank Lehman Brothers die Finanzwelt in Flammen. Haben Sie damals Ihre Entscheidung, Notenbank-Gouverneur zu werden, verflucht?
Das war eine Herausforderung, das waren spannende Zeiten. Der Geldmarkt, der Blutkreislauf, war damals ausgetrocknet. Da gab es mehrmals am Tag, auch nachts, Telefonate mit Notenbanken und der EZB. Aber man hatte aus den Fehlern der Krise in den 30er-Jahren gelernt. Damals war man gegen eine Ausweitung der Geldmenge, diesmal war man dafür. Ohne das hätte es wirklich die Gefahr einen Zusammenbruchs des Finanzsystem gegeben.
Damals und auch jetzt hat man den Eindruck, die US-Notenbank Fed ist immer schneller als die EZB. Stimmt der Eindruck?
Unmittelbar nach Lehman hat die EZB genug getan. Dann hat sie aber gebremst, also weniger getan als die Fed. Im Rückblick hat sie zu früh gebremst. Die Fed hat den Vorteil: ein Land, eine Währung, ein Finanzminister. Bei uns dauert es oft länger.
Demnächst wird es auch an der Spitze der EZB eine Änderung geben. Christine Lagarde wird Mario Draghi ablösen. Wird sich dadurch etwas ändern?
Notenbanken sollten auf Kontinuität achten. Ich erwarte keine abrupten Änderungen der Geldpolitik der EZB. In Bezug auf das Stabilitätsziel ist eine Bandbreite von ein bis drei Prozent aus meiner Sicht ein gewisser Realismus. Und man kann flexibler die Instrumente der Geldpolitik einsetzen. Eine neue Führung ist ein guter Zeitpunkt für solche Diskussionen.
Werden Sie sich jetzt ganz in die Pension zurückziehen?
Nein, ich werde zu meiner alten Liebe, der Integration in Europa, zurückkehren. Ich übernehme die Präsidentschaft der Österreichischen Gesellschaft für Europapolitik. Und nicht dieses, aber nächstes Semester kehre ich auch an die Wirtschaftsuniversität zurück.
Aber nicht als Vizerektor, wie schon früher?
Nein, als schlichter Dozent.
Aber mehr Privatleben wird doch bleiben, oder?
Da habe ich meiner Frau Besserung versprochen.
Was ist Ihr liebstes Hobby?
Meine Bibliothek. Die ist in den vergangenen Jahren in entsetzliche Unordnung geraten. Da ist viel zu tun.
Ist die so groß?
Eher groß, aus der Sicht meiner Frau zu groß.
Haben Sie sich auch Reisen vorgenommen?
Heuer wird sich das nicht mehr ausgehen. Meine Frau und ich sind sehr am Erbe der Römer interessiert. In Italien haben wir schon viel gesehen, jetzt wollen wir in Tunesien schauen. Da soll es viele interessante Dinge geben.
Wenn Sie die Nationalbank jetzt verlassen – was werden Sie am meisten vermissen?
Ich habe das Arbeiten im internationalen Bereich immer als bereichernd empfunden.
Sie meinen, im Machtzirkel, im Zentrum der Macht zu sein?
Naja, das klingt jetzt so hochtrabend. Die EZB ist eine sehr wichtige Institution in Europa und für mich als Gouverneur der OeNB war es ein Privileg und befriedigend, wenn man mitwirken kann, die Krise zu meistern. Und da sind viele Freundschaften entstanden. Der frühere EZB-Chef Jean-Claude Trichet hat zu jedem ausscheidenden Notenbanker immer gesagt: Du bleibst immer im Klub.
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