Der Paukenschlag des Mario Draghi

Der Euro-Leitzins wird überraschend auf das Rekordtief von 0,25 Prozent gedrückt.

Die Verkäufer warten vergebens auf Kundschaft. Die Konsumenten wollen und wollen nicht zuschlagen, weil sie darauf warten, dass die Preise noch weiter nachgeben. Dieses Warten lähmt die gesamte Wirtschaft. Die Arbeitslosigkeit steigt, das Lohnniveau sinkt.

Dieser Horror – passiert im Japan der 90er-Jahre – soll sich in der heutigen Eurozone nicht wiederholen, hat sich die Europäische Zentralbank vorgenommen. Um das Gespenst zu vertreiben, senkten die Währungshüter unter Mario Draghi am Donnerstag die Euro-Leitzinsen von 0,5 auf nur noch 0,25 Prozent. Alarmiert wurden die Notenbanker durch die Entwicklung der Konsumentenpreise im Euroraum. Nach ersten Schätzungen machte die Oktober-Inflation nur noch 0,7 Prozent aus. Erholt sich die Euro-Wirtschaft nicht wie erhofft, kann es mit der Inflation unter die Nulllinie gehen – und so die befürchtete Deflationsspirale auslösen.

Der Paukenschlag des Mario Draghi
Die Zinssenkung war zwar erwartet worden, aber frühestens im Dezember. Die Reaktion auf den überraschenden Schritt fiel entsprechend heftig aus. An den meisten Euro-Aktienbörsen ging es nach oben. Der Frankfurter Leitindex DAX etwa legte innerhalb weniger Minuten gut ein Prozent zu und erreichte ein neues Rekordhoch. Der Euro dagegen ging im Verhältnis zum US-Dollar in die Knie und verlor in kürzester Zeit rund 1,3 Prozent.

Die Gewinner und die Verlierer der Zinssenkung:

Für Private und Unternehmen wird es bald noch eine Spur billiger werden, wenn sie Kredite aufnehmen. Günstigere Darlehen können Privatausgaben und Firmeninvestitionen ankurbeln, was der Wirtschaft auf die Beine helfen kann. Tiefe Zinsen stützen in der Regel die Konjunktur und helfen dabei, neue Arbeitsplätze zu schaffen. Geldanlagen mit höheren Ertragschancen wie etwa Aktien bekommen Rückenwind.

Für Spareinlagen wird es noch weniger Zinsen geben. Bei der Verzinsung von täglich fälligen Sparbüchern kann es zwar nicht noch weiter nach unten gehen, bei längeren Bindungsfristen aber schon noch. Das ist für Österreich besonders bitter, weil hier die Inflation hartnäckig hoch bleibt (im Jahresdurchschnitt bei etwa 2,0 bis 2,2 Prozent). Das Ersparte verliert noch rascher an Kaufkraft als zuletzt. Risikoscheue Anleger sitzen damit in der selben Falle wie Versicherungen oder Pensionskassen, die keine wahrnehmbaren Erträge mehr erzielen können. Wer vor Aktien zurückschreckt, dessen Altersvorsorge leidet in jedem Fall.

Mario Draghi hat für eine Beruhigung in der Euro-Schuldenkrise gesorgt. Mit der jetzigen Zinssenkung könnte er aber übers Ziel hinausgeschossen haben.

Krisenländer wie Griechenland leiden nicht darunter, dass der Leitzins zu hoch war, sondern darunter, dass sie lang verschleppte Reformen durchführen müssen. Das drückt auf die Kaufkraft und die Inflation. In der Euro-Kernzone sind die Teuerungsraten aber viel höher. Die Sparer dieser Länder müssen daher für den EZB-Kurs „bluten“, die kalte Enteignung ist auf längere Zeit einzementiert. Was die Altersvorsorge massiv erschwert.

Alle, die für später vorsorgen, werden den EZB-Boss nicht lieben. Er riskiert aber noch anderes. Etwa, dass sich bei Aktien oder Immobilien Preisblasen bilden. Oder dass mit dem billigen Geld Unternehmen und Banken durchgeschleppt werden, die ihr untotes Dasein eigentlich beenden sollten. Sie tragen nichts zum Wirtschaftsaufschwung bei – und steigen die Zinsen irgendwann wieder, werden diese Zombies endgültig kollabieren.

Kommentare