Euro-Dollar-Gleichstand ist abgesagt

Analyse: Die US-Wirtschaft schwächelt, der Euro gibt wieder ein kräftiges Lebenszeichen.

So kann man sich täuschen. Noch vor wenigen Wochen befand sich der Euro auf rasanter Talfahrt. Experten sahen die Gemeinschaftswährung schnurstracks auf ein Umtauschverhältnis zum US-Dollar von eins zu eins zuwandern. Diese Parität könnte im Sommer erreicht sein, war die Mehrheitsmeinung.

Anfang 2015 schien das eine sichere Wette: Die US-Wirtschaft brummte, die Notenbank Fed würde also eher früher als später die Zinsen anziehen. Und Europa? Das steckte in tiefer Agonie, die die Europäische Zentralbank (EZB) mit einer Geldflut sondergleichen bekämpfen wollte. Alles schien angerichtet für den weiteren Euro-Verfall. Falsch gedacht: Bei 1,05 Dollar war Schluss. Seit gut einem Monat ist der Euro auf einem Aufwärtskurs, aktuell bei knapp 1,14 Dollar.

Dollar-Rallye vorbei

Euro-Dollar-Gleichstand ist abgesagt

"Wir sehen die Parität von Euro-Dollar auf absehbare Zeit nicht", sagt Monika Rosen-Philipp, Chefanalystin im Private Banking der Bank Austria, zum KURIER. Die Phase der größten Dollar-Rallye sei vorbei. Bis Jahresende 2015 prognostiziert die Expertin einen Kurs rund um 1,10 Dollar, das wäre zwar eine leichte Euro-Abschwächung gegenüber jetzt: "Aber keinesfalls wieder die volle Talfahrt."

Was ist der Grund für die abrupte Richtungsänderung: Ist der Euro stärker oder der Dollar schwächer geworden? Ein wenig von beidem. Währungen sind nämlich ein Spiegelbild des wirtschaftlichen Zustandes eines Währungsraums, seiner Geldpolitik und der Kapitalströme.

Und da hat die US-Wirtschaft zuletzt negativ überrascht. Das Schwächeln Anfang 2015 konnte noch mit dem strengen Winter und Hafenarbeiterstreiks entschuldigt werden. Jetzt zeichnet sich aber ein enttäuschendes zweites Quartal ab: Schon die US-Einzelhandelsdaten für April waren durchwachsen. Die Konsumlaune der Verbraucher im Mai knickte überraschend ein – auf das niedrigste Niveau seit Oktober 2014.

Mit dem Euroraum geht es in der Zwischenzeit langsam, aber doch aufwärts. "Die Eurozone hat zwar auch keine Krafthosen an, aber die Richtung stimmt", sagt Rosen-Philipp. Die Erwartungshaltung sei viel geringer. "Ein paar Prozentpünktchen machen da schon was aus." Die Sorge, die Eurozone könnte in jahrelange Stagnation mit dauerhaft sinkenden Preisen verfallen (das gefürchtete japanische Szenario) ist vorerst vom Tisch. All das stärkt den Euro – trotz der EZB-Geldpolitik, die noch länger locker bleiben und auf eine Schwächung der Währung abzielen wird.

Zinswende wackelt

Hinter der Zinspolitik der US-Notenbank steht nun wegen der Schwächeanfälle ein Fragezeichen. "Das ist nicht gerade das Umfeld, in dem die Fed die Zinsen erhöhen würde", meint Ökonom James Knightley von der ING Bank.

Manche Beobachter bezweifeln überhaupt, dass die US-Notenbank heuer die Leitzinsen anhebt. Die Bank-Austria-Analysten glauben weiter an den ersten Vorboten der Zinswende im September. "Das wird aber wohl nur ein kleiner Schritt, eher eine Geste, sein", vermutet Rosen-Philipp.

Die neuen Kraftverhältnisse machen Urlaube in den USA für Europäer allmählich wieder billiger. Öl wird in Dollar bezahlt – der stärkere Euro könnte die steigenden Spritpreise etwas kompensieren.

Die Kehrseite: Der Exportvorteil des schwachen Euro verpufft. Probleme erwartet Rosen-Philipp aber nicht: Schließlich seien die heimischen Unternehmen auch mit dem Eurokurs von 1,40 Dollar vor einem Jahr zu Rande gekommen. Aber: "Was weg ist, ist der Anschubeffekt." Die rasante Abschwächung auf 1,04 Dollar sei ein einmaliger Effekt gewesen.

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