So will Europa zur Weltmacht bei Quantentechnologie werden

Er ist ungefähr so groß wie ein Schuhkarton und umkreist in einer Höhe von 550 Kilometern an Bord eines Satelliten seit etwas mehr als zwei Wochen die Erde. Der an der Universität Wien entwickelte Quantencomputer ist der erste seiner Art im All. Er soll direkt im Orbit Wetterdaten verarbeiten und die Analyseergebnisse zur Erde schicken.
Hoch hinaus in der Quantentechnologie will auch die EU-Kommission. Vergangene Woche präsentierte die für Digitales zuständige Kommissarin Henna Virkkunen in Brüssel eine neue Strategie für den Bereich.

Die Illustration zeigt den Satelliten mit dem Quantencomputer der Uni Wien.
Europa habe alles, was es brauche, um ein führender Quantenkontinent zu werden, von hoch qualifizierten Arbeitskräften bis zu einer soliden Forschungsinfrastruktur, sagte Virkkunen. Der Kontinent sei führend in der Quantenwissenschaft und könne auf eine Vielzahl von Innovationen verweisen. Jetzt gehe es darum, die Forschungsergebnisse vom Labor in die reale Anwendung zu bekommen.
Kommerzialisierung
Mit ihrer Strategie will die Kommission europäischen Start-ups beim Wachstum helfen und verhindern, dass sie ins Ausland abwandern. Denn bei der Kommerzialisierung der Technologie bleibt die EU hinter den USA und China zurück.
In den vergangenen fünf Jahren wurden zwar elf Mrd. Euro an öffentlichen Mitteln in die Technologie gesteckt. Private Geldgeber sind bisher aber kaum vertreten. Lediglich fünf Prozent der weltweiten Investitionen in den Bereich kommen europäischen Firmen zugute, rechnete Virkkunen vor. „Wir müssen uns mehr auf die private Finanzierung konzentrieren“, sagte die EU-Kommissarin. Um privates Kapital zu mobilisieren, sollen EU-Fonds herangezogen, Ko-Investitionsprogramme unterstützt und die Risiken für private Investoren durch Garantien verringert werden.

EU-Digitalkommissarin Henna Virkkunen
Die Pläne der EU-Kommission sehen auch die Integration der Technologie in europäische Weltraum-, Sicherheits- und Verteidigungsstrategien vor. Die Ausbildung von Fachkräften soll ebenfalls forciert werden.
Enormes Potenzial
Die Aussichten für den Sektor sind jedenfalls rosig. Weltweit könnte der Markt für Quantentechnologien bis 2035 ein Volumen von 97 Mrd. US-Dollar (82,4 Mrd. Euro) erreichen, prognostiziert McKinsey. 2040 könnten es laut dem Ende Juni veröffentlichten jährlichen "Quantum Technology Monitor" der Unternehmensberater bereits 198 Mrd. US-Dollar sein.
Die Unternehmensberater sehen die Technologie an einem Wendepunkt. Quantentechnologie verlasse die Laborphase, immer mehr Unternehmen schaffen reale Umsätze, heißt es in einer Ende Juni veröffentlichten Studie. Nach 650 Mio. bis 750 Mio. US-Dollar im vergangenen Jahr sollen Quantenfirmen heuer weltweit erstmals mehr als eine Mrd. US-Dollar erwirtschaften. Dazu tragen auch Durchbrüche bei den Technologien bei, die industrielle Anwendungen in immer mehr Bereichen ermöglichen.
Anders als herkömmliche Computer, die mit Bits arbeiten und entweder den Zustand 0 oder 1 kennen, arbeiten Quantencomputer mit Qubits, die mehrere Zustände gleichzeitig repräsentieren können. Sie berechnen Aufgaben nicht Schritt für Schritt, sondern können durch die sogenannte Superposition viele mögliche Lösungen parallel untersuchen. Entsprechend höher ist die Zahl der möglichen Rechenoperationen.
Anwendungsmöglichkeiten für Quantenrechner finden sich beispielsweise in der Entwicklung neuer Materialien oder Medikamente. Aber auch in der Klimaforschung sollen sie Vorteile bringen. Zum Einsatz kommen sie zunächst zur Erfüllung spezieller Aufgaben, ergänzend zu bestehenden Technologien. In der EU werden Quantencomputer zunächst in Hochleistunsrecheninfrastrukturen integriert.
Neben Quantencomputern umfasst Quantentechnolgie auch Quantenkommunikation. Sie soll die Datenübertragung sicherer machen. Denn heute gängige Verschlüsselung könnte schon bald durch die immer leistungsfähiger werdenden Quantencomputer ausgehebelt werden. An europaweiten Quantennetzwerken wird gearbeitet. Auch die Weltraumagentur ESA ist daran beteiligt.
Zur Quantentechnologie zählen auch Quantensensoren. Sie nutzen quantenmechanische Eigenschaften, um Veränderungen in Magnetfeldern zu erkennen. Sie sollen u. a. satellitenunabhängige Navigation ermöglichen. Quantensensoren können auch zur Überwachung vulkanischer Aktivitäten und zur Erdbeobachtung eingesetzt werden.
Auch heimische Start-ups zählen zu den Hoffnungsträgern. Das aus der Universität Innsbruck hervorgegangene Unternehmen AQT (Alpine Quantum Technologies) baut Quantencomputer, die etwa in europäische Hochleistungsinfrastrukturen implementiert werden.
ParityQC, ebenfalls ein Spin-off der Uni Innsbruck, entwirft Architekturen für Quantenrechner und qtlabs aus Wien arbeitet an abhörsicherer Quantenverschlüsselung.
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